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Die Soziale Summe Papst Pius XII.

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Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII. Von A. F. Utz und J. F. Croner. Zwei Bände. 2454 Seiten. Paulus-Verlag, Freiburg, Schweiz

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Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius XII. Von A. F. Utz und J. F. Croner. Zwei Bände. 2454 Seiten. Paulus-Verlag, Freiburg, Schweiz

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Die uns jetzt vorgelegte Soziale Summe des zwölften Pius' geht linear von den Sozialen Enzykliken

- Leos XIII. und Pius' XI. aus. Beide Päpste hatten bereits das, was die Kirche in der Neuzeit zur sozialen Frage zu sagen hatte, in den Grundzügen formuliert. Pius XII. nimmt jedoch in seinen Kundgebungen zur Neuordnung der Gesellschaft und Wirtschaft Bezug auf eine gegenüber der Jahrhundertwende und auch gegenüber den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts völlig gewandelte Gesellschaft, er geht ein auf die neuen Formen der Ausbeutung, auf die Techniken und Organisationsgebilde von heute und den Menschen der Gegenwart, den der Hinweis auf den sozialen Skandal nicht mehr unvorbereitet trifft. Die Reden und Publikationen Pius' XII. reichen aber um ein erhebliches Stück über die beiden khssischen Sozialen Enzykliken hinaus. Nicht in der Systematik. Das vorliegende Werk hat keineswegs die Geschlossenheit etwa von Quadragesimo anno. Wenn Systematik vorhanden ist, dann haben sie die beiden Herausgeber geschaffen, handelt es sich im Wesen doch um Reden, die der Heilige Vater zu

. den unterschiedlichsten Anlässen gehalten hat, so zum Beispiel vor Schneidern und vor Bankiers. Wenn die Reden und Kundgebungen des gegenwärtigen Papstes sich von Kundgebungen früherer Päpste unterscheiden, dann durch den stärkeren Wirklichkeitsbezug der Interpretation der Offenbarungswahrheit, durch den kühnen Vorstoß in die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Prozesses. Wo Rerum novarum abstrakt ist und, wegen der kaum noch vorhandenen Transparenz des Phänomens der Wirtschaft, sein muß, weil der Apparat zur Wirklichkeitsanalyse noch defekt ist, vermag Pius XII. wesentlich konkreter und bestimmter zu sein. Man kann daher sagen, daß das vorliegende Werk von den zwei Sozialenzykliken in jenem Ausmaß an Wirklichkeitsnähe unterschieden ist, in dem die Erkenntnis und Analyse des sozialen Prozesses gewachsen ist.

Bei Beurteilung des Werkes muß, wie oben erwähnt, vorsorglich darauf Bedacht genommen werden, daß die einzelnen Reden und Botschaften an oft völlig verschiedene Fach- und Interessentengruppen gerichtet wurden. Daher ist die vollendete sachliche Darstellung oft vermengt mit Formulierungen, die diktiert wurden vom Bemühen des päpstlichen Gastgebers, seinen Besuchern zwar die eine und zeitlose Wahrheit zu verkünden, aber in iner die Gäste nicht verletzenden Form. . Das Werk der Autoren und Uebersetzer liegt vor allem in der Anlage eines ganz hervorragenden Sachregisters und in einer systematischen Gliederung des Stoffes, wodurch ein Ganzes geschaffen wird, so daß der Terminus „Summe“ gerechtfertigt erscheint. In der Anlage ist das zweibändige Werk, ähnlich dem Buch „Mensch und ' Gemeinschaft in christlicher Schau“ von E. Marmy. ebenfalls im Paulus-Verlag erschienen, welches die Kundgebungen der Päpste eines ganzen Jahrhunderts zur gesellschaftlichen Neuordnung ebenfalls gesammelt wiedergegeben hat.

Neben den Reden und Botschaften des Heiligen Vaters haben die Herausgeber dem Werk die „Päpstlichen Briefe“ angefügt, Erläuterungen zu päpstlichen Entscheidungen, die Monsignore (jetzt Erzbischof) Montini zum Verfasser haben.

Es ist unmöglich, bei Besprechung des Werkes in .t Einzelheiten zu gehen. An repräsentativen: Beispielen kann man jedoch sehen, wie die Kirche bemüht ist, in ihren lehramtlichen Kundgebungen den Bezug auf die jeweilige Situation zu nehmen. Man kann das sehen in der sehr vorsichtigen Stellungnahme zum Sozialismus, der nur so weit und ausdrücklich; ver- . urteilt wird, als er vom Marxismus bestimmt ist, der eben nicht getauft werden kann (S. 41, 319 ff.). Der Sozialismus wird also nicht im Prinzip mißbilligt, sondern dann, wenn er Wohlfahft und Freiheit gefährdet (S. 1467), wie im System des Kollektivismus. Der Papst ist für betriebliche Demokratie, für Vermenschlichung der betrieblichen Beziehungen. Daher wird auch der Gewerkschaftsgedanke begrüßt und nur soweit werden Bedenken, geäußert, als es sich um Entartungserscheinungen handelt (Syndikalismus), die den Gewerkschaftsgedanken korrumpieren (S. 1477, 16S7, 2450). Der Rückbezug der Kirche auf jene Elemente im Sozialismus, die christlichen Ursprungs sind, zeigt sich auch im nachdrücklichen Hinweis des Heiligen Vaters auf die Tatsache, daß das Eigentum die natürliche Frucht der Arbeit ist (S.. 346).

Die innerkatholischen Sozialköntroverseh haben bei Rerum novarum eine bestimmende Rolle gespielt. Diesmal sind es insbesondere die Fragen der Mitbestimmung (S. 1670), auf welche der Papst einzugehen gezwungen ist. Die nicht sehr eindeutigen Forderungen des Böchumer Katholikentages, geboren in einer einmaligen geschichtlichen Situation, gaben Anlaß zu Mißverständnissen. Daher der Hinweis, daß das Recht auf Mitbestimmung von dieser selbst zu unterscheiden ist. Der Lohnvertrag ist, wie Pius XII. ausdrücklich in einer Botschaft an den Wiener Katholikentag feststellt, soweit es sich um den „einfachen“ Lohnvertrag handelt, noch nicht identisch mit dem Recht auf wirtschaftliche, also unternehmerische Mitbestimmung.

Ein beachtlicher Teil der päpstlichen Kundgebungen ist der Frage des Eigentums gewidmet. Im Prinzip (und wo sachlich vertretbar) ist die Kirche für eine Kleineigentumswohnung, für eine Maximierung der Zahl der Eigentümer und nicht für ihre Reduktion (Sozialisierung und Monopolkapitalismus). In der Form des genossenschaftlichen Eigentums wird eine Möglichkeit für Kleinbetriebe gesehen, der Vorteile der Großbetriebe durch eine wirtschaftliche Integration teilhaftig zu werden.

Der Kapitalismus wird eindeutig verurteilt, soweit ex die Institution des Privateigentums benützt, um Reichtum größten Ausmaßes anzusammeln.

Neuerlich wird der gerechte Lohn gefordert, der, wenn auch keine streng rechenbare, so doch eine in gewissem Umfange bestimmbare Größe ist. Gerechter Lohn — das heißt aber Gegenleistung, nicht Almosen (S. 1427).

Wer das Sachregister überliest, ist erstaunt, welche Spannweite das Themenfeld hat, von der „Mode“ bis zum „Lebensstandard“, vom „Wucher“ bis zur „Berufsständischen Ordnung“. Das Fehlen eines katholischen Soziallexikon macht sich, je mehr das Lexikon der, Görres-Gesellschaft veraltet, störend bemerkbar. Aus diesem Grund ist das vorliegende Werk mit besonderer Genugtuung zu begrüßen, um SO; mehr, als es die. Stellungnahme der Kirche unmittelbar, in der Form der Dokumentation, bringt, wobei das schon, mehrmals erwähnte Register die Möglichkeit bietet, für jede im sozialen Bereich nur irgendwie relevante Frage die gegenwärtige kirchliche Lehrmeinung zu erfahren. Wer als Prediger, Politiker oder als Wissenschafter mit sozialen Problemen zu tun hat, kann an dem vorliegenden Werk nicht vorübergehen.

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