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Eine Geschichte der modernen Malerei

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Die modern Malerei spiegelt ein dynamisches Geschehen, das aus jener kontinuierlichen Wechselwirkung resultiert, die unserer Epoche eigentümlich ist: mit wachsender Intensität durchdringen einander die verschiedensten geistigen Bezirke, werden Bewegungen und Stile, Gruppen und Persönlichkeiten durchkreuzt, gemischt und der gegenseitigen Beeinflussung ausgesetzt. Wir haben es also mit einem Vorgang von geringer geschichtlicher Tiefe, jedoch von ungeheuer simultaner Entfaltung zu tun. Darin liegt edne erste Schwierigkeit der Darstellung. Der Interpret Muß dem geschichtlichen Relief nach allen Seiten gerecht werden und hat dem sich entwickelnden Nacheinander die gleiche Anschaulichkeit wie der kontrastierenden Gleichzeitigkeit zu gewähren.

Mit seiner dreibändigen „Historie de la Peinture Moderne (Genf 1949/50) ist dem rührigen Schweizer Verleger Albert Skira eins Publikation ersten Ranges geglückt, welche über den darin behandelten Gegenstand hinaus die Beachtung jener Kreise verdient, die dem Kunstbuch und den Problemen seiner Gestaltung ihr Interesse zuwenden. Der Begriff .moderne Malerei“ ist ebenso umstritten und vieldeutig wie die Sadie, die er bezeichnen soll. Ebenso i6t der geschichtliche Beginn der in Frage stehenden Epoche unscharf fixiert. David, Delacroix, Courbet und Cėzanne werden je nach dem Standpunkt des jeweiligen Autore bald als Vorläufer, bald als Initiatoren oder Glieder jenes vielstimmigen geschichtlichen Prozesses angesehen, an dessen ununterbrochener Entfaltung und Erneuerung wir teilnehmen und dessen Ende oder zukünftige Gestalt nicht abzusehen ist.

Um allen Schwierigkeiten gerecht zu werden, haben Skira und seine Mitarbeiter neue Wege der formalen Gestaltung beschritten. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den herrlichen und erstrangigen Farbtafeln, von denen jeder der Bände etwa hundert enthält, Bei der Auswahl wurde weniger bekannten und seltener reproduzierten Werken der Vorrang gegeben. Beinahe jeder Abbildung ist ein 6chlagwortartiger Kommentar beigefügt, welcher wesentliche Hinweise enthält und die Verbindung zum eigentlichen Textteil herstellt. Dieser wurde ausdrücklich für die vorgenommene Auswahl von Werken konzipiert und ist hauptsächlich berichtender Natur. In kluger Beschränkung auf das Wesentliche und den sachlichen Kern wurde ihm all das entzögen, was über Gebühr belastend wirken köntite; 60 finden eich die biographisch an Daten aller behandelten Künstler lückenlos in einem Anhang vereinigt, der auch eine ausführliche und auf den neuesten Stand der For- schung gebrachte Bibliographie enthält. Der Text hingegen ist durch zahlreiche Zeittafeln aufgelockert, welche über den chronologischen Ablauf der Ereignisse zusammenschauend berichten. Was jedoch dem Gegenstand an polemisch-spekulativem Gehalt anhaftet, wurde in konzentrierter Form in zwei Einleitungs- aufsfitzen behandelt, welche Herbert Read, den bekannten englischen Kunstschriflsteller, und Georg Schmidt, den Direktor des Basler Kunstmuseums, zu Verfassern haben. Solcherart verbindet da6 Werk ein Höchstmaß an Anschaulichkeit mit leichter Lesbarkeit und vorzüglicher Dokumentation; es ist ein Bilderbuch von seltener Schönheit, ein umsichtig informierendes Lesebuch und schließlich eine unerläßliche Quelle des Forschers.

Der Grundgedanke des Werkes, zu defi6en Gestaltung sich englische, französische und Schweizer Autoren zusammenfanden, war es, einen gleichsam gefilmten Ablauf der Geschehnisse zu vermitteln. Man wollte in größtmöglicher Dichte Fakten und Daten aneinanderreihen und miteinander zu einem „tableau vivant der geistigen und künstlerischen Regsamkeit der verschiedenen Epochen verflechten. Nicht die Persönlichkeiten bilden darum das Gerüst der Handlung, sondern die Künstlerbewegungen, die Gruppen und Strömungen, Manifeste und Stilbekenntnisse. Mit der Behendigkeit der Filmkamera gleitet die Darstellung von einer Bewegung zur anderen und belichtet 6ie jeweils nur so lange, als 6ie geschichtlich wirksam sind. Das gilt auch für die einzelnen Künstler, die stets dort behandelt werden, wo 6ie an einer Bewegung oder einem Ismuß teilnehmen. So wurden zugunsten bestimmter Strömungen einzelne Persönlichkeiten unterschlagen: es fehlen Puvis de Chavanne, Garriere und Gustave Moreau, fehlen die englischen Präraffaeliten und Han6 von Marėes, es fehlt eine Würdigung des Jugendstils, Ebenso fehlt Max Beckmann, vermutlich deshalb, weil er schwer bei einer bestimmten Gruppe unterzubringen war. In anderen Fällen wurden die Akzente willkürlich gesetzt. Neben diesen Problemen der Proportionierung des Inhalte ergeben sich solche im Falle der Zuordnung (zum Beispiel bei Chagall, Toulouse-Lautrec und Picasso), und schließlich Fragen der allgemeinen Gliederung Der erste Band („De Baudelaire ä Bonnard“) widmet etwa 80 Seiten dem Impressionismus und seinen Nachklängen, während den „Nabiö“ und dem Symbolismus nur 20 Seiten zur Verfügung 6tehen. Der zweite Band („Matisse, Munch, Rouault“) behandelt auf 80 Seiten die Fauvisten und auf etwa 50 Seiten den Expressionismus und die Maler der „Brücke . Im dritten Band („De Picasso au Surrėalisme“) wird der Kubismus mit seinen Rand- und Folgeerscheinungen auf 160 Seiten abgehandelt, während 6ich Surrealismus und phantastische Malerei (Klee, Chagall, Tanguy, Ernst, Miro und andere) mit 25 Seiten zu begnügen haben. Diese quantitative Übersicht zeigt deutlich die Tendenz der Verfasser: die „bonne peinture“ wurde eindeutig der „peinture phantastique“ vorgezogen. (Daher das Uberwiegen des französischen Anteils am historischen Panorama!) Das ist auch der Grund, warum alle gegenstands- und ausdrucksbetonte Malerei 6tark vernachlässigt wurde.

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