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Die Masken der Klio

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Ferdinand Raimund hat Fortuna in einem Liede ein feile Dirne genannt, die ihr Wort nicht hält. Hat der Dichter der bürgerlichen Selbstbescheidung der Göttin des Glücks, dieser unverantwortlichen und wie die Jugend nicht um Geld käuflichen Macht des Geisterreiches, mit jenem Epitheton desornans nicht unrecht getan? Wäre es nicht zutreffender gewesen, es auf Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, anzu-1 wenden, die sich, obgleich der Vor-, Mit- und Nachwelt weit mehr verantwortlich als Fortuna, das gedankenlose Schoßkind göttlicher, von Verdienst und Vernunft losgelöster Laune, dennoch von der Parteien Gunst und Haß so sehr verwirren läßt, daß die von ihrem Griffel gezeichneten Charakterbilder ihrer Helden zu schwankenden Gestalten werden, wie es den Geistern der Zeiten gerade beliebt und zur Erreichung ihrer wechselnden Ziele dienlich scheint?

Zeigt die Beobachtung dieses Ablaufes einerseits einen auffallenden, oft diametral entgegengesetzten Gestaltungswandel nach längeren oder kürzeren zeitlichen Perioden, so ist andererseits innerhalb dieser Perioden vielfach eine erstaunliche, vom Zeitgeist autokratisch gewollt Typisierung historischer Persönlichkeiten zu verzeichnen, di selbst in den Darstellungen verschieden orientierter Historiker einer und derselben Zeit, von äußeren Oszillationen abgesehen, keine wesentlichen Abweichungen in den Grundzügen zuläßt und mit der menschlichen Natur der originalen Individualitäten nur mehr wenig gemein hat. Stand nicht vor dem geistigen Auge der Generationen seit der Französischen Revolution und steht nicht vor unserem inneren Blick die Gestalt des Ferdinand Aivarez’ von Toledo, Herzogs von Alba, als die fleischgewordenen Ehrgeizes, fanatischer religiöser Unduldsamkeit, unerbittlicher Härte und intriganter Hofkabale, wie sie unter anderem der Dramatiker und der Historiker Schiller gezeichnet, wie sie das liberale Zeitalter sehen wollte und darum gesehen hat? Gewiß, die kritische Geschichtsschreibung des vergangenen und des gegenwärtigen Jahrhunderts hat mit redlichem Bemühen aus den verschwiegenen Gewölben der Archive, aus der Literatur, ja aus den sinnfälligeren Darstellungen der bildenden Kunst Unterlagen zur Erforschung des wahren Wesens des großen spanischen Feldherrn gesucht, aber sie konnte und wird, gelenkt von Klios geheimnisvoller Macht, aüf ihrer Suche nach Wahrheit solange nur jene Elemente finden, die das ihrer eigenen Zeit gemäße Bild in seiner typischen Erstarrung wohl deutlicher hervortreten lassen, aber nicht zu verändern vermögen, bis ein neuer Zeitgeist Klios Griffel in andere Richtung führen wird. Wäre dem nicht so, wie ließe es sich sonst erklären, daß der Geschichtsschreiber des Herzogs Alba in seiner 1669, also fast hundert Jahre nach seines Helden und etwa fünfzig Jahre nach dem Ableben aller in dem Werk behandelten Personen, zu Salamanca erschienenen „Vita Ferdinand! Toletani Ducis Albani” von diesem ein Bild entwirft, das mit dem uns von der Geschichtsschreibung des ausklingenden 18. und der des 19. Jahrhunderts und deren dichterischen Gestaltern überlieferten in seinen wesentlichen Zügen so gar nicht übereinstimmt?

Der Wille des Autors zur historischen Wahrheit steht außer Zweifel; denn er schont die Persönlichkeiten seines Werkes im allgemeinen und seinen Haupthelden im besonderen keineswegs. Wenn er ihre Tugenden lobt, so verschweigt er nicht ihr Fehler und tut dies mit um so größerer Freiheit, als er zur Zeit der Veröffentlichung weder auf Lohn für sein Lob hoffen, noch Rache für seinen Tadel fürchten mußte. Um so bemerkenswerter ist es, wenn wir in der Darstellung des nahezu unbesiegten Soldaten- und Feldherrnlebens und in der seiner Laufbahn als höchster Zivilbeamter gerade von jenen Eigenschaften, als deren Verkörperung hn unser Zeitalter zu betrachten gewohnt ist, wenig oder nichts entdecken. Er schildert den 150Š geborenen Sohn eines großen Hauses von Kriegsleuten, das seine Herkunft von einem Sprossen des griechischen Kaisergeschlechtes der Paleologen herzuleiten liebte, den spanischen Ritter, der seine ersten Schlachten unter Ferdinand dem Katholischen schlug, die Franzosen aus Katalonien vertrieb und sie hinderte, in Navarra einzufallen, der dem römisch-deutschen Kaiser Karl V. als Lehrmeister der Kriegskunst galt und ihn auf seinen Feldzügen nach Tunis und in Italien geleitete, der seine Heere in Frankreich befehligte und nichts unterließ, um ihn von der unheilvollen Belagerung Marseilles abzubringen. Als sein höchstes Verdienst läßt er sein Feldherm- tum im Kriege aufleuchten. den der Schmal- kaldische Bund gegen den Kaiser führte.

Alles das wird ohne Überraschung gewürdigt, nirgends aber tritt kalte Grausamkeit, unerbittliche Unduldsamkeit, sdiran- kenloser Ehrgeiz ans Tageslicht. Im Gegenteil, allenthalben wird die Standhaftigkeit, die weise Lebensführung, die Unerschrockenheit in handgreiflicher Gefahr eines Mannes sichtbar, der sich niemals unterwarf, den Feinden ein solcher Schrecken war, daß er sie oft ohne Schwertstreich besiegte, wobei er den Grundsatz verfolgte, nichts dem Zufall zu überlassen, wenn er hoffen konnte, durch überlegtes Abwarten zu siegen, den jedoch, versagte dieses Mittel, nichts aufzuhalten vermochte. Dann waren Hindernisse für ihn nur da, um seinen Ruhm der Unüberwindlichkert zu erhöhen. Seine Truppen, die ihn vergötterten, hielt er in so eiserner Mannszucht, daß sie nie auch nur in die geringste Unordnung gerieten und so lange unüberwindlich blieben, als diese Mannszucht in ihren Reihen bestand. Sein Wort hielt er unbedingt, aber er strafte mit zu großer Härte. Dieses ist — so meint unser Chronist — der einzige Vorwurf, der ihm gerechterweise gemacht werden konnte; denn es sei nicht zu leugnen, daß der Feldherr ein wenig zu strenge war. Allein er fügt hinzu, daß diese Strenge ihr Wurzel m seiner un- bezwinglichen Abneigung gegen das Laster hatte: „Es gab wenig frömmere Feldherm, wenige, die Gott und ihren Fürsten so treu ergeben waren. In seinem Hause herrschte Ordnung, dem Laster war niemals Raum in ihm gegeben. Man kann behaupten, daß er im höchsten Maß alle Tugenden besaß, die einen Helden ausmachen, und daß es wenige gibt, die man ihm vorziehen könnte. Ja, ich glaube, daß man überhaupt keinen bessern finden kann.”

Dort, wo unbeugsame Härte in Erscheinung tritt, ist sie bald ein Ausfluß der Überzeugung, daß mildere Mittel nicht zum Ziele, ja zum Untergang führen würden, bald eine Maßnahme der Abwehr gegen Intrigen der Neider und Gegner, deren auch dieser gewaltige Mann nicht wenige hatte, bald eine Folge unerschütterlichen Pflichtgefühls, nirgends aber ein Kennzeichen erbarmungsloser Herzenskälte und starrer, tyrannischer Grausamkeit.

Und so stehen sich ein Jahrhundert nach des Herzogs Tod und vom Beginne des zweiten Jahrhunderts nach diesem Ereignis an bis in unsere Tage zwei zum Typus erstarrte Charakterbilder derselben historischen Persönlichkeit fremd und scheinbar unvereinbar gegenüber. Alba, der strenge, stolze, aber gerechte und tugendhafte Held von untadeliger Ehre, der Verteidiger des Glaubens, der Hüter der Krone seines Monarchen, und Alba, der starre, von Ehrgeiz und kaltem, dogmatischem Eifer getriebene Tyrann, der achtlos das Glück , freiheitliebender Völker mit Füßen tritt. In welcher Maske wird Klio seine Gestalt ein Jahrhundert später auf die Schaubühne der Geschichte treten lassen, weil sie dem Geist der Zeiten gefällig sein muß, unbekümmert um das wahre Menschentum jenes Mannes, dessen Irdisches sein Enkel Anton Alvarez von Toledo-Beaumont aus der Kirche z.u Sankt Leonhard in Alba, wo es provisorisch beigesetzt war, nach Salamanca überführen und daselbst im Erbbegräbnis des Hauses in der Kirche zu Sankt Stephan zum ewigen Schlaf bestatten ließ? Bleibt auf diesem Planeten wirklich und wahrhaftig nichts von jenem wunderbar Einmaligen der menschlichen Persönlichkeit, nichts als wechselnde Maskenbilder in der Hand der dem Zeitgeist hörigen Muse der Geschichtsschreibung zurück, wenn das Einzelwesen seine unsterbliche Seele seinem Schöpfer zurückgegeben hat? Vermag dem späten Betrachter auch ein langer Blick in das geisterbleiche Antlitz des Feldherrn im schwarz-goldenen Harnisch der Spätrenaissance auf Anthonis Mors wunderbarem Bildnis nicht etwas wie eine mystische Rückverbindung mit der wahren, von den äußern Strömungen der Vergangenheit und Gegenwart losgelösten menschlichen Natur des Dargestellten zu vermitteln? Oder hat auch den Pinsel des gottbegnadeten Künstlers jene eigensüchtige Macht des Zeitgeistes geführt, so daß auch dieses unendlich vornehme, aszetisch durchgeistigte Antlitz nichts ist als eine Maske, in der es seine Zeit sehen wollte? Ein herbes, schmerzliches Gefühl drängt sich mit dem Gedanken heran, daß diese Fragen in unserm Erdendasein keine Antwort finden.

Und doch fühlen wir in seltenen Augenblicken geheimnisvoller Rückschau in das Dämmerlicht vergangener Epochen hinter der erschreckend starren Maske einer Gestalt die Anwesenheit etwas Wunderbaren, Einmaligen, das das göttliche Zeichen der Seelenhaftigkeit auf der Stirne trägt, den Hauch einer Persönlichkeit, die wir plötzlich zu erkennen glauben. In solchen Augenblicken mag es geschehen, daß wir den Widersprüchen gelehrter Abhandlungen und zeitgewollter Darstellungen nur mehr geringe Bedeutung beimessen, weil Klios starre Masken eine nach der andern fallen und wir einen erschütternden Augenblick lang der mit kühnen Zügen umrissenen Wesenseinheit einer menschlichen Erscheinung gegenüberzustehen glauben. Die Erleuchtung eines solchen Augenblicks mag uns anwehen, wenn wir die Schilderung des Chronisten vom Tode des Herzogs lesen, der in Tomar, wo König Philipp die Stände Portugals versammelt hatte, in den ArmcSi seines Fürsten am 12. Jänner 1582 im vier- undsiebzigst n Lebensjahr verschied. Bis zum letzten Atemzug im Besitz bewundernswerter Geistesgegenwart soll er einen Augenblick bevor er seine Seele aushauchte, die Worte gesprochen haben:

„Mein gnädiger Herr! Bevor ich aus diesem Leben scheide, will ich mich vor Eurer Majestät rechtfertigen. Ich erwarte, daß Ihr einem Manne glauben werdet, der bereit zu sterben ist. Immer habe ich Euren Vorteil höher gehalten als den meinen, habe Euer Geld bewahrt, das Ihr mir an-vertraut habt. Ich habe das mein hingegeben, wenn es das Staatswohl verlangt hat. Niemals habe ich Ämter und Ehren vergeben um Geld und Gunst, ich habe stets nur auf Verdienst und Tugend gesehen. Zärtlich habe ich Euch geliebt und meine Liebe ist beständig gewesen, mein Rat selbstlos und treu. Ich wollte Euch niemals kränken. Es ist wahr, daß ich mir zuweilen Euren Unwillen zugezogen habe, allein ich überlasse Eurer Majestät und denen, die nach uns kommen, das Urteil über meine Unschuld. Und nun bereit, meine Seele Gott zu übergeben, dem ich so treu gedient habe, als ich konnte, wünsche ich Euch, mein großer König, ein langes glückliches Leben und ein blühendes Reich.” Mögen diese oder andere Worte von dem Sterbenden wirklich gesprochen oder ihr Sinn in der Tiefe ihrer Herzen nur empfunden worden sein, mag Klio die Gestalt des Herzogs das eine Mal in’ der Maske des ritterlichen Heroen, das andere Mal in der des grausamen Tyrannen dem eigensüchtigen Zeitgeist dienstbar machen, niemals vermag sie die unsterbliche Seele de Mannes, dessen Irdisches im porphyrnen Sarg seines Mausoleums dem Auferstehungs- tag entgegenschlummert, jenes sichern Geleitbriefes zu berauben, den seine einmalige mit dem göttlichen Geschenk der Willensfreiheit begnadete Persönlichkeit sich selbst geschrieben hat, um ihn dereinst vor dem Antlitz des höchsten Richters in die Waagschale seiner guten Werke zu legen, wenn die der schlimmen Taten zu sinken drohen sollte.

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