6551180-1947_44_05.jpg
Digital In Arbeit

Ein neues phy sikalischesWeltbild

Werbung
Werbung
Werbung

Nur wenige haben kürzlich die Tragweite der Nachricht vom Tode des berühmten theoretisdien Physikers und Nobelpreisträgers Prof. Dr. Max Planck in Göttingen ermessen können. Die Ursache liegt «um guten Teil darin, daß eine technisch orientierte und interessierte Epoche m erster Linie natürlich von großen technischen Erfindungen beeindruckt wird, während jene gewaltigen geistigen Umwälzungen, welche die notwendigen Vorläufer technischer Neuerungen sind — man denke da etwa an die Maxwellsche Elektrodynamik und die darauf basierende moderne Radiotechnik — von der breiten Masse unbe-. achtet bleiben; und dies nicht nur, weil es dem Laien naturgemäß unmöglich ist, den meist höchst komplizierten Gedankengängen zu folgen, sondern .vor allem auch deswegen, weil seinem auf das Nützliche gerichteten Verstand die Notwendigkeit solcher abstrakter, scheinbar keinem praktischen Zweck dienenden Forschungen unverständlich bleiben muß.

Trotzdem sickern eine„ Reihe von Schlagworten aus jenen höchsten geistigen Bereichen durch die populäre Literatur* durch Radio und Zeitung in die Masse ein und werden ihr bald verhältnismäßig vertraut: Begriffe wie „Atom“, „Elektron“, „Relativität“ von Raum und Zeit, „Atomzertrümmerung“ und viele andere, die im gleidien Atem mit politischen oder sportlichen Ereignissen und Sensationen gebracht werden.

Von diesen Dingen nun ist der Begriff des Quants ebenfalls bereits populär geworden. Der gebildete Laie zumindest weiß, daß jener Begriff für immer mit dem Namen Max Plancks verbunden bleibt.

Es war jener denkwürdige 14. Dezember 1900, als Planck, damals Professor der theoretischen Physik an der Universität Berlin, der dortigen Physikalischen Gesellschaft seine später so berühmt gewordene Hypothese der Energiequanten vorlegte und damit die Lösung des Rätsels der sogenannten Hohlraumstrahlung fand, die andere bedeutende Physiker vor ihm umsonst gesucht hatten, eine Lösung, die für die damaligen Vorstellungen von unbeschreiblicher Kühnheit war und mit der sich Plandc gleich - dem Begründer der Relativitätstheorie, Albert Einstein, zu einem der bedeutendsten Forscher dieses Jahrhunderts qualifizierte.

Der äußere Lebensweg dieses großen Mannes ist gekennzeichnet durch eine glänzende, rasche akademische Karriere: am 23. April 1858 in Kiel geboren, wurde der hochbegabte Physiker bereits mit 27 Jahren Professor an der Universität seiner Vaterstadt, um vier. Jahre später, 1889, als Nachfolger Gustav Kirchhoffs dessen Berliner Lehrstuhl zu .übernehmen. Neben verschiedensten Ehrungen durch wissenschaftliche Gesellschaften des In- und Auslandes, etwa der Gründung des Max-Planck-Insti-tuts in Berlin-Dahlem, errang Planck auch die höchste wissenschaftliche Auszeichnung, den Nobelpreis des Jahres 1918.

Max Planck, der 1930 Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften geworden war und 1945 auch mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfürt ausgezeichnet wurde, war einer der wenigen Großen, die während des letzten Völkerringens in Deutschland verblieben waren, obwohl er, gleich einigen anderen bedeutenden Gelehrten, wie Heisenberg, Hahn, Schrödinger und v. Laue, vor allem von seiten der durch Philipp Lenard und Johannes Stark geführten Richtung der sogenannten „Deutschen Physik“, heftig angegriffen und in die Reihe der „weißen Juden in der Physik“ gestellt wurde —, und dies .alles nur deswegen, weil es diese Männer I mit ihrer wissenschaftlichen Ehre nicht ver-teinbaren konnten, ihre genialen, um Jahrhunderte vorauseilenden Ideen kleinlichen rassischen 1 und nationalen Überlegungen unterzuordnen.

Hier nun der Inhalt dieser berühmten neuen Theorie, die — zusammen mit der Relativitätstheorie — dem physikalischen Weltbild ein vollkommen neues Gepräge gab, und die, eben wegen ihres an den Grundbegriffen rüttelnden revolutionären Charakters, nicht nur die theoretische Physik neu formte, sondern auch die Philosophen zwang, sich mit den modernen Ideen auseinanderzusetzen, ein Prozeß, der noch lange nicht abgeschlossen ist und zu immer neuen Versuchen um eine endgültige Klärung führt.

Die Schwierigkeit dieser neuartigen Gedanken ist vor allem darin begründet, daß ihnen bewußt keine anschauliche „Wirklichkeit“ zugeordnet wird. Die Grundannahmen Plancks stoßen auf große Schwierigkeiten in der menschlichen Vorstellungswelt, was aber — wenn diese Unansdiau-lichkeit dem Laien auch als Verlust erscheint — dem Wert der Theorie keineswegs Abbruch tat, im Gegenteil, es ist heute so, daß man bewußt auf Anschaulichkeit verzichtet, um nicht durch bestimmte Bilder an weiteren Abstraktionen gehindert zu werden. Über den Wert einer Theorie entscheidet eben nicht die mehr oder weniger große Anschaulichkeit, sondern einzig und allein ihre Leistungsfähigkeit. So war die Quantentheorie imstande, nicht nur die bis dahin bekannten Erscheinungen restlos zu deuten, sondern es zeigte sich der universelle Charakter ihrer Grundannahmen auch in der Aufhellung vieler anderer physikalischer Vorgänge.

Die Grundannahme der Quantentheorie, die sich aus Plancks Beschäftigung mit der erwähnten Hohlraumstrahlung entwickelt und in der Folgezeit als äußerst fruchtbar zur Erklärung der Spektren und damit für den Ausbau der modernen Atomchemie erwiesen hat, ist in der Tat höchst revolutionär: während die klassische Vorstellung an einer kontinuierlichen Ausbreitung der Energie festgehalten hatte, stellte Planck der diskontinuierlichen Betrachtungsweise der materiellen Welt eine analoge Vorstellung bezüglich der Energie an die Seite, indem er eigene Energieatome, eben jene als „Quanten“ bezeichnete kleinste Enerige-einheiten, postulierte und damit dem Atomismus der Materie und der Elektrizität einen Atomismus des physikalischen Geschehens zur Seite, stellte, der den alten Satz „Natura non facit saltus“ in sein Gegenteil verkehrte. Die Natur macht doch Sprünge, „Quantensprünge“, wie man sich ausdrückt! Die Energie fließt nicht kontinuierlich zu oder ab, sondern kann nur in ganzzahligen Vielfachen bestimmter kleinster Beträge, der Energiequanten, übertragen werden, Beträge, welche im übrigen von der Frequenz, also der Schwingungszahl der Welle, abhängen, ihr proportional sind. So kommt es, daß die Quanten der verschiedenen Lichtsorten (Einstein spricht in diesem Zusammenhang von „Photonen“) keineswegs gleich groß sind — es ist vielmehr so, daß etwa das Quant einer roten Strahlung weniger Energie beinhaltet als jenes der daher viel durchdringenderen ultravioletten Strahlung. Daher kann etwa ein „lichtechter“ Indanthrenstoff durch die Quanten genügend kurzwelligen ultravioletten Lichtes chemisch verändert, ausgebleicht werden; bekannt ist auch die hautbräunende und erythrembildende Wirkung der ultravioletten Strahlung, die sich zum Beispiel im Gebirge auch durch Nebel hindurch, eben wegen der größeren Energie der ultravioletten Quanten, erhält.

Diese Proportionalität von Energie und Frequenz findet ihren mathematischen Ausdruck in der berühmten Planck-Einstein-

Beziehung: E — h . n, worin „E“ die Energie, „n“ die Frequenz und „h“ den Proportionalitätsfaktor bedeutet, eine universelle Konstante, die zu Ehren ihres Initiators den Namen „Plancksches Wirkungsquantum“ führt. Dieses Wirkungsquantum „h“ ergab sich aus Strahlungsmessungen zu 6,55. 10“27 ergsec. ein außerordentlich kleiner Betrag, wenn man bedenkt, daß. die dieser Wirkung zugrundeliegende Energie so winzig ist, daß'man etwa 200 Billionen

Lichtquanten eben noch sichtbaren, kurzwelligen blauen Lichtes nehmen müßte, um damit jene Energie zu bekommen, welche notwendig ist, um ein Grammgewicht einen Zentimeter hodi \ zu heben. Noch kleiner sind die Energiequanten etwa der Rundfunkwellen, die nach unseren heutigen Anschauungen sidi vom sichtbaren Licht nicht grundsätzlich unterscheiden, sondern ebenfalls eine elektromagnetische Strahlung von nur sehr viel kleinerer Frequenz darstellen, für welche jedoch unser Körper kein Aufnahmeorgan hat: an Stelle des Auges muß der Radioempfänger treten. Die Rundfunkwellen haben Schwingungszahlen bis zu etwa 1500 kHz, das sind 1,500.000 Schwingungen in der Sekunde. Von diesen* Quanten nun müßte man 25.000 Billionen Billionen pro Sekunde nehmen, um jene Energie zu erhalten, welche eine kleine Glühlampe verbraucht! Auf diese Art wird klar, daß wir daher von der Einzelwirkung solcher, Größen wie etwa der Quanten nichts merken.

Die bekannteste Anwendung dieser neuen Ideen erfolgte im Rahmen unserer Vorstellung vom Mechanismus der Entstehung von Licht im Zusammenhang mit dem atomaren Geschehen. Niels Bohr konnte auf diese Art seine fundamentale Frequenzbedingung E2 — Ei — h . n postulieren und damit die Gesetzmäßigkeiten der Spektren erklären, während Einstein dadurch zu neuen Anschauungen über das Wesen des Lichtes kam, Vorstellungen, die heute unter der Bezeichnung „Lichtquantentheorie“ bekannt sind und neben einer wellenmäßigen Auffassung des Lichtes einhergehen, ein Dualismus von korpuskularer und wellentheoretischer Betrachtungsweise, der im übrigen — wie uns de Broglie gezeigt hat — auch für die Materie besteht.

Max Planck ist tot — seine Ideen aber werden weiterleben, solange der nimmermüde Menschengeist am Werke ist, die Geheimnisse des Weltgeschehens zu ergründen. Es schadet dabei nicht, wenn vielleicht heute oder morgen die hier entwickelten Ideen durch neue, umfassendere, noch allgemeinere Naturprinzipien abgelöst werden nach dem Ausspruch eines großen englischen Physikers: „Wer weiß, was uns hinter der nädisten Ecke erwartet ...?“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung