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Die gesellschaftliche Verbundenheit

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Aber nicht nur Mensch und Welt, sondern auch Mensch und Mensch gehören zusammen. Der Mensch soll zum Menschen finden. Davon erzählt die Genesds. Der Mensch allein ist ein mangelhafter Mensch Nur der Mensch kann den Menschen von seinem Alleinsein befreien. Nur in der menschlichen Hilfe erfährt er die Gemeinschaft. Das Soziale, das Mitmenschliche ist also etwas, das nicht nur zur rationalen Natur des Menschen hinzugebracht wird, sondern es gehört zu seinem Wesen. Der Mensch kommt zur vollen Entfaltung seiner Natur nur durch

Kommunikation und Kooperation in den vielfältigsten Formen gesellschaftlicher Verbundenheit; in der Liebe, dn der Ehe, in der Familie, in Volk, Gemeinde und Staat. Die geistigen Anlagen des Menschen brauchen die Entfaltung der gesellschaftlichen Verbundenheit. Hierin liegt auch dde Bedeutung Hegels und seiner Idee des objektiven Geistes. Neue Ausblicke auf die soziale Natur des Menschen bieten auch die Kommunikationsphilosophie eines Ebner und Martin Buber.

Kooperation, Arbeitsteilung Güteraustaus di

Nur in der Gemeinschaft und mittels der Gemeinschaft kann der Mensch sich ganz verwirklichen, ohne deswegen nur ein Teil der Gesellschaft zu sein oder in der Gemeinschaft sein letztes Ziel'zu sehen. Uber den reinen Lebensursprung hinaus ist er wie sonst kein anderes Lebewesen auf langjährige Pflege und Erziehung angewiesen. Beides wird ihm naturgemäß in der Familiengemeinschaft zuteil. Die Familie ist für die biologische Entwicklung und noch mehr für die geistig-sittliche Entfaltung von unersetzlicher Bedeutung. Im materiellen Lebensbereich könnte der Mensch ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Kooperation, Arbeitsteilung und wirtschaftlichem Güteraustausch kaum die nackte Existenz fristen, ganz zu schweigen von den Vorteilen steigender Konsummöglichkeit, die sich aus der Hebung der Produktivität menschlicher Arbeit, durch neue technische Verfahren und bessere unternehmerische Kombination in Verbindung mit weitreichender Spezialisierung ergeben. So wird über den Existenzkampf hinaus Muße zur Schaffung und zum Genuß höherer kultureller Werte frei. Kulturleistung und Produktion materieller Werte hängen ja eng zusammen.

In diesem Sinne ist also der Mensch von Natur aus nicht nur ein Inddvidualwesen, sondern in gleichem Maße ein Sozialwesen, das die Hilfe der anderen benötigt und umgekehrt diese anderen in einem gewissen Sinne auch wieder bereichert. Während er die Gemeinschaft braucht, um zur Entfaltung seiner Anlagen und Fähigkeiten' zu kommen, trägt er selber dazu bei, daß die Gesellschaft fähig wird, neue Werte für die Lebenserfüllung aller Glieder dieser Gemeinschaft zu bilden. Als Sozial- und Kulturwesen braucht demnach der Mensch von seiner Wesensanlage her die Gemeinschaft.

Die Gesellschaft als Faktor der Vervollkommnung

Wenn also der einzelne von Natur aus auf die Gemeinschaft hingeord-net Ist und die Gemeinschaft braucht, so fragen wir weiter, welche Wirklichkeit die Gemeinschaft oder Gesellschaft besitzt, unabhängig vom einzelnen Menschen? Welche überindividuelle Wirklichkeit ist der Gesellschatßt eigen, wie kann sie ein Faktor der Vervollkommnung des Menschen sein?

Zwei Auffassungen stehen sich zunächst diametral gegenüber: Auf der einen Seite will man in der Gesellschaft nur eine gedankliche Fiktion sehen und als eigentliche Wirklichkeit nur den Einzelmenschen mit seinen zufälligen Beziehungen gelten lassen. Im Sinne einer libera-listischen Philosophie kommt eine Art Gemeinschaft nur durch Inter-essensantrieb der Einzelmenschen zustande und das Gemeinwohl wäre nichts anderes als ein Interessens-ausgleich der herrschenden Gruppen innerhalb der Gesellschaft. Demnach hätte die Gesellschaift nichts Wesentliches zur Vollendung des Menschen beizutragen.

Auf der anderen Seite will man im Gesellschaftsganzen eine primäre Semswirklichkeit sehen, so daß die einzelnen Menschen nur als Glieder des Ganzen zu verstehen sind und so Wirklichkeit und Dasein haben. In diesem Sinne gibt es eine Vollendung nur und ausschließlich im Rahmen der menschlichen Gesellschaft. In diesem Sinne räumt die marxistische Soziaiontologie, also die Lehre von der sozialen Wirklichkeit, dem gesellschaftlichen Sein und Bewußtsein den unbedingten Vorrang vor dem Sein des Individuums ein.

Revidierter Marxismus...

Während es in der marxistischen Konzeption keine andere Möglichkeit gibt für die Vollendung des Menschen als innerhalb der menschliehen Gesellschaft, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse den einzelnen Menschen schaffen — oder wie es Karl Marx selber ausdrückt —, der Mensch in seiner Wirklichkeit „das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ Ist (Karl Marx, Friedrich Engels, S. 535 MEGA I. Abteilung, Band 5), so hören wir im revidierten Marxismus der Gegenwart auch Stimmen, die das menschliche Individuum und seine Vollendung in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung stellen wallen. So zum Beispiel der polnische kommunistische Philosoph Adam Schaff in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buche „Marxismus und das menschliche Individuum“ (Europa-Verlag, Wien-Frankfurt-Zürich, 1965). Bei ihm lesen wir wörtlich: „Das in die menschliche Gesellschaft verwickelte Individuum ist seiner Genese und seinem Charakter nach gesellschaftlich, bleibt aber doch ein in gewisser Hinsicht autonomes Individuum“ (a. a. O., S. 71); oder: „Auch die Berufung auf das Postulat, daß in der kommunistischen Ordnung das Interesse des Einzelmenschen mit den gesellschaftlichen Interessen verschmilzt, mit ihm identisch wird, ist kein Argument für die These, daß sich eine Konzeption des menschlichen Individuums auf dem Boden des Marxismus nicht konstruieren lasse“ (a. a. O., S. 74). Aus ähnlichen Überlegungen folgert Schaff: „Wer ... nicht den Menschen im Mittelpunkt der sozialistischen Idee sieht, übersieht, was an ihr das Wichtigste ist und versteht sie nicht“ (a. a. O., S. 68).

Wie der ontologische Status des menschlichen Individuums in marxistischer Sicht schließlich zu begreifen ist, beantwortet derselbe Autor — Ohne im Grunde die orthodoxe Linie zu verlassen — so: „Das menschliche Individuum ist ein Teil der Natur und der Gesellschaft. Es ist jener Teil der Natur, der die Welt denkend und bewußt umgestaltet und als solcher Teil der Gesellschaft. Als natürlich gesellschaftliche Einheit erfordert es zu seinem Verständnis keine zusätz-■ liehen Faktoren außer der objektiven Wirklichkeit. Auf diese Weise erlaubt uns die Lösung der Frage des ontologischen Status des Einzelmenschen in Anlehnung an die gesamte marxistische Weltanschauung eine philosophische Anthropologie aufzubauen, die konsequent anthropozentrisch und infolgedessen im speziellen Sinne des Wortes autonom ist“ (a. a. O., S. 132 ff.).

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