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Enteignung aus Grunden des Gemeinwohls

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Vollends Schrecken, Entsetzen und Abscheu aber hat in liberalen Kreisen der nächstfolgende Satz (Tz. 24, Satz 1) ausgelöst, der, wie der Papst ausdrücklich unterstreicht, gar nichts anderes sagt als das, Was das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute (Tz. 71, 6) ausgesprochen hat. Offenbar ist es das

Wort „Enteignung“, das diesen Kreisen in die Glieder gefahren Ist. Daß aus Gründen des Gemeinwohls enteignet werden kann, ist eine in allen Rechtsstaaten anerkannte Selbstverständlichkeit; selbst das jakobinisch „heiliggesprochene“ Eigentum kennte enteignet werden gegen eine idem-nlti juste (was sieh von selbst versteht) et prealable (was allerdings nicht selbstverständlich, unter normalen Verhältnissen, aber immerhin vertretbar ist). Hier sind die „Latifundien“ gemeint, der in manchen Entwicklungsländern, insbesondere in Lateinamerika, vorhandene ungeheuere Großgrundbesitz, der ungenutzt oder nur für Luxuszwecke, aber nicht zur Gewinnung von Nahrungsmitteln genutzt daliegt; ihn in die Band von Mensehen zu überführen, die ihn für ihre eigene Ernährung und die Versorgung einer unter-ernährten Bevölkerung nutzbar machen, hat das Konzil mit unerhörtem Nachdruck gefordert. In einer Enzyklika über Entwicklungshilfe konnte der Papst unmöglich darauf verzichten, diese Forderung zu wiederholen, schon allein, um klarzustellen, daß du Konall da nicht in einer momentanen Gefühlsaufwallung große und harte Worte gesprochen habe, sondern daß es sieh hier um eine Forderung von höchstem Ernst und äußerster Dringlichkeit handle, Die deutsehe Übersetzung, die nur von „Besitz“ und dessen „Große“ spricht, läßt nicht deutlich genug erkennen, daß auf den Großgrundbesitz abgezielt ist, Selbstverständlich gilt aber das, was hier auf den sehlecht genutzten Großgrundbesitz angewandt wird, grundsätzlich von jeder Art von Eigentum und Vermögen. (Liberale Journalisten halben die Stelle offenbar von „Bodenreform“ im östlichen Sinn [Kolchosen, Sowchosen, LPGs,] verstanden; gemeint ist die Schaffung freier bäuerlicher Existenzen in Ländern, wo alle natürlichen Voraussetzungen dafür vorhanden sind.)

Aueh was der Papst anschließend darüber sagt, daß „verfügbare Mittel nicht einfach dem willkürliehen Belieben der Mensehen überlassen sind“, übernimmt er aus der gleichen Konzilskonstitution; er könnte es auch aus zahlreichen früheren päpstlichen Dokumenten, auch aus „Quadragesimo anno“ 1BI1 belegen, Erstmalig im Konzilstext findet sieh nur die spezielle Anwendung auf die In Entwicklungsländern leider anzutreffende gewissenlose Praxis, seine Kapitalien oder gar — wovon der Papst schonen dferWeise nicht spricht, was aber jeder Sachkundige versteht — widerrechtlich angeeignete Hilfsgelder der kapitalbedürftigen eigenen Volkswirtschaft zu entziehen und ins Ausland, etwa auf Nummernkonten bei schweizerischen Banken, zu verschieben und In Sicherheit zu bringen. Wenn der Papst es auf sieh nahm, den fortgeschrittenen Ländern die Pflicht zur Entwicklungshilfe einzuschärfen, dann konnte er deren Empfängern dieses ernste Wort der Mahnung nicht ersparen.

Der zeitgeschichtliche Hintergrund Im Rückblick können wir feststellen: „Rerum novarum“ muß auf dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des 19. Jahrhunderts psehen werden, dessen individualistischer Zeitgeist unvermeidlich auch auf sie abgefärbt hat. Bereits in „Quadragesimo anno“ (1931) ist diese zeitweilige schwäche Uberwunden; im Ausbalancieren der Individual- und der Sozialnatur des Eigentums zeigen sich jedoch auch weiterhin kleine Schwankungen — mehr in der Formulierung als in der Sache selbst. Die jüngste päpstliche Enzyklika ist dadurch gekennzeichnet, daß sie im

Zusammenhang ihres Themas besonderen Nachdruck auf die Sozialgebundenheit legt — nicht nur des Eigentums, sondern überhaupt, wie sieh noch zeigen wird.

Zuvor aber noch kurz etwas zu zwei Äußerungen des Papstes, die ei den Liberalen angetan haben; er spricht von einem „System“, das „den Profit als den eigentlichen Motor des wirtschaftlichen Fortsehritts“ und den „Wettbewerb sie das oberste Gesetz der Wirtschaft“ bezeichnet (beides in Tz. 98),

Ob es in der Welt der Wirklichkeit eine Wirtschaft gibt, deren „eigentlicher Motor“ der Profit ist, sei dahingestellt, Sieher ist, daß dieser Motor für eine Heehleistungswirt-sebaft sehleehterdings untauglich ist, was keine Einwendung gegen die Bedeutung einer korrekten Gewinn-und Verlustreehnung bedeutet. Wenn unsere Wirtschaft sieh als In hohem Grade leistungsfähig erwiesen hat und als hochentwickelte Wirtschaft den unterentwickelten Ländern Entwicklungshilfe gewähren kann, so ist du der schlagende Beweis dafür, daß sie noch andere und bessere Motoren als den Profit hat; dagegen hat der zurückgebliebene Stand der Wirtschaft in den Entwicklungsländern seine Ursache zum guten Teil in dem tiefen Stand der dort herrsehenden Wirtsehaftsmoral, nicht zuletzt in der weitverbreiteten schamlosen Profitgier, die sieh in einer fortgeschrittenen Wirtschaft nur dunkle Existenzen, wie Rauschgifthändler usw., noch leisten können.

Was Paul VI. über den Wettbewerb sagt von großem Nutzen in voll entwickelten Volkswirtschaften,also dort, wo ausreichende Chancengleichheit gesichert ist oder sichergestellt Wird, dagegen verderblich und zu Ungerechtigkeiten führend, wo starke und schwache, seien es einzelne, seien es Volkswirtschaften, miteinander konkurrieren —, wird jeder neoliberale NatiotoälÖkonom vorbehaltlos unterschreiben. Wer dagegen aufbegehrt, identifiziert sich mit einem Typ des Liberalismus — der Papst nennt ihn „ungehemmten Liberalismus“, wir nennen ihn mit Alexander Rüstow „Pälaoliberalismus“ —, den wir ausgestorben glaubten, der aber, wie die Reaktionen auf die Enzyklika beweisen, noch kräftig am Leben ist.

Zum Schluß noch einmal zurück zur Sostelfeeundenheit, die im Zusammenhang mit dem Thema dieser Enzyklika so eindrucksvoll zum Tra gen kommt. Schlechterdings nichts,keinen Lebenabereleh gibt es, der von ihr ausgenommen wäre; selbst die UefBftttOertefe Elterntehaft wird ihr ausdrücklich Unterstellt (TZ 87). Kann es etwas intimeres und Persönlicheres geben als den Wunsch eines Gattenpaares nach Kindern und ihren Entschluß, einem Kinde das Leben zu schenken? Wir waren gewohnt, zu hören, die Eltern hätten diesen ihren Entschluß zu verantworten Vor Sich Selbst im Hinblick auf die Pflichten, die Sie damit auf sieh nehmen, vor den Kindern, denen gegenüber sie bereits Pflichten haben, und selbstverständlich vor dem Kinde, für das sie neue Und große Verpflichtungen auf sich nehmen. Paul Vi. fügt hinzu: „Und vor der Gemeinschaft, zu der sie gehören.“ Das besagt: die Eltern sollen miteinander zu Rate gehen und überlegen; Mehr Kinder bedeutet mehr „Mäuler“ und später auch mehr „Hände“; dürfen wir die Gemeinschaft mit den „mehr Mäulem“ belasten; sind die künftigen „mehr Hände“ ein diese Belastung ausgleichender oder gar überwiegender Gewinn für die Gemeinschaft? Dieser Satz über die verantwortete Elternschaft ist für mich der erregendste der ganzen Enzyklika. Wenn unsere Verantwortung als Glieder der Gemeinschaft dieser gegenüber so tief in den allerpersänliehsten Bereich hinabreicht und sO weit aus-greift, wieviel Sorgfalt und Wieviel Umsicht müssen wir dann darauf verwenden, unser soziales Gewissen su bton, um es in den Stand zu Setzen, Anforderungen Solehen Ausmaßes gerecht zu werden!

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