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Die Neugestaltung des Arbeitsrechts

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In seinem bekannten Buche über den „Untergang des Abendlandes“ hat Oswald Spengler der Rechtswissenschaft vorgeworfen, daß' sie noch immer an dem Personen-und Sachbegriff des römischen Rechts festhalte, obschon die moderne -wirtschaftliche Entwicklung bereits längst darüber hinausgewachsen sei und die gegenwärtigen Rechtsprobleme mit Hilfe der veralteten römischrechtlichen Begriffe nidit mehr gemeistert werden können.

Im allgemeinen ist Spenglers Vorwurf für das moderne europäische Privatrecht begründet; so trifft er insbesonders auf den Personenbegriff des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches und des französischen Code Civile zu. Dagegen ist dieser Tadel gegenüber dem österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch nicht am Platze, dessen Persönlichkeitsbegriff keineswegs auf dem römischen Recht, sondern vielmehr auf der „sittlichen Persönlichkeit“ der Kantischen Philosophie aufgebaut ist, welche hier g e-setzlich festgelegt wurde. Es ist wichtig, dies festzuhalten.

Kant hatte den Begriff der Persönlichkeit aus der Idee der Menschenwürde geformt und daraus die grundlegende Forderung entwickelt, daß der Mensch „niemals bloß als Mittel gebraucht werden“ dürfe, weil er stets „Zweck an sich selbst“ sei. So gelangte Kant zu dem Begriffe des Urrechts der Freiheit, in dem er das einzige angeborene, jedem Menschen kraft seiner Menschheit zustehende Recht erblickte, das alle übrigen Befugnisse mit Ausnahme des erworbenen Rechts in sich schließe.

In Anlehnung an Kant definierte auch Zeiller, der Hauptredaktor des ABGB, in seinem „Natürlichen Privatrecht“ das Urrecht der gesetzlichen Freiheit als das mit dem Charakter eines vernünftigen Wesens untrennbar verbundene Recht der Persön-

lichkeit zum Freiheitsgebrauche, und zwar zu allen Handlungen, wodurch die Rechte anderer als freitätiger Wesen nicht verletzt werden. ZeiHer hat seiner philosophisdien Überzeugung jedoch nicht nur in theoretischen Werken, sondern auch im Texte des Gesetzes selbst Ausdruck verliehen, als er den 16 ABGB in die Worte faßte:

„Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als Person zu betrachten.“ Leider wurden diese. Worte im materialistischen Zeitalter einer rein positivistischen Rechtsausübung mißachtet und bloß als inhaltlose Verbrämung und altvaterische Floskel gewertet, da jeder Sinn für die tiefe idealistische Ethik, die diesem Satze innewohnte, abhanden gekommen war. Uns Heutigen aber, die wir wieder neues Verständnis für die Metaphysik des Rechts gewonnen haben, wird der in 16 ABGB verankerte Persönlichkeitsbegriff zum natürlichen Ausgangspunkte für die Neugestaltung des Privatrechts. Denn in ihm wirkt eine Weltanschauung, die auch uns zutiefst bewegt, da sie gleich unserem gegenwärtigen Streben von dem ehrwürdigen Geiste der abendländischen Kulturtradition geträgen ist.

Von diesem Persönlichkeitsbegriff aus muß es gelingen, für das Kernproblem der Gesellschaftslehre, das Verhältnis des einzelnen zur Gemeinschaft, eine für unsere Zeit passende Antwort zu finden und vor allem auch die Arbeiterfrage, die unser gesamtes kulturelles und wirtschaftliches Leben bereits seit Jahrzehnten schwer bedrückt, einer gedeihlichen Lösung zuzuführen.

Dabei wird man sidi vor allem von materialistischen Vorstellungen freimachen müssen, 'welche den Arbeitsvertrag als „Dienstmiete“ ansehen und die .Arbeitskraft“ einer Ware gleichstellen, die auf dem „Arbeitsmarkt“ gekauft werden kann. Solche Auffassungen bedeuten eine Entwürdigung der menschlichen Persönlichkeit, die letzten Endes zwangsläufig zu einer Versklavung des Arbeiters führen muß.

Das Arbeitsverhältnis ist in Wahrheit weder ein „Kauf“, noch eine „Miete“, sondern vielmehr eine Auseinandersetzung über den Anteil, der den einzelnen in einem Betrieb zusammenwirkenden Kräften aus dem Ergebnis ihres gemeinsamen Schaffens zukommen soll. Dies trifft sowohl für den Unternehmer als den geistigen Leiter des Betriebes wie auch für den. Arbeiter zu; denn beide bringen — jeder auf seine Art — den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gemeinsam zuwege. Das Arbeitsverhältnis ist somit seinem wahren Wesen nach gesellschafts rechtlicher Natur, eine Vereinigung freier Menschen zur Erzielung eines gemeinsamen wirtschaftlichen Zweckes.

Ein so geregeltes Arbeitsverhältnis, das dem Arbeiter eine seiner wirtschaftlichen Funktion angemessene Rechtsstellung gewährt, wirc0 im weitesten Maße zur Sicherung des Arbeitsfriedens beitragen, da es geeignet ist, das Verantwortungsgefühl aller an der gemeinsamen Arbeit Beteiligten wesentlich zu

heben. Audi wird es in einer derartigen Arbeitsgemeinschaft, die nur freie Rechtspersönlichkeiten Bnd keinen Mißbrauch des Menschen als Rechtsobjekt mehr kennt, nicht zu schwer sein, das wechselseitige Verständnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu fördern und die überspannten Vorstellungen einer Klassenkampfideologie zu überwinden. Denn die Schaffung eines Gesellschaftsverhältnisses zwischen allen Mitarbeitern des Arbeitsprozesses wird naturgemäß die Gegensätze, welche durch die schroffe rechtliche Gegenüberstellung der beiden Vertragspartner des alten Arbeitsvertrages noch gesteigert wurden, hinter die gemeinsamen Interessen und das allgemeine Ziel zurücktreten lassen. —

Es weht eine freie Luft durch solche Anschauungen; es ist die Luft naturrechtlichen Denkens, das bereits einmal — am Beginn des 19. Jahrhunderts — nahe daran war, den Menschen Europas die Freiheit zu bringen. Aus diesem Geiste ist auch das ABGB (1811) geboren, dessen leitende Grundprinzipien uns selbst heute noch bei Erneuerung unserer Rechtsordnung richtungweisend sein können. Denn es ist der Geist des ewigen Idealismus, zu dem die Menschen des abendländischen Kulturkreises immer wieder zurückkehren; er hat nach einem schönen Worte des österreichischen Justizministers Franz Klein auch über unser Gesetzbuch „einen Hauch von Ewigkeit“ gebreitet, der auch die Männer der neuen österreichischen Gesetzgebung umwehen möge.

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