7114069-1996_08_20.jpg
Digital In Arbeit

Erklären die Verhaltensforscher den Menschen wirklich besser?

Werbung
Werbung
Werbung

Jahrzehntelang haben uns Psychologen aller möglichen Schulen erklärt, wie wir Menschen funktionieren oder leider auch nicht funktionieren. Ausgerechnet die Gänse und die Erforschung ihrer, wenn schon nicht Psyche, so doch auch psychischen Verhaltensweisen gaben den Anstoß, das Vertrauen in die Psychologie ins Wanken zu bringen. Der Ethologe einst Lorenzscher und nun eher bio-soziologischer Prägung Kurt Kotrschal analysiert die Entwicklung der Verhaltensforschung (Ethologie) bis hin zum Konfliktkurs mit der Psychologie.

Beobachtungen tierischer Verhaltensweisen hat es immer schon gegeben. „Einen beinahe schon Lorenz-schen Instinktbegriff findet man bei Dilly (1691), den man heute wohl als Neuroethologen bezeichnen würde." Mit etwas weniger wissenschaftlicher Akribie interpretierte Alfred Brehm tierisches Verhalten menschlich. Der Darwinsche Mechanismus der Selektion hat schließlich den Weg zum Verständnis von Entstehen und Funktion von Verhalten geöffnet. Mit den Arbeiten von Weismann in Deutschland, Morgan in England und Whitman in Amerika wurde, so der Autor, klar, daß die Darwinsche Theorie auch für Triebhandlungen gelten müßte.

Der Sozialdarwinismus wiederum diente als „ideologisches Zugpferd für Absicherungsstrategien der oberen Zehntausend" und schließlich als „pseudowissenschaftliche Basis für Hitlers Terrorregime".

Skinners Behaviorismus und Pawlows Reflexthesen öffneten zu Beginn des Jahrhunderts neue Perspektiven. Mit Heinroth undKon-rad Lorenz begann dann die eigentliche Verhaltensforschung. Ab 1950, immer noch mit Lorenz und später vor allem Eibl-Eibesfeld, entwickelte sich die Bichtung der Humanethologie, die dann in evolutionäre Psychologie, evolutionäre Erkenntnistheorie, Öko-Ethologie und Soziobiologie ausuferte.

Der entscheidende Beitrag zur Verhaltensforschung stammte von Lorenz. Eine Fülle populär gewordener Begriffe geht auf ihn zurück, etwa das „angeborene auslösende Schema", „Erbkoordination", „Spontaneität und Staubarkeit von Verhalten", die „Prägung", die „Motivation". Kotrschal: „Große Bedeutung hat Lorenz auch auf dem Gebiet der Erarbeitung einer sauberen naturwissenschaftlichen Wissenschaftstheorie für die Verhaltensforschung. So ... betonte er die Notwendigkeit, die physiologischen Mechanismen sauber von ihren Auswirkungen, dem subjektiven Erleben, zu trennen."

Die auf Lorenz folgende Öko-Ethologie beschäftigt sich mit der Ökonomie der tierischen Verhaltensweisen. Die moderne Soziobiologie endlich geht dem Mythos von der Harmonie in der Natur und dem ökologischen Gleichgewicht an den Kragen. Schon der amerikanische Populationsgenetiker Fisher argumentierte 1930, „daß das Individuum, nicht aber die Gruppe die Einheit der Selektion ist". Auf ähnlichen Überlegungen fußt die Lehre vom absoluten Vorrang der individuellen Fitneßmaximierung in jedwedem tierischen Verhalten und auch dem des Menschen. Denn schon lange schielen die Verhaltensforscher auf das Forschungsobjekt Mensch.

In Verteidigung der heutigen Verhaltungsforschung besteht Kotrschal mit Recht auf dem Popperschen Typ der Wahrheitsfindung, was zumindest bei den Vertretern der Soziobiologie, wie Dawkins und den meisten Vertretern des postmodernistischen Neo-Darwinismus, die keineswegs konsequent popperianisch vorgehen, erstaunen läßt. Er selber zeigt eine unpopperiansche Haltung bei einem höchst ideologischen Ausflug nach Afrika, um die Wahrheit des „Kampfes der Gene um die Fitneß", also um das Überleben der individuellen genetischen Information, zu beweisen: „So unterstützen Männer einer westafrikanischen Gesellschaft mit besonders hohem Promiskuitätsgrad die Kinder ihrer Schwestern wesentlich intensiver (mit denen sie ja auf alle Fälle verwandt sind) als die Kinder ihrer eigenen Frau, bei denen ihre Vaterschaft höchst unsicher ist."

Als Verhaltensforscher sollte Kotrschal über das Verwandschaftssystem der meisten menschlichen Stammesgesellschaften in aller Welt informiert sein. Das entweder patri- oder (meist) matrilineare System, mit der Geschwistergruppe und nicht dem Ehepaar als gesellschaftlicher Kernzelle, dient allerdings dem in gefährlicher Umwelt lebenswichtigen Zusammenhalt der Gruppe und nicht der individuellen Fitneßmaximierung. Das paßt nicht in den ideologischen Rahmen und muß daher wegrationalisiert werden.

Nach dem soziobiologischen Neodarwinismus dürfte es dieses Verwandtschaftssystem gar nicht geben: „Genereller arterhaltender Altruismus ist evolutionär nicht stabil. Daher sind Tiere wie Menschen im Grunde nicht am Überleben der Art interessiert, sondern an kurzfristigen fitneßfördernden Vorteilen." Das erwähnte, seit mindestens 15.000 und vielleicht viel mehr Jahren funktionierende, ausgesprochen arterhaltende Verwandschaftssystem hatte also gar kein Recht, sich als so stabil zu erweisen. Wobei übrigens der „fitneßfördernde" - ein Euphemismus für „egoistische"? - individuelle Vorteil aus dem einfachen Grund nicht zu kurz kommt, weil ja der einzelne ohne die Gruppe nicht überleben kann. Und natürlich gibt es innerhalb der Gruppe individuelle egoistische -pardon, Fitneß maximierende - Konflikte um den größeren Brocken und den besseren Platz. Offensichtlich gehören beide Grundmotive zur Überlebensstrategie des Menschen. Warum nun plötzlich die eine hervorgehoben wird? Handelt es sich etwa bei der Sozio-Biologie um eine Neuauflage des Sozialdarwinismus?

„Moden, als ritualisiertes Sich-Un-terscheiden von anderen, sind Teile der Kultur, schaffen Kleingruppen-identität", schreibt Kotrschal, und bei so einer Mode mitzumachen, hilft wohl, auch in der Masse der Verhaltensforscher professionelle Fitneß zu maximieren. Vom Wissenschaftler hätte man gerne eine wissenschaftliche Erklärung für den Grund seines vom eigenen Prinzip abweichenden Verhaltens bekommen, denn Poppe: sehe Wahrheitsfindung besteht doci darin, unzutreffenden Annahmen ai f die Spur zu kommen und sie System; tisch auszuscheiden. Eher scheint es, als hätte er sich hier schnell mit der i zufrieden gegeben, was den eigene i Vorurteilen entsprach. Aber waruri soll ein Verhaltensforscher andeis handeln können als die „ritualisier sich-unterscheidenden" Menschen die er untersucht?

Könnte die Psychologie daraif vielleicht eine Antwort geben? Es ii t leider so, daß sie das seiner Ansicft keineswegs können dürfte, denn, ei klärt Kotrschal, „primär steht der Mensch im Zentrum ihres Interesse: Diese Objektzentriertheit der Psyche logie verhindert den Zugang zur vei gleichenden Methode und damit zur i Verständnis des evolutionären Mer schenmodells."

Fazit: Ein gut geschriebenes, lc gisch aufgebautes, informationsre: ches Buch. Wer sich über die Verha tensforschung informieren will, ist damit gut beraten. Aber der Autor gibt eben, unbewußt im Sinne Freud t auch die Grenzen pr^is, an denen das Bemühen von Konrad Ixirenz geprägter Verhaltensforscher um Ev: denz auf niemals bewußt gemacht; ideologische Barrieren stößt. Die Psy chologie könnte also, wenn auch viel leicht nicht der Verhaltensforschung so doch ganz gewiß den Verhaltens forschem sehr wohl von großem Nut zen sein.

IM EGOISMUS VEREINT

Tiere und Menschentiere — das neue Weltbild der Verhaltensforschung. Von Kurt Kotrschal Piper Verlag, München 1995. 354 Seiten, Ln.,öS297,-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung