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Einheit der reinen Wahrheit

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Hermann Augüstin, der Verfasser dieses'üinfrrig-reichen, gewichtigen Buches, ist kein Literarhistoriker und kein Philosoph. Es ist ein praktizierender Schweizer Landarzt, der — wie der Doktor Augustinus in Adalbert Stifters „Mappe“ — sein ganzes Leben dem Wohle seiner Kranken widmete, sich aber in seinen Mußestunden tief in die führenden Werke der Weltweisen versenkte, der uns dieses monumentale Werk schenkte. Aber er hat auch kürzlich in einer fachlichen, medizinwissenschaftlichen Sonder-studie „Ärztliches zu Adalbert Stifters Tod“ (Vierteljahresschrift des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich, Jahrgang 8/1959,Folge 1/2) mit gewissenhaftein Forschersinn nach den vorhandenen Quellen Stifters Krankheit durchleuchtet und die von fast allen Germanisten und Publizisten kritiklos bisher nachgeschriebene These von Stifters „Freitod“ gründlich widerlegt, aus der vielfach sensationell eine Wskrepanz zwischen Dichtung und Wahrheit in Stifters Wesen konstruiert worden war. .

Hier geht es nun dem Verfasser um die geistige Existenz des Dichters, dessen Lebensgefühl vom christlichen Weltbild getragen war. Vorweg muß gesagt werden, daß sich dieses Werk jeder methodologischen Tabulatur der Zunft und daher auch der intellektuellen Kritik verschließt. Es will mit dem Herzen erlebt werden als ein Erbauungsbuch, das nicht nur dem Stifter-Verehrer, sondern in gleicher Weise jedem, der sich noch ein bereites Ohr und empfängliches Herz für die Erkenntnisse ewiger Weisheit und für den Glauben an ein ewiges Ziel der Menschheit bewahrt hat, unendlich viel zu geben hat. Über die diesem Werk vorausgegangenen Stifter-Bücher Hermann Augustins, „Goethes und Stifters Nausikaatragödie“ und „Dante —Goethe —Stifter; das fromme Weltbild des Dichters“, schrieb schon Dr. Gustav Wilhelm, einer der bedeutendsten Stifter-Kenner und wissenschaftlichen Stifter-Forscher, die ergreifenden Worte:

„Nur mit scheu zagender Hand habe ich aus dem Gewebe der Schriften Hermann Augustins einige Fäden herausgezogen und vorgelegt, um den reichen und tiefen Inhalt dieser Studien zu kennzeichnen. Ein Herzensmensch hat sie geschrieben, in seiner andächtigen Liebe zum Werke den alten Mystikern, die er kennt und liebt, gleichend, die ins Helle und Klare führen wollen.“ Auch in der für diese Besprechung gebotenen Kürze können nur einige Fäden aus dem geistigen Reichtum dieses Werkes herausgehoben werden, das an Umfang und Tiefe der Gedanken ja die vorausgegangenen Werke Augustins noch übertrifft.

In sechzig Kapiteln läßt der Verfasser, der sich selbst als Künstler des Wortes, vor allem aber des Zitates zeigt, den Geistgehalt Stifterscher Dichtung durchstrahlen von den lichten Erkenntnissen der abendländischen Geistesgeschichte in den der Stifter-schen Schau zugeordneten Zitaten ihrer Dichter und Denker. In weitem Bogen spannt sich die Reihe erlauchter Namen, deren Wort sich, zu dem Stifters verschwistert, fügt: Von Plato, Plotin, Dante, Cu-sanus, Thomas von Aquin, Jakob Böhme, Meister Ekkehart, Angelus Silesius, Paracelsus und Kepler über Goethe, Schiller, Herder, Kant, Fichte, Wilhelm von Humboldt, Pestalozzi, Gotthelf, Novalis und Hölderlin bis zu den Großen unserer Tage: Bachofen, Albert Schweitzer, Hans Kayser, Max Planck und Albert Einstein reichen die tiefen Bekenntnisse. In dem bedeutenden Kapitel „Homo religiosus“ stellt er — um nur ein Zeugnis herauszugreifen — Stifters Welt der modernen Atomphysik gegenüber. Im Gleichklang mit der Schau Stifters führt er hier die Bekenntnisse der großen Physiker Planck und Einstein an: „Es gibt kein ernsthaftes Wissen ohne den Glauben“ und „die Fortschritte der Physik machen das Bedürfnis einer Metaphysik immer fühlbarer, denn — aus dem Erlebnis des Mystischen, dem erhabensten Gefühl, dessen wir fähig sind, keimt allein wahre Wissenschaft“. — Aus dieser auf dem Dichterwort Stifters aufgebauten Zusammenschau der Stimmen der Meister erlebt der Leser beglückt im harmonischen Zusammenklang die Einigkeit und Einheit der reinen Wahrheit, der das Christentum als göttliche Menschenlenkung Gesetzlichkeit, Leben und Dauer verlieh. In der ganzen, heute schon unüberschaubar gewordenen Stifter-Literatur findet sich kaum ein Werk, in dem unser großer österreichischer Dichter, der „Weise von Oberplan“, von so hoher Warte betrachtet würde, als in diesem profunden Buche des Schweizer Arztes, dem der Verlag auch ein vornehmes äußeres Kleid mitgegeben hat.

Daß solch ein Buch in unserer Zeit überhaupt erscheinen konnte und daß es so viele, an seinen tiefschürfenden Inhalt hingegebene Leser findet, ist allein ein Lichtblick in unseren oft so gottfern scheinenden Tagen. Hier trinkt der Leser am heiligen Quell, denn das gesamte abendländische Denken, zu dem das Herzenserlebnis Stifterscher Dichtkunst hier hin-leitet, findet in diesem einzigartigen Buche seine Auferstehung. Es ist wahrhaftig ein Heiltrank, den dieser Seelenarzt zur rechten Stunde unserer kranken Zeit darreicht.

PRINZ EUGEN. Von Alexander Lernet-H o 1 e n i a. Paul-Zsolnay-Verlag, Hamburg-Wien. 317 Seiten. Preis 89 S.

Lernet-Holenia hat den Ruhmespfaden jenes Feldherren nachgespürt, dessen Denkmal Erzherzog Karl gegenübersteht, dessen Platz im Volk aber jenes Lied bewirkt, das ein Trompeter vom Kürassierregiment Herberstein in einem Dickicht am Saveufer ersann und das alsbald von der ganzen Armee gesungen wurde. Ursprünglich war es nicht Lernets Absicht, den Eugen-Büchern ein neues hinzuzufügen, er geriet aber bei der Nachforschung nach eigenen Ahnen ganz in den Bann des Franzosen, der, obwohl zeitlebens des Deutschen nicht mächtig, der große Österreicher werden sollte. So ward der Dichter zum Historiker. Und — damit erhebt sich die Frage nach dem Verhältnis des einen zum anderen Wer höher steht, soll nach Goethe nicht erwogen werden, da beiden eine Krone gebühre, und nach einem Worte Mommsens sei Geschichtsschreibung nie durch bloße Fakten möglich, es müsse vielmehr auch die dichterische Phantasie engagiert werden. Vielleicht ist hier der Dichter Lernet von dem Historiker Lernet etwas verdrängt worden. Das ist gewiß bedauerlich. Wer nämlich über Eugens Waffentaten genauest informiert werden will, der greift zu Arneths mehrbändigem Werk. Von dem Autor der „Standarte“, des großartigen Schwanengesanges der alten Armee, hätte man nun Deutungen und Schwingungen erwartet, die als Zauber eines Wortes möglich sind: Stimmungen, die eine Szene oder Figur erhellen, ohne sie trocken wissensmäßig zu umreißen, seelische Farbtöne, die das Handeln eines Menschen kennzeichnen. An Stelle dieses Gestaltens erfahren wir aber etwa, daß des Kürassiers Patronentasche an einem starken Riemen über die linke Schulter getragen, 24 Patronen faßte und der mit Boy gefütterte Radmantel weiß war. Freilich, diese Einwände verblassen angesichts der Lob erheischenden Gesamtleistung. Hier hat ein Österreicher geschrieben mit großer Liebe zum Thema und spürbarer Achtung vor dem Menschen Eugen, der hier nicht gesehen wird als Ruhmesträger eines völkischen Mythos, sondern als gefühlter und erlebter Feldherr und Staatsmann von übernationaler Weite, als Former abendländischer Geschichte. Wenn Lernet etwa (Seite 145) schreibt, daß dem Prinzen „der Gedanke an ein recht eigentlich deutsches Reich, an die deutschen Aufgaben des Kaisertums ganz fern lag“, hat er recht, und wenn er seine „sogenannte Ostraumpolitik als eine Erfindung nach Deutschland schielender österreichischer Geschichtsprofessoren“ abtut, hat er nicht minder recht.

Im letzten Kapitel bricht der Dichter durch. Hier entstehen neue Gedanken und tiefgegründete Einsichten, die aus genauer Kenntnis österreichischen Wesens kommen. Der edle Ritter, unsere bedeutendste Ruhmeserscheinung, hat in diesem auch stilistisch brillanten Werk eine Würdigung gefunden wie nicht ihresgleichen in den letzten Jahrzehnten.

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