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Diskussion über Psychoanalyse

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In eiikr kürzlich in der „Furche“ veröffentlichten Besprechung eines Buches Emil Ludwigs über Freud schreibt der Rezensent, es sei jetzt, nachdem es wieder möglich wäre, auch über die Geistesarbeit eines jüdischen Gelehrten öffentlich zu sprechen, „Pflicht der freien Wissenschaft, unbekümmert um Tagesmeinungen und unbeeinflußt von unwissenschaftlichen Parteipositionen“, auch über die „zu Unrecht totgeschwiegenen Ideen“ der Psychoanalyse zu diskutieren, um so „die Wahrheit zu fördern und den Irrtum zurückzuweisen“. Es sei daher zu erwarten, daß es „in absehbarer Zeit auch in Wien, der Geburtsstadt der Psychoanalyse, wieder zu einer sachlichen Auseinandersetzung“ kommen werde, damit „das Körnchen Wahrheit“, das der psychologischen Theorie zu eigen sei, der psychologischen und medizinischen Wissenschaft zugute komme, soweit das bisher noch nicht geschehen ist*.

Wir bitten den Leser, das Schwergewicht der Betonung auf das Wort „sachliche“ Auseinandersetzung zu legen. Denn, gestehen wir offen: in der Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse vor 1938 entfernten sich Anhänger und Gegner leider oft vom Ideal der affektfreien wissenschaftlichen Sachlichkeit, die natürlich auch originäre Sachkenntnis einschließt, so daß die Auseinandersetzung in unproduktiven, affektgeladenen Schlagworten erstarrte. Erstarrte Vorurteile aber haben ein zähes Leben. Sie verleiten unbewußterweise dazu, daß man diskutiert, nicht um zu entscheiden, we recht hat, sondern um recht zu behalten. Es empfiehlt sich daher, diesmal rechtzeitig auf gewisse Diskussionserfordernisse aufmerksam zu machen, weil sonst ein sachliche und fruchtbare Auseinandersetzung mit dem heiklen und historisch vorbelasteten Thema Psychoanalyse wieder unmöglich würde. Geriete die neue Auseinandersetzung einfach in die alten Bahnen, es wäre besser, sie unterbliebe gänzlich.

Die Diskussion über Psychoa/ialyse setzt eine saubere Unterscheidung von Wissenschaft und Weltanschauung voraus. Man kann Freud “den Vorwurf nicht ersparen, daß er den Trennungsstrich zwischen seinen erfahrungswissenschaftüchen psychologischen und psychotherapeutischen Arbeiten und seinen philosophisch-weltanschaulichen Bekenntnisschriften (übrigens durchaus Alterswerken) viel deutlicher hätte ziehen müssen, als er es getan

* Der Resensent des Buches von Emil Ludwig „Der entzauberte Freund“ (Nummer 7 unseres Blattes) stellt von diesem Buche fest, „die Schreibweise des Buches s*i nicht nüchtern wissenschaftlich, sondern eher feuilletonistisch. Das Buch sei für eine Lesersdiaft bestimmt, die nicht in der Lage ist, den wirklichen wissenschaftlichen Wert oder Unwert einer Hypothese au unteisudieo.“ hat. Er selbst war sich dieses Unterschiedes übrigens durchaus bewußt. Er stellte seinen Freunden und Schülern die Stellungnahme zu seiner persönlichen Weltanschauung völlig frei. Einer seiner getreuesten Anhänger, der evangelische Pfarrer P f i s t e r, sprach sich bekanntlich entschieden gegen Freuds Weltanschauung aus. Die heutige Generation wird Freuds Weltanschauung kaum mehr interessieren. Für sie ist sie die Privatmeinung eines zweifellos bedeutenden Gelehrten, der hierin jedoch in vielem unverkennbar der Sprecher einer anderen Generation ist. Der Ausdruck • Psychoanalyse sollte daher ausschließlich zur Bezeichnung einer bestimmten tiefenpsychologischen Richtung und der damit zusammenhängenden Behandlungsmethode zur Heilung neurotischer Erkrankungen Verwendung finden, wie übrigens Freud selbst vorschlug. Der psychoanalytischen Schule gehöre, so meinte er, im Unterschied zu anderen Schulen nur derjenige an, der die Lehren von der „Verdrängung“, von der Wichtigkeit der Kindheitserlebnisse und der ätiologischen Bedeutung des Sexuallebens für die Neurosenentstehung sowie die Phänomene der „Übertragung“ und des „Widerstandes“ als Behandlungssymptome anerkenne. Und nur der erfahrungswissenschaftliche Gehalt der „empirischen Psychoanalyse“ interessiert uns und stehe in Zukunft zur Diskussion! Ihn gilt es herauszulösen aus seiner historischen Verflechtung mit Weltanschauung und Psychologie des 19. Jahrhunderts.

Zur Frage: WahrheitoderTrrtum der erfahrungswissensdhaftlirhen Thesen der Psychoanalyse kann sich vernünftigerweise nur derjenige äußern, der, mit den Tatbeständen sowohl des gesunden wie des neurotisch erkrankten Seelenlebens durch eigene Forschung und Anschauung vertraut ist. Nur dieser kann wissen, welche Aussagen der Psychoanalyse sich auf Erfahrungstatsachen beziehen (oder beziehen wollen) und welche von vornherein nur als Theorien zur versuchsweisen Erklärung dieser Tatsachen angesetzt sind. Ferner müssen auch die empirisch gemeinten Aussagen der Psychoanalyse wieder eingeteilt werden in solche, die unter gewissen Bedingungen bereits der normalpsychologisdien Beobachtung und Nachprüfung zugänglich sind, und solche, die nur in der besonderen Situation der tiefenpsychologischen Behandlung, mithin meist als Eigentümlichkeiten bloß des neurotisch erkrankten Seelenlebens erfahrbar und verifizierbar sind. Gerade aus der Nichtbeachtung dieser verschiedenartigen, ziemlich verwickelten Verifikationsverhältnisse entsprangen bisher die meisten Unklarheiten und Mißverständnisse im Streit um die ..empiriche“ Psvchoanalvse. Schon die Nomulpsyehologia alt reiße Bewußtseinspsychologie hat ja dauernd mit dem Vorurteil zu kämpfen, daß sich jedermann zutraut, über die Behauptungen der wissenschaftlichen Psychologie urteilen zu können. Und dies einfach deshalb, weil er meint, er wisse um das Seelenleben aus der eigenen Erfahrung hinreichend Bescheid. Es genüge ein Blick in sein Inneres. Aus dieser naiven Einstellung entspringen aber zum Beispiel Behauptungen wie die folgende, die ich neulich in einer an sich recht vernünftigen Abhandlung über die Erzieherpersönlichkeit las: „Die Tatsache der Erziehung dürfte entschieden leichter zu analysieren sein, als die Vorgänge, die etwa bei der Herstellnng des Schuhes in Betracht kommen.“ Begründung: Hier seien es Tätigkeiten objektiv-technischer Art, dort rein mensdiliche Vorgänge, die dem „unmittelbar einfühlenden Verständnis“ (!) jedermanns (!) zugänglich seien. Ist eine solch unkritische Einstellung schon dem bewußten Seelenleben gegenüber eine Quelle nie versiegender Unklarheit und Begriffsverwirrung, so erst recht den Tiefenschichten der Seele gegenüber, deren Existenz wir vor allem seit Freuds Arbeiten nicht mehr bestreiten können. Ihre nähere Erforschung stellt die erfahrungswissenschaftliche Psychologie noch vor viele Aufgaben. Vereinzelt beginnt man aber bereits gegenwärtig — sine ira et studio — mit der empirischen Nachprüfung der psychoanalytischen Thesen (so in der Schweiz, aber auch in Holland). Es ist kaum zu bezweifeln, daß man sich früher oder später auch über die Zuverlässigkeit derjenigen Beobachtungen schlüssig werden wird, die man nur in der „analytischen Situation“ machen . kann, in die man sich als kritischer Überprüfer mithin auch selbst hineinbegeben muß! Was haltbar ist an der Psychoanalyse, wird so teils in die Normalpsychologie, teils in die medizinische Psychologie als unverlierbarer Besitz eingebaut werden. Das andere aber wird von selbst im Fortschritt der Wissensdiaft der verdienten Vergessenheit anheimfallen.

Es braucht nach dem eben Gesagten kaum mehr begründet zu werden, daß der Ort für die sachliche Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse nicht die breite Öffentlichkeit sein kann, sondern nur der Kreis dar zuständigen Ärzte, Psychologen und der beruflich mit der Aufgabe der Seelenführung und der seelischen Hygiene Befaßten. Die breite Öffentlichkeit ist ja niemals in der Lage, den wissenschaftlichen Wert oder Unwert einer Hypothese zu beurteilen und sie kann daher sehr leicht pro oder contra irregeführt werden. Es genügt vollkommen, wenn die Öffentlichkeit erfährt, daß es der Psychotherapie gelungen ist, durch die gemeinsame Forschungsarbeit vieler Gelehrter (unter ihnen zweifellos an hervorragender Stelle Siegmund Freud) die so stark verbreiteten neurotischen Erkrankungen ganz oder teilweise erklärbar und heilbar zu machen. Nur darüber, sowie über die neu erzielten Fortschritte' sollte öffentlich berichtet werden, weil man damit der leidenden Menschheit einen Dienst erweist. Die meisten ernstzunehmenden psychotherapeutischen Bücher, darunter auch dir Schriften Freuds (von den Schriften vieler seiner Schüler sieht man am besten überhaupt ab), gehören daher nur in die Hand des Wissenschaftlers und Psychotherapeuten. Sie sind und waren nicht für die Hand der Laien bestimmt, die sie nur zu leicht zu pikanten Sexualschnüffeleien mißbrauchen und gründlich mißverstehen. Es muß bei dieser Gelegenheit auch einmal offen ausgesprochen werden, daß es für den an einer Neurose erkrankten Menschen nicht sonderlich von Vorteil ist, sich mit halb- oder gar nicht verstandenem tiefenpsychologischem Wissen in eine Behandlung zu begeben. Es ist besser, hierin „ungebildet“ zu bleiben. Daß man dem literarischen Mißbrauch der psychoanalytischen Fachliteratur nicht von vornherein energisch genug entgegengetreten ist, von die em Vorwurf kann man die Freudschule der früheren Zeit nicht ganz freisprechen. Nur muß man gerechterweise auch daran erinnern, daß die Vertreter der damaligen ärztlichen Wiener Wissenschaft Freud völlig in die Vereinsamung gestoßen, also in eine Art wissenschaftliches Exil gedrängt haben, lange bevor der 83jährige Mann auch ins politische Exil gehen mußte. Er war daher gezwungen, sich um Mitarbeiter auch außerhalb des Kreises der engeren Fachkollegen umzusehen.

Diese Feststellungen und Wünsche sind niemandem zur Freude und niemandem zu Leide ausgesprochen. Sie enthalten auch keinerlei inhaltliche Vorentscheidung über das Thema: Wahrheit und Irrtum in der Psychoanalyse. Vielleicht legen sie bloß Zeugnis ab von einer etwas geänderten Denkweise einer jüngeren Generation von Wissenschaftlern, die als Vorteil für sich buchen kann, sich in einem größeren zeit-' liehen Abstand von dem Streit der ersten Jahrzehnte zu befinden und aus den Fehlern der Vergangenheit lernen zu können.

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