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Eigentum zwischenWestundOst

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Es ist verständlich, daß auch ein Dokument wie die päpstliche Sozialenzyklika „Mater et Magistra“, das teils an überzeitlichen, teils an auf lange Sicht hin konzipierten moralischen Begriffen orientiert ist, einem historischen Weltkonflikt, wie dem gegenwärtigen Machtkampf zwischen West und Ost — in welchem gleichfalls moralische Probleme involviert sind —, nicht beziehungslos gegenüberstehen kann, sondern seine Spuren tragen und eine Stellungnahme ihm gegenüber erkennen lassen muß. Man bedenke, was der Ost-West-Konflikt, vom Standpunkt der Kirche aus gesehen, bedeutet. Einerseits ist es das unübertragbare Grundprinzip der Kirche, das ihr vom göttlichen Stifter selbst eingepflanzt und auferlegt ist, daß sie die geistige Mutter aller Völker ist, bestimmt, sie alle, ohne Ausnahme, zu missionieren, so daß von ihr die durch den gegenwärtigen Weltkonflikt und dessen sozialphilosophische und moralische Inhalte gegebene Beschränkung auf den Okzident niemals als endgültig begriffen und bejaht werden kann, vielmehr stets die Möglichkeit im Auge behalten werden muß, den russisch-orthodoxen und den buddhistischen Machtbereich — die beide dem Kommunismus geöffnet und mit ihm weitgehend identifiziert sind — wieder der kirchlichen Mission zu öffnen, also einen Modus vivendi mit der Ostwelt zu erreichen. Anderseits ist die Enzyklika „Mater et Magistra“ — die dazu bestimmt ist, das 70-Jahr-Jubiläum der grundlegenden Sozialenzyklika „Rerum novarum“ zu feiern — selbstverständlich an die Lehrtradition derselben gebunden, welche, gemäß der Feststellung ihres ausgezeichneten Kenners, des Paters Arth.-Fridolin Utz OP., ein Grundelement der individualistischen Naturrechtslehre Lockes. nämlich die These vom naturrechtlichen Charakter des Eigentumsprinzips, i n sich aufgenommen hat und daher jede sozialistische oder kommunistische Gesellschafts- und Eigentumsauffassung als dem moralischen Naturgesetz widersprechend, das heißt, als schlechthin widernatürlich betrachten muß; diese sozialphilosophische Haltung aber schließt selbstverständlich jede Verständigung mit der kommunistischen Ostwelt, jede Mission innerhalb derselben, unbedingt aus, weil sie ja die Konsecmenz beinhaltet, daß ein etwa zum Katholizismus bekehrtes Mitglied dieser Ostwelt dieselbe verlassen oder gegen ihre Gesellschaftsstruktur kämpfen müßte, da er als Katholik ja nicht in der Naturwidrigkeit leben dürfte.

Die Problematik der neuen Enzyklika erscheint aber noch gesteigert durch die Tatsache, daß auch die Lehrtradition, die von der Enzyklika „Rerum novarum“ zur Enzyklika „Mater et Magistra“ hinführt, gerade im Hinblick auf die sozialphilosophische Wertung des Privateigentums nicht einfach eine gerade Linie darstellt, sondern in der bedeutenden — der Feier des 50-Jahr-Jubiläums der Enzyklika „Rerum novarum“ dienenden und in der Enzyklika „Mater et Magistra“ zitierten — Rundfunkbotschaft Papst Pius' XII. vom 1. Juni 1941 eine bemerkenswerte radikale Ausbiegung zeigt, die die Möglichkeit

einer Überbauung des ideologischen Konflikts zwischen Ost und West in sich schließt. Da nun die erwähnte Doktrin Pius' XII. auf genuin tho-mistische Gedanken zurückgeht, müssen wir die Eigentumslehre des heiligen Thomas näher beleuchten.

Doppelnatur des Eigentums

Die zentrale Stelle der „Summa Theologica“ des heiligen Thomas über Privateigentum und Gemeinbesitz lautet: „Die Gemeinsamkeit der Dinge geht auf das Naturrecht zurück; nicht als ob das Naturrecht gebieten würde, alles in Gemeinschaft und nichts als Eigentum zu besitzen, sondern weil es auf Grund des Naturrechtes keine Linterscheidung des Besitzes gibt, sondern mehr auf Grund menschlicher Verfügung; und das gehört in den Bereich des gesetzten — positiven — Rechts. Deshalb ist das Privateigentum nicht gegen das Naturrecht, sondern

wird dem Naturrecht hinzugefügt auf Grund der Findung durch die menschliche Vernunft (S. Th.II/H, 66, 2adl). Der gemäß dieser Lehre im naturrechtlichen „Urzustand“ bestehende rein „negative“ Kommunismus, das heißt die bloße Unterscheidungslosig-keit des Besitzes, der allgemeine Benützungsanspruch aller auf alle Dinge, über den dann die menschliche Vernunft die Privateigentumsordnung als ihre eigene schöpferische Erfindung baut, gewinnt allerdings, gemäß derselben thomistischen Doktrin, eine erschreckend wuchtige Realität, die Realität eines unaufhebbaren Rechtsanspruchs der Bedürftigen auf den Überfluß der wenigen, im Falle der extremen, die Todesgefahr in sich schließenden Not eines Menschen; in dieser Situation lebt die Urgemeinsam-keit aller Dinge — die im Normalzustand latent unter der Privateigentumsordnung fortdauert — wieder auf und berechtigt ihn, das Lebensnotwendige zu rauben, ohne jede Strafwürdigkeit oder Wiedererstattungspflicht. Der heilige Thomas sagt diesbezüglich (66, 7, Resp.): „Was menschlichen Rechtes ist, kann dem Natur-recht oder dem göttlichen Recht nicht Abbruch tun. Nach der Ordnung der Natur ist aber von der göttlichen Vorsehung her bestimmt, daß die niederen Dinge dazu da sind, der mensch-

lichen Bedürftigkeit aufzuhelfen. Deshalb hindert die Verteilung und Zueignung der Dinge, die nach menschlichem Recht vor sich geht, nicht, daß der Not des Menschen durch eben diese Dinge begegnet werden muß. Daher ist der Überfluß, den einige haben, auf Grund des Naturrechtes dem Unterhalt der Armen geschuldet... Wenn aber so dringende und offenbare Not herrscht, daß man der gegenwärtigen Notlage mit den vorhandenen Mitteln zu Hilfe kommen muß, zum Beispiel wenn Lebensgefahr im Verzug ist und anders nicht geholfen werden kann, dann ist es erlaubt, aus fremdem Gut seiner eigenen Not aufzuhelfen, ob man nun die Sachen offen oder heimlich wegnimmt. Auch hat das nicht eigentlich die Bewandtnis des Diebstahls oder des Raubes.“ Während also für den heiligen Thomas das Privateigentum eine menschlich-vernünftige Erfindung darstellt —

als solche ratsam wegen der Vorteile, die sie im Hinblick auf die „bessere“ Verwaltung der Güter gegenüber dem Gemeineigentum in sich schließt (Summa Theol. II/II, 57, 3, Resp.), aber keineswegs etwa naturnotwendig —, stellt für ihn das oberste, schlechthin unabdingliche, göttlich-natürliche Rechtsprinzip die Bestimmung der natürlichen Dinge zur Abhilfe der menschlichen Bedürftigkeit dar, das heißt ihre Bestimmung zur Behebung der Notdurft der Menschen. Die Zeit ist noch nicht reif

Papst Pius XII. nun baut diese letztgenannte Doktrin des heiligen Thomas — allerdings ohne Beseitigung der von Papst Leo XIII. im Anschluß an Locke gelehrten Naturrechtsqualität des Privateigentums — in seine oben erwähnte, im Drang des Weltkrieges und unter dem Eindruck des Heraufkommens einer neuen Ära sozialer Wirtschafts- und Lebensgestaltung konzipierte Rundfunkbotschaft vom 1. Juni 1941 in fast wörtlicher Anlehnung an den Thomas-Text ein. Johannes XXIII. zitiert dies so: „Was die Nutzung der Erdengüter betrifft, so bejaht Unser Vorgänger, daß das Recht jedes Menschen, diese Güter zu seinem Lebensunterhalt zu nutzen, einen Vorrang hat vor jedem anderen Recht wirtschaftlichen Inhalts, also auch gegenüber dem Recht auf Eigentum. Gewiß, so fügt Unser Vorgänger bei, auch das Recht auf Eigentum an Gütern ist ein natürliches Recht; nach der objektiven, von Gott eingerichteten Ordnung ist das Recht auf Eigentum jedoch so zu gestalten, daß es kein Hindernis bildet für die Erfüllung der unumstößlichen Forderung, daß die Güter, die Gott für die Menschen insgesamt schuf, im Ausmaß der Billigkeit nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Liebe allen zuströmen.“ Wenn nun aber das natürliche Recht jedes Menschen, die Erdengüter zu seinem Lebensunterhalt zu benutzen, den unbedingten Vorrang hat gegenüber dem gleichfalls natürlichen Recht auf .Eigentum, das demgemäß so gestaltet und umgestaltet werden kann und muß, daß es kein Hindernis bildet für die Erfüllung der erstgenannten, grundlegenden Forderung, so öffnet sich damit ein Weg, um sowohl der Eigentumsordnung der westlichen wie der östlichen Welt gerecht zu werden, das heißt, sie b e i d e als m ö g 1 i c h e

Lösungen des Problems der Unterhaltssicherung für alle unter je verschiedenen Umständen und im Rahmen verschiedener nationaler Lebensgefühle und geistiger Traditionen zu begreifen, sie beide also vom Standpunkt einer höheren, neutralen Warte aus zu beurteilen und so die Kirche über den historischen Ost-West-Konflikt hinauszuheben.

Auf die West-Ost-Spannung wird direkt Bezug genommen, wenn die Enzyklika feststellt, daß zwar die „Überzeugung von einer unumgänglich notwendigen Verständigung und Zusammenarbeit sich durchsetzt“, daß aber die Verantwortung tragenden Menschen „sich als unzulänglich erweisen, sowohl das eine wie das andere zu verwirklichen“, und daß „die Wurzel dieser tatsächlichen Unfähigkeit... im Mangel an gegenseitigem Vertrauen zu suchen ist“, das heißt darin, daß „die Menschen, und folglich auch die Staaten, Angst vor einander haben“, „die Angriffsabsichten des anderen“ fürchten und daher „Vorkehrungen zur Abwehr treffen“.

Der Grund dieses fehlenden gegenseitigen Vertrauens wird gesucht in der „Tatsache, daß die Menschen, besonders die verantwortlichsten... sich von unterschiedlichen oder radikal entgegengesetzten Lebensauffassungen leiten lassen“, wobei „in einigen dieser Anschauungen die Existenz einer moralischen Ordnung, eine transzendente, universale, absolute und für alle gleich geltende Ordnung, überhaupt nicht anerkannt wird“, so daß „die Möglichkeit... der vollen und sicheren Verständigung im Lichte ein und desselben gemeinsam anerkannten und von allen befolgten Gesetzes der Gerechtigkeit abnimmt“, das ja nur als in Gott verankert zu denken ist (pp. 56 bis 57).

Direkte Kritik wird an der geistigen Haltung des Ostens geübt, wenn angespielt wird auf den Zusammenhang zwisch i „Ideologien, die vom Menschen nur einige Seiten, oft nicht einmal die tieferen, sehen“, die insbesondere „das religiöse Bedürfnis des menschlichen Geistes als Ausdruck des Gefühls oder der Phantasie ... als zufälliges Produkt, das als anachronistisches Element, als Hindernis für den menschlichen Fortschritt, zu überwinden sei, betrachten“, und dem „Unmenschlichwerden des von Gott losgetrennten Menschen“ sowie dem „jahrzehntelangen Wüten der Christenverfolgung in vielen Ländern, auch solchen von alter christlicher Kultur“ (pp. 59 bis 60); wie auch an früherer Stelle der Enzyklika betont wird, daß dort, „wo die politischen Herrschaftssysteme das Recht auf privates Eigentum, auch an Produktionsgütern, nicht anerkennen, auch die fundamentalen Ausdrucksformen der Freiheit entweder unterdrückt oder ganz erstickt sind“ (p. 30).

Es entbehrt in diesem Zusammenhang nicht des Interesses, daß in der Enzyklika „Mater et Magistra“ auch ein Begriff geprägt wird, der ein einheitliches Begreifen der westlichen und der östlichen Sozial- und Wirtschaftsstruktur eben vom Boden der leonischen Tradition des naturrechtlichen Charakters des Privateigentums aus gestattet. Es wird nämlich anerkannt, daß „auch der Staat und die anderen öffentlichen Rechtsträger rechtmäßig Produktivgüter als Eigentum besitzen können“ (p. 32), wodurch — allerdings unter Aufopferung der römisch-rechtlichen Wesensunterscheidung zwischen privatem und öffentlichem Eigentum — auch die grundlegende kommunistische Staatseigentums-ordnung in den Kreis des von der leonischen naturrechtlichen Eigentumslehre her Begreiflichen einbezogen und so die ideologische Kluft zwischen West und Ost verringert erscheint. Das Ergebnis dieser neuartigen Gedankenkonstruktion ist eine Art Mittelweg zwischen westlicher und östlicher Wirtschaftsgesinnung: „Damach dürfen der Staat und die anderen öffentlich-rechtlichen Gebilde ihr Eigentum soweit ausdehnen, als Gründe von offenkundiger und wirklicher Notwendigkeit des Gemeinwohls es verlangen, und nicht zu dem Zweck, das Privateigentum zu beschränken oder gar ganz aufzuheben“ (pp. 32 bis 33).

Darüber hinaus jedoch ist der Heilige Vater in der Richtung einer Überbauung des West-Ost-Konflikts durch eine beiden Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen gerecht werdende und daher beiden überlegene These nicht gegangen. Ich möchte glauben, daß der Heilige Vater diese abschwächende Form wählte, die die Soziallehre der Kirche in der Tat an den okzidentalen Wirtschafts- und Gesellschaftsbegriff heranrückt und dem östlichen entgegenstellt, weil er die Zeit für eine radikale Neutralstellung der Kirche, für eine radikale Erhebung über beide Wirtschafts- und Sozial-systeme für noch nicht gekommen hält, wie ja tatsächlich der Osten für eine Verständigung mit der Kirche noch nicht bereit, der Westen aber noch zu sehr in sich und seine Kampfstellung versenkt erscheint, um ohne schwere Erschütterung des christlichen Bewußtseins eine Erhebung der Kirche

über die westliche Sonderposition auf-----1____

Bild des Menschenvaters

Die violette Bußfarbe der Kirche, der gestraffte Emst der Liturgie, das Schweige des Alleluja: das alles vollzieht sich im gottesdienstlichen Kaut, ohne daß der Fasching draußen gestört würde. Über den inneren Sinn der kurzen Vorfastenzeit gibt es verschiedene Deutungen. Eine von ihnen besagt, daß noch vor der eigentlichen Reinigung und Erneuerung die ruhige Selbstbesinnung stehen muß. Am Aschermittwoch wird die Wahrheit, daß wir „Staub sind und zum Staube zurückkehren“, zu allen Christen gesprochen. Am Sonntag Septuagesima, an dem die Kirche ihre Schriftlesung mit dem Buche Genesis beginnt, stellt sie den vor Augen, zu dem diese Bestimmungsworte zum erstenmal gesprochen wurden: Adam, den Vater aller Menschen. Auch am Tag vor dem Weihnachtsgeheimnis gedenkt sie des ersten Menschenpaares. In dieser Faschingswoche ist im Stundengebet wieder von ihm die Rede. Von seinem paradiesischen UrStand, seinem Sündenfall und dem dauernden Los seiner Nachkommenschaft. Das

Bild Adams trägt für uns keine individuellen Züge. Aber gerade dieser Urvater, der einen Namen trug und ein menschliches Antlitz wie wir, ist uns Zeichen der Besinnung. Wir stammen weder von Göttern und Halbgöttern ab, wie dies Heiden von sich rühmten, noch kommen wir aus dem dumpfen Instinktreich der Tiere. Wir haben einen menschlichen Ahnen, der ein hinfälliger Sünder wurde und der doch nach dem Ebenbild des persönlichen Gottes geschaf'en war. An diese beiden Wirklichkeiten unserer Adamsexistenz müssen wir denken, sobald wir versuchen, uns über uns Rechenschaft zu geben: Daß wir Gotteskinder sind, mit allem Adel unzerstörbar ausgestattet, und daß wir Nachkommen eines Sünders sind, der uns eine Welt hinterließ, die kein Paradies mehr ist und nie mehr eines sein wird. Ganz weit am Horizont unseres Denkenkönnens steht seine Gestalt Im Frührot der Geschichte: Der Mann aus Erde, vom Anhauch Gottes belebt, unser ferner Vater.

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