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Die Musik in Geschichte und Gegenwart

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Der Rezensent tritt diesmal nicht als Kritiker, sondern als Panegyriker, gewissermaßen mit hochgestimmter Leier, auf den Plan, um ein Werk anzuzeigen und zu rühmen, das bisher seinesgleichen in der Musikwissenschaft nicht gehabt hat. Schon ihr Umfang stellt diese auf acht Bände zu je etwa 1000 Seiten berechnete Enzyklopädie in die erste Reihe wissenschaftlicher Nachschlagewerke. Mehr noch erweist sie ihren Rang in der Qualität der einzelnen Beiträge.

Seit seiner Gründung im Jahre 1924 ist es ein besonderes Kennzeichen des Bärenreiter- Verlages, „eine von der musikalischen Zeitsituation gestellte Aufgabe“ zu erkennen und zu erfüllen. Damals war es die musikalische Jugendbewegung, auf die der Verlag mit den Finkensteiner Blättern antwortete, später dann die Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik, und jetzt ist es die Erkenntnis, daß das gewaltig angewachsene Material der musikwissenschaftlichen Einzelforschung einer Zusammenfassung bedarf. Anderseits war der Tendenz der Zeit nach „Ganzheit“ im Sinne geisteswissenschaftlicher Vertiefung und Zusammenschau zu entsprechen. Daher die besondere Betreuung det Randgebiete Recht, Gesellschaft, Literatur, bildende Kunst u. a. Daher auch die Akzentuierung der Volks- und Völkerkunde, der Philosophie, der Sozial- und Frühgeschichte. — Die besondere „Zeitsituation“ bedingte allerdings auch ein Negativum: überaus zahlreiche, während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte erarbeitete Erkenntnisse konnten nicht publiziert werden (die Gründe dafür sind nur zu bekannt). So wurde diese Enzyklopädie gleichzeitig zu einem Publikationsorgan von allerneuesten Forschungsergebnissen, wie sie sonst nur die fachwissenschaftliche Zeitschrift zu bieten vermag.

Natürlich war diese selbstgestellte Aufgabe nur mit einem Stab von Mitarbeitern aus aller Herren Länder zu bewältigen. Die Schwierigkeiten, die sich allein bei der Uebertragung der fremdsprachigen Texte ergeben haben mögen, können kaum überschätzt werden (als Zeichen besonderer Akribie empfinden wir die Nennung auch der Uebersetzer bei jedem einzelnen Beitrag). Die Individualität der einzelnen Mitarbeiter blieb gewahrt und spiegelt sich in der Diktion ihrer Beiträge, die vom Lexikalisch-Referierenden bis zu temperamentvoller Polemik reicht. Neben dem sachlichen Referat über Atonalität durch Ernst Laaf steht zum Beispiel das Pamphlet von Albert Wellek als Korreferat. Oft war es nötig, den historischen und den kritischen oder bibliographischen Teil eines Fachgebietes verschiedenen

Forschern anzuvertrauen. Auch dies« Mühe wurde nicht gespart...

Die Artikel zur musikalischen Topographie stellen gewissermaßen die Elemente einer neuen Disziplin dar (Aachen, Aquitanien, Basel, Bayern, Bayreuth u. a.). Sehr zahreich sind in diesem Band die Beiträge über exotische Musik (Aegypten, Aethiopien, Arabien, Australien, Asien). Einige Beiträge ersetzen durch ihren Umfang und ihre Gründlichkeit ganze Monographien, so die Artikelreihe über J. S. Bach und seine Familie (160 Spalten), Aufführungspraxis (27 Spalten), Akustik u. a. Hervorgehoben seien die stark geistesgeschichtlich betonten Artikel über Abendland von Jacques Handschin, Aufklärung von Eberhard Preußner und Barock von Friedrich Blume. Auch gewisse gattungsmäßige Spezialitäten, wie zum Beispiel die Schlachtenmusik (imter dem Stichwort „Battaglia“), finden wir erschöpfend datgestellt. — Sehr amüsant ist der Zitatenstreit für und gegen die absolute Musik. Aus der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts seien die Artikel über Berlioz und Bizet hervorgehoben (in letzterem findet sich bereits ein Hinweis auf die Premiere von „Iwan leTerrible“ in Paris im Jahre 1951). Von besonderer' Sachkenntnis zeugt der Artikel über die Alpenmusik von W. Wiora, speziell interessierend in dem kulturkritischen Abschnitt über deren Niedergang im Zeitalter der Romantik und der Fremdenindustrie. Eine Reihe zeitgenössischer Komponisten ist etwas kurz weggekommen, doch wird hier die Frage: Wer ja und wer nicht? sowie die nach dem vertretbaren Umfang der einzelnen Beiträge nie zur Zufriedenheit aller zu lösen sein. (Blacher, Barber, Büß, Blitzstein u. a.) Bela Bartok und Alban Berg werden, der Bedeutung ihres Werkes entsprechend, ausführlicher gewürdigt. Da sich aber unter den Zeitgenossen auch dii minorum gentium befinden, vermissen wir die Oesterreicher H. E. Apostel und Theodor Berger. Wenn Ernest Bloch zwei Spalten gewidmet sind, so dürfte der vielleicht bedeutendere Frederik Block, 1899 bis 1945, Autor von acht Opetn, drei Symphonien und zahlreichen Kammermusikwerken, nicht fehlen. Ebenso vermissen wir Theodor Adorno (der vielleicht später unter „Wiesengrund“ auftauchen wird?) sowie die Zeitschrift „Der Anbruch“. — 68 Bildtafeln, 500 Textabbildungen, 200 Notenbeispiele und 20 Tabellen sind nicht gefälliger Aufputz, sondern stehen in engem Konnex mit dem Text. Instruktiv für den Benutzer dieses Werkes ist es auch — infolge einer glücklichen alphabetischen Fügung — in bescheidener Selbstpräsentation auch den Bärenreiter-Verlag und den Herausgeber dieses Opus roagnum der Musikwissenschaft kennen zu lernen.

Lexicon Syriaco-Latinum in Novum Testamea-tum, elaboravit Dr. P. Severinus Grill. Wien, Mechitaristen, 1952, Heft I.

Theologiestudenten oder angehende Exegeten verfügen vor allem jetzt nicht über die Mittel, sich ein ausführliches Lexikon — etwa Brun, Brockelmann oder Klein — anzuschaffen. Dieses kleine syrischlateinische Wörterbuch, das sich jedoch auf das Neue Testament beschränkt, ist daher sehr zu begrüßen. Dem ersten Heft (Buchstabe Alaf bis He) werden in Kürze noch zwei Lieferungen folgen. Gesamtpreis etwa 82 S. Die typographische Ajrbeit der Mechitaristen ist vorbildlich. Eine wertvolle Fortsetzung der exegetischen Forschungen des großen österreichischen Bibelgelehrten Dr. Nivard Schlögel.

Dr. Nico Greltemann

Fabeln. Von Alfred Michael Schauhube r. 62 Seiten. Verlag Metten, Wien 1952.

Das ist eine Ueberraschung: den Autor religiöser Weihespiele („Erlösung“) und formschöner Verse („Lindes Leuchten“) nun auf den Spuren Aesops und Lafontaines zu sehen. Aber auch di« Zeit und wir haben uns gewandelt. Schauhubers Tierweisheiten sind schärfer und boshafter als die alten Klassiker, voll augenzwinkernder, aktueller Anspielungen auf Schwächen und Eitelkeiten des „Zoon politikon“. Die Form ist prägnant, von höchster Kürze und Würze,, die Pointen schnellen ab wie Pfeile. Keine lang« Moral, ein Satz, zwei Sätze — fertig ist die Zauberei. Etwa so: „Es ist ein Hundeleben!“ gähnte der Schoßhund und rekelte sich in der Sonne. — Oder: „Ich liebe dich!“ rief einmal der Fuchs dem Hasen zu. „Ja, besonders zur Frühstückszeit.“ — Oder: „Ich will auch einmal recht haben!“ schrie der Hammer und zerschlug das Porzellangeschirr. — Oder das salomonische Urteil der Katze über die Schönheit des Pfaues und des Hahnes; sie umschleicht lange, lange die Streitenden und entscheidet dann, von links gesehen sei der Pfau, von rechts der Hahn der Schönere gewesen; und die Moral von der Geschieht'? „Da gingen Hahn und Pfau versöhnt zu ihren Hennen...“ Aber man kann es letztlich nicht beschreiben, dieses weise, versöhnend-heiteie Büchlein. Man muß es lesen, auswendig lernen. Dr. Roman H e r 1 e

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