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Die religiöse Situation unserer Zeit

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In S t. C h ristoph am Arlberg fanden, von der Universität Innsbruck in enger Zusammenarbeit mit französisch-katholischen Kreisen veranstaltet, als Fortsetzung der Hochschulwochen von Alpbach akademische Bergwochen statt, die zu bedeutsamen Diskussionen über die religiösen und philosophischen Probleme, die unserer Generation gestellt sind, führten. Professor Eugen S u s i n i sprach über „Die Mission Frankreichs“, Professor H y p p o 1 i t e vom Lycee Henri IV über „Wahrheit und Existenz, der Sinn der französischen Philosophie der Gegenwart“ und der französische Dominikanerpater G. C h i f f 1 o t über „Die katholische Bewegung in Frankreich“. Von wesentlicher Bedeutung war der Vortrag Professor Otto Mauers über „D i e religiöse Situation der Gegenwar t“, die lebhafte und fruchtbringende Auseinandersetzungen hervorrief, in denen die in manchem voneinander abweichende, in vielem aber ähnliche geistige Lage Österreichs und Frankreichs sichtbar wurde.Professor iVauer kennzeichnete in seinem Vortrag die geistige Situation des Abendlandes als die Krise einer dem Mythos des Fortschrittes verfallenen Welt

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In S t. C h ristoph am Arlberg fanden, von der Universität Innsbruck in enger Zusammenarbeit mit französisch-katholischen Kreisen veranstaltet, als Fortsetzung der Hochschulwochen von Alpbach akademische Bergwochen statt, die zu bedeutsamen Diskussionen über die religiösen und philosophischen Probleme, die unserer Generation gestellt sind, führten. Professor Eugen S u s i n i sprach über „Die Mission Frankreichs“, Professor H y p p o 1 i t e vom Lycee Henri IV über „Wahrheit und Existenz, der Sinn der französischen Philosophie der Gegenwart“ und der französische Dominikanerpater G. C h i f f 1 o t über „Die katholische Bewegung in Frankreich“. Von wesentlicher Bedeutung war der Vortrag Professor Otto Mauers über „D i e religiöse Situation der Gegenwar t“, die lebhafte und fruchtbringende Auseinandersetzungen hervorrief, in denen die in manchem voneinander abweichende, in vielem aber ähnliche geistige Lage Österreichs und Frankreichs sichtbar wurde.Professor iVauer kennzeichnete in seinem Vortrag die geistige Situation des Abendlandes als die Krise einer dem Mythos des Fortschrittes verfallenen Welt

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Die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen und wohl auch unsere unmittelbare Gegenwart ist durch Strömungen und Ideologien gekennzeichnet, die geistesgeschichtlich auf einen Humani-mus des Abfalls zurückzuführen sind, auf den Irrglauben an eine menschliche Evolution, die das .Gegenteil einer echten, in Entscheidungen sich vollziehenden Geschichte ist, auf einen vermessenen Optimismus, der das Böse und die Sünde vermeinte hinwegdiskutieren zu können. Der Mythos des Fortschritts, so führte der Vortragende aus, hält noch immer die Gemüter gefangen, obwohl wir eher zum Unter menschlichen als zu einer echten Humanität fortgeschritten sind. Denn der Prozeß der Befreiung des Individuums, der im Spätmittelalter einsetzte und in der Renaissance zu einem ungeheuren Optimismus, zu einem Glauben an alles Menschliche geführt hat, das keines Mittlertums bedürfe, hat schließlich einen Panbiologismus, eine Materialisierung und Biologisierung des Kosmos gezeitigt, die den Menschen in untermenschliche Bereiche, in ein Reich der Dämonen hinabsteigen ließen. So sind der Auftrieb des bloß Humanen und das Aufhören der gottmenschlichen Ordnung, die mit dem Ende der angeblichen Uberwindung de Mittelalters verbunden waren, die ersten Akte der abendländischen Kulturkatastrophe gewesen, deren grauenvolle Endphase wir selbst erleben mußten.

Es gab Vertreter und Verfechter eines christlichen Humanismus, wie Nikolaus Cusanus, Erasmus von Rotterdam, Thomas Morus. Aber die Neuzeit stand unter dem Zeichen eines Humanismus des Abfalls, und Luthers Schriftbegriff hat mittelbar diesen Prozeß vom Religiösen her, durch die Entwicklung des Subjektivismus im Protestantismus, unterstützt. Über die geistesgeschichtliche Einordnung der Reformation wird es immer wieder zu letzten gegensätzlichen Wertungen auf katholischer und protestantischer Seite kommen und sicherlich wird die Feststellung Professor Mauers, daß mit der Reformation die Katholizität des Kosmos auseinanderfiel, auf protestantischer Seite anders gesehen werden denn auf katholischer. Dennoch wird wohl kein Protestant das subjektivistische Moment leugnen wollen, das mit den Reformatoren in die abendländische Geistes- und Glaubensentwicklung gekommen ist; daß der Kulturprotestantismus der letzten zwei Jahrhunderte einen in religiösem Sinne verhängnisvollen Säkularisationsvorgang begünstigt hat. darüber dürfte zwischen gläubigen Katholiken und Protestanten keine Differenz bestehen. Je stärker nun der Säkularisationsprozeß im Protestantismus fortschritt, desto stärker wurde der Mythos des Fortschritts in ihm, und über den Intellektualismus der Aufklärung, dem Idealismus Hegels und den Emotionalismus der Romantik endete der deutsche Geist vor allem in messianistischen Hoffnungen und chiliastischen Ideologien, in Nietzsches Lehre vom dionysischen Übermenschen, in einem dogmatischen, höchst intoleranten Darwinismus und schließlich einem Panbiologismus, der die furchtbarsten Verwüstungen anrichten sollte. Der beste Nährboden aber für Mystizismus, Chiliasmus und schließlich für einen Polytheismus der Blut- und Sippengötter sollte der Pantheismus werden.

Die Zeichnung der Ausbreitung des Pan-theimus, dieser höflichen Form des Atheismus, wie ihn Schopenhauer genannt hat, gehörte zu den Glanzpunkten des Vortrages. Pantheis.mus ist immer Mono-physitismus und als solcher eine verhängnisvolle Häresie, die zu einem furchtbaren Panbiologismus führen muß, der den Menschen nur mehr ein Glied, eine Funktion sein läßt. Am Ende eines jeden Pantheismus steht die große Konfusion; dann ist die große Stunde der wirren Mystizismen und Chiliasmen gekommen, das Zeitalter, da man den Kosmos mit dem Reiche Gottes gleichsetzt, da man nichts mehr von Sünde und Erbsünde hören will und die Kirche als die Verhinderin, als die Saboteurin des irdischen Glückes ansieht Die Mystik von Blut und Boden, die Mystik des Kollektivs nimmt Besitz von den Menschen, der politische Chiliasmus, die militanten Vertreter der Fortschrittsideologie ziehen über die Erde :ma der Glaube an die Auserwähltheir des Blutes, der nationalsozialistische Chiliasmus — übrigens nicht ursprünglich aus deutschem Boden gewachsen, sondern die Übernahme eines alten judaistischen Chiliasmus darstellend — richtet seine Verheerungen an. Aber nicht nur der nationalsozialistische Blubomystizismus. jeder Kollektivismus führt zur Vernichtung de, Menschlichen, zur Staatsvergot'ung und zur Zerstörung des Gewissens. Das Kollektiv stellt in jeglicher '•orm einen Leviathan, einen Moloch dar, der den Menschen verschlingen möchte.

Angesichts dieser Bedrohungen der menschlichen Existenz durch das Kosmisch-Unter-menschliche — — und noch immerist der Pantheismus und der Dämonismus einer biologisterten “Welt nicht zu Ende — — müssen die Menschen sofern ihnen der Glaube an den einen persönlichen transzententen Gott und an den Gottmenschen Christus fehlt, zu einem tragischen Lebensgefühl kommen. Das tragische Lebensgefühl unserer Zeit und die Apotheose eines Lebenskampfes ohne SinngläubigKeit läßt die Ausweglosigkeit erkennen, in die unser Zeitalter geraten ist. Die Ablehnung des Mittlertums, das im Mittelatter Gott und Mensch aneinanderband, führt zu einer Philosophie des verlorenen Postens, wie sie Ernst Jünger vertreten hat, schließlich zu einer seelischen Verzweiflung angesichts der scheinbaren Unabwendbarkeit der Sinnlosigkeit und des Untermenschlichen.

Die Existenzialphilosophen Jaspers und Heidegger' der Existenzialtheologe Karl Barth, der Prager Jude Kafka, der österreichische Denker Ebner in seinem Werke „Das Wort und die geistigen Realitäten“ und am frühesten vor einem Jahrhundert der Däne Sören Kierkegaard haben den Finger auf die offene Wunde gelegt. Der Nihilismus, der noch immer uns umfängt, auch nach dem Ende des grauenhaften nationalsozialistischen Chiliasmus, kann ohne Zweifel zu einer völligen Dämo-nisierung des Lebens führen. Aber gerade die Ausweglosigkeit, in die der abendländische Mensch durch den tragischen Abfall von den christlichen Grundwahrheiten geraten ist, kann zu einer neuen Hinwendung zu Christus führen, der unausrottbar in die Geschichte des Abendlandes eingegangen ist. Vielleicht werden ihn die Menschen jetzt, da sie in der Erfahrung eine Ahnung davon bekommen haben, was Sünde und Erbsünde, was das Böse ist, erkennen und bekennen. Der Mensch, so führte Professor Mauer aus, kann ohne einen Sinn des Lebens kaum mehr existieren. Die christliche Sündenlehre aber ist wahrlich keine Erfindung der Pfaffen, sie zeigt vielmehr Grundtatsachen des menschlichen Daseins auf, die nur Zeitaltern eines vermessenen Optimismus, Epochen, die von kollektiven Rauschzuständen erfüllt waren, verborgen bleiben konnten.

Das tragische Lebensgefühl kann von Gott weg führen. Es kann aber auch die Basis für die Bekehrung zum Christentum werden zur Anerkennung des Kreuzes führen. Gott ist die einzige bleibende absolute Größe in der Wirrnis \ der Zeiten, die Religion das Gegenüber von Gott und Mensch, die Kirche der Gegenpol iura Leviathan Staat. Hinter allem Geschehen aber steht die Gestalt des Gottmenschen Christus, dessen Anerkennung allein uns eine Humanitas verbürgt, die nicht der Dämon i-erung verfällt.

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