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Die große Einheit

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Als in der Naturforschung allmählich die empirische Methode zur Herrschaft gelangte, lernte man erkennen, daß Dinge vielfach eine ganz natürliche Erklärung fanden, die man bis dahin dem unmittelbaren Eingreifen übernatürlicher Kräfte zugeschrieben hatte. Bei den heidnischen Völkern waren diese unsichtbaren Ursachen der Naturerscheinungen als Gottheiten personifiziert worden. Um so auffallender tritt daher der Versuch Demo-krits hervor, selbst die Wahrnehmungserscheinungen unserer Seele als eine Art physikalischen Vorgang zu deuten- Wenn auch ganz zu Unrecht der moderne Materialismus in Demokrit seinen Begründer verehrt, so hat immerhin Demokrit die Vermutung deutlich zum Ausdruck gebracht, es könne dasselbe mechanische Prinzip das geistige wie das körperliche Geschehen beherrschen. Jedenfalls haben wir hier den Versuch vor uns, eine Einheitlichkeit allen Geschehens in der Materie zu suchen. Diese Einheitlichkeit war für die großen Denker der Antike in einer Einheitlichkeit des übernatürlichen Geschehens, einer ewigen Gesetzmäßigkeit gegeben. Ein immaterielles Prinzip verursachte das materielle Geschehen Dennoch würde man mit Unrecht der Antike den Vorwurf machen, daß sie den Wert der Empirie zu gering geachtet hätte.

Ebenso entsprach es dem christlichen Mittelalter, im Metaphysischen die Ursache für das physische Geschehen zu erblicken. Was für die Welt in ihrer Gesamtheit, im Makrokosmos gilt, gilt auch für den einzelnen Menschen, den Mikrokosmos, bei dem sich das geistig-seelische Moment mit dem materiellkörperlichen Moment zu einer individuellen Einheit bindet, in der das seelische das körperliche Moment beherrscht. Vielfach wird vergessen, daß auch allgemein angenommen wurde, daß eine gegenseitige Beeinflussung vom Körperlichen zum Geistigen gegeben sei. So modern es ist, dem „dunkeln“ Mittelalter jeden Sinn für empirische Naturforschung absprechen zu wollen, so unrichtig ist diese Behauptung. Deutliches Beispiel hiefür ist Albertus Magnus,' dessen bis ins einzelne gehende, mit den damaligen Mitteln äußerst exakte Naturbeobachtungen, deutlich zeigen, welchen Wert er gerade auf die empirische Naturbetrachtung legte. Daß Albert als Naturforscher überall eine zweckmäßige Verknüpfung zwischen Bau- und Lebensweise feststellte, mag ihm vielleicht um die Jahrhundertwende, keinesfalls aber heutzutage zum Vorwurf gemacht werden. Wenig Würdigung findet auch die Tatsache, daß der große Schüler Alberts, Thomas von Aquin, ebenfalls den Sinneseindrücken, den Wahrnehmungen und • damit der Empirie ihre volle Bedeutung für das menschliche Erkenntnisvermögen beimaß.

Es war denn auch nicht die Unzulänglichkeit der alten.Philosophen, die schließlich zu dem Zeitalter der sogenannten „Seelcn-austreibungen“ führte. Viele Naturerscheinungen waren ihres mystischen Charakters entkleidet worden, indem man physikalische Ursachen nachweisen konnte, ja, viele in der Natur beobachtete Vorgänge ließen sich experimentell rekonstruieren. Wo dies nicht möglich war, konnte man zumindest Effekte voraus berechnen. Hatte also das Mittelalter den goldenen Mittelweg zwischen Physischem und Metaphysischem eingeschlagen, so folgte nun ein Sturz in ein neues Extrem. War für das heidnische Altertum der Gedanke einer Allbeseelung besonders charakteristisch gewesen, so trachtete man jetzt nach einer einheitlichen Welterklärung, in der immaterielle Momente keine Rolle spielen sollten: „Nur Materie kann ich wahrnehmen. An diese ist meine Erfahrung geknüpft, alles andere gehört ins Reich der Phantasie und kann nicht Gegenstand ernstzunehmender Wissenschaft sein.“ Damit war der Materialismus, der einseitige Monismus entstanden. Ich hatte Gelegenheit, in der „Furche“ bereits zum Materialismus Stellung zu nehmen und versuchte ihn dort, von rein empirischem Material ausgehend, als naiven Realismus zu erweisen. Hier soll gezeigt werden, daß er sich rein geistesgeschichtlich leerlaufen mußte. Bei Voraussetzung der einzig wahren Existenz des Wahrnehmbaren mußte man fragen: Ist es denn überhaupt die Materie, die ich wahrnehme? Die Materie selbst ist ja nur eine Konstruktion von mir. In Wirklidikeit sind es die Sinneswahrnehmungen, die Reize, die von der ganz hypothetischeh Materie auf meine Sinnesorgane ausgeübt werden. Es sind demnach eigentlich nur Empfindungen, die ich für wahr und gegeben halten- darf. Es hatte also der Weg über den Materialismus automatisch zum Madischen Positivismus geführt. Führen wir den Gedanken logisch weiter, so folgt nun: Was sind eigentlich Empfindungen? Sie sind doch nur Phänomene meines eigenen Bewußtseins. Ob die Bewußtseinsinhalte auf etwas Realem außer mir beruhen, kann ich niemals feststellen, da dieser Zusammenhang mir ja nicht unmittelbar in meinem Bewußtsein selbst gegeben ist. Auch die Materie, auch die Empfindungen sind meine Konstruktion. Wahr sind nur meine eigenen Bewußtseinsinhalte. Also nur ich selbst bin mir wirklich gegeben. Nur meiner eigenen Seele darf ich primären Erkenntniswert zuerkennen. Meine Umwelt, meine Mitmenschen können nur aus ihrem Dasein als Seelcninhalte von mir erschlossen werden. Ich kann also Wahrheit von Halluzination niemals unterscheiden; womit wir beim Solipsismus angelangt wären. Es ist eine der interessantesten Erscheinungen der Geistesgesdiichte, daß sich zwangsläufig aus dem Materialismus allmählich der Solipsismus ergeben muß, wobei der Positivismus eine von mehreren Wegstationen zwischen beiden darstellt. Auf der einen Seite heißt es: Es gibt nur Materie, auf der anderen, es gibt nur Seele.

Einen Kompromiß zwischen beiden Extremen versuchte der psychophysische Parallelismus zu vermitteln, indem er Materie und Seele als Erscheinungsformen desselben „Dinges an sich“ bezeichnen will. Nun geschieht das Wunderbare: folgerichtig muß diese Kompromißlösung wiederum eine Allbeseelung der Welt annehmen.

Inzwischen ist die Empirie, und gerade auf biologischem Gebiet, zu der Erkenntnis gelangt, daß gewisse an sich immateriell e^ unteilbare und unwägbare Ursachen notwendig angenommen werden müssen, will man die Zielstrebigkeit und Ganzheit des Lebens erklären. Entspricht es also einer naiven Naturbetrachtung, hinter jedem Naturvorgang etwas zu vermuten, das der menschlichen Seele ähnlich ist, so ist es ebenso naiv, nirgends ein übermaterielles Prinzip annehmen zu wollen. Daß aber gerade die Empirie, die nur von Anschaulichem ausgeht, zu denselben Resultaten führt, zu denen auf der anderen Seite Glaube und reine Denkarbeit geführt hatten, läßt erkennen, daß es letzten Endes nur eine Wahrheit und eine Wirklichkeit geben kann, zu der wir gelangen müssen, auf welchem Wege immer wir sie suchen. In die Irre können wir nur dann gehen, wenn wir einen Kreis der tatsächlichen Gegebenheiten von vornherein ausschließen und alles nach einer einzigen Blickrichtung lösen wollen. Emsige Forscherarbeit hat uns eine ungeheure Fülle von Einzeltatsachen geliefert. Je mehr sich aus allen Einzelheiten ein einheitliches Weltbild gestaltet, je mehr wir alle gegebenen Tatsachen gleichmäßig berücksichtigen, desto deutlicher tritt uns die physisch und metaphysisch gegebene Einheit des Weltganzcn entgegen- die von-einem ausgehende Mannigfaltigkeit der Natur — die Vielheit, die allein uns wahrnehmbar ist, die Einheit, zu der wir notwendig aus der Vielheit gelangen müssen.

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