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Dunkle Drohung

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Die Geschichte des Psychiaters Dr. Badovan Karadzic ist noch lange nicht zu Ende. Wie kann ein einst international ernstgenommener Psychiater, der auf manchen Kongressen gute Figur machte, in die Situation geraten, als Kriegsverbrecher angeklagt zu werden, und zwar mit unwiderleglichen Beweisen für Taten, die dem hippokratischen Eid eines Arztes (der er ist) auf haarsträubende Weise hohnsprechen? Befehle zu Massenmord und fanatischer Nationalismus, also verbrecherischer Irrationalismus, Wahnsinnstaten gegen jegliche Humanität - dies alles kommt von einem Mann, der sein bisheriges Leben mit der Heilung von Neurosen und der Behandlung von Psychosen zugebracht hat?

Von einem Arzt, der Sigmund Freuds Schriften sehr wohl studiert hat und dessen Kampf um Frieden, Vernunft und Menschlichkeit anläßlich der beiden Weltkriege natürlich kennt? Karadzic hat sich auch als Lyriker und literarische Persönlichkeit keineswegs erfolglos bemüht - und dennoch war es möglich, daß derselbe Mann nicht nur einem nationalen Wahnsinn verfällt, sondern auch die ihm folgenden Massenmorde befiehlt.

Dazu kommt, daß Dr. Karadzic sich als religiösen Menschen sieht. Er nimmt an den Bitualen der orthodoxen Kirche teil. Kürzlich erklärte er in einem Interview mit dem französischen Autor Patrick Besson (der ebenso im konservativen „Figaro" wie in der kommunistischen „Humanite" publizierte): „Ehrlich gesagt, glaube ich, daß ich eine psychiatrische Klinik haben werde. Meine Frau ist Psychiaterin, meine Tochter studiert Medizin ... Ich will, daß meine Klinik eine sehr gute Klinik sein wird, die beste in ganz Ex-Jugoslawien."

Karadzic bekennt weiters: „Wenn ich von einer Front zu anderen fahre, höre ich ununterbrochen klassische Musik. Ich habe in mein gepanzertes Auto eine Stereoanlage einbauen lassen und höre viel Mozart. Ihn liebe ich am meisten. Das Requiem', ,Figaros Hochzeit' und Flötenquartette. Mozart steht endgültig über allen anderen."

Wer denkt dabei nicht an die schöngeistigen und Cello oder Klavier spielenden Ärzte in den KZs der Nazi, die dies mit Lebendversuchen an Menschen vereinbaren konnten? Dostojewski und Freud haben nicht ausgereicht, die menschlichen Abgründe darzustellen.

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