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Düstere Ahnung

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Bereits im Jahre 1931 mußte der Verfasser dieser Zeilen in der damaligen „Germania“, Berlin, darauf hinweisen, daß der Rechtspositivismus nicht nur die tragende Rechts- und Staatsidee des Faschismus war, sondern diesem auch in exakt-wissenschaftlicher Weise die juristische Rechtfertigung für seine Minderheitenpolitik, nicht zuletzt gegenüber der deutschen Volksgruppe in Sütirol, lieferte. Es mag ein Zufall sein, daß derselbe Verfasser im gleichen Jahre, in dem die erste Auflage der „Reinen Rechtslehre“ von Kelsen erschien, in der damals führenden österreichischen Zeitung „Die Reichspost“ in einem Aufsatz über den „totalen Staat im Lichte der Volksdeutschen Politik“ schon auf die unausbleiblichen Folgen hinweisen mußte, die dieser Rechtspositivismus in seiner extremen Ausbildung, in der Lehre vom totalen Staat, einmal für die deutschen Volksgruppen im Ausland haben müsse. Was damals erst bloße Ahnung war, ist in erschreckender und vielfacher Auflage und Vergrößerung als Vernichtung der Kulturarbeit eines ganzen Jahrtausends eingetreten.

Daß nach dem völligen Zusammenbruch dieser beiden totalitären Rechtssysteme eines zur Staatsallmacht gewordenen Rechtspositivismus die Sehnsucht nach einer Wiederaufwertung des Menschen auch in der Rechtsordnung ihre Wiedergeburt in der Hinwendung zum naturrechtlichen Denken erlebte, ist nicht weiter zu verwundern. Es ist der Gedanke eines natürlichen, mit dem Wesen des Menschen selbst gegebenen Rechtes, der den Anspruch erhebt, die fundamentale Ordnung zu enthalten, deren der Mensch bedarf. Nichts macht wohl diesen Wandel des Rechtsdenkens deutlicher als gerade die Entwicklung des Völkerrechtes, wie sie in der Anerkennung der Menschenrechte zum Ausdruck kommt.

Wenn Österreich einerseits die Konvention zum Schutze der Menschenrechte ratifizierte, anderseits aber der Verfassungsgerichtshof in einem Erkenntnis jüngst zum Ausdruck brachte, daß diese noch nicht unmittelbar anzuwendendes Recht beinhalte, sondern erst dem Staat die Verpflichtung zur Normierung der in dieser Konvention enthaltenen Grundsätze im positiven Recht auferlege, so läßt dies deutlich noch das Vorherrschen rechtspositivi-stischen Denkens erkennen. Es ist dies wohl um so mehr zu bedauern, als Österreich mit Kelsen wohl den prominentesten Vertreter dieses Rechtspositivismus gestellt hat.

Dieses rechtspositivistische Denken ist aber durchaus nicht auf jene Kreise beschränkt, denen unsere Rechtsordnung die Wahrung des Rechtes anvertraut hat. Auch für den einfachen Menschen ist die einfachste Form des rechtlichen Denkens jene, die ihn von jedem eigenen Denken und jeder eigenen Überlegung enthebt und ihn damit gleichzeitig auch von jeder eigenen Verantwortlichkeit — im Rahmen dieses positiven Rechtes — entbindet.

In dieser Verlagerung der Verantwortlichkeit vom Einzelmenschen auf die Kollektive, sei es der Klasse, der Nation, des anonymen Staates, aber liegt die große Gefahr, eine Gefahr, die nicht nur das Merkmal des autoritären Staates aller Schattierungen ist, sondern auch der Demokratie nicht mangelt, der Demokratie vielleicht in noch größerem Umfange, weil ein nach den demokratischen Spielregeln zustande gekommener Mehrheitsbeschluß nach dem Grundsatz ,,vox populi, vox Dei“ den Staatsbürger unwillkürlich zu einer gewissen Gedankenträgheit verleitet, daß das, was eine Mehrheit für Recht erachtet hat, schließlich doch immer und in jedem Falle Rechtens sein müsse.

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