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Erwin RingeUs Kirchenkritik

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Ich habe Erwin Ringel über 40 Jahre gekannt. Seinerzeit hat er uns Theologiestudenten im Fach Pastoralmedizin Vorlesungen über psychishe Krankheiten gehalten. Seither war ich öfter im Kontakt mit ihm, auch in mancher Diskussion. Er sparte dabei nicht mit Kritik an der katholischen Kirche. Vor allem drei Themen bewegten ihn sehr:

Das Gottesbild. Er prangerte eine Verkündigung an, in der Gott als der strafende dargestellt, zum „Erziehungsmittel“ mißbraucht wird, sodaß die Kinder zeitlebens Angst vor ihm haben müssen. So kann es tatsächlich zu einem Religionsver lust durch religiöse Erziehung kommen“, wie er ein Buch provokant betitelte. Er redete sichtlich aus persönlicher Erfahrung und nahm nur zögernd zur Kenntnis, daß neue Religionspädagogik von einem anderen Gottesbild ausgeht. Sexualität. Er warf der Kirche eine allzu restriktive Sexualerziehung vor und gab ihr die Mitschuld an entstehenden. Neurosen. Er wußte wohl, daß viele Moraltheologen heute eine differnziertere Sicht der Sexualität des Menschen vertreten. Der Gesamtkirche aber traute er diese „neue Sicht“ noch nicht zu und vermißte sie in offiziellen nachkonziliaren Dokumenten.

Erziehung zur Selbstlosigkeit. Ich höre heute noch, wie Ringel uns einmal mit fast beschwörender Stimme vor dem Wort „selbst los“ warnte, „Das hieße ja, daß einer seiner selbst-los-wird“ Er hatte wohl eine Opfertheorie vor Augen, nach der das Opfer um des Opfers willen schon wertvoll sei, nach der •nicht zur Freude an Leib und Leben und an der von Gott geschenkten Lust erzogen, sondern mehr „Abtötung“ gepredigt wird. Ob er uns nicht damit den Grund für viele gestörte Beziehungen aufzeigen wollte, die deshalb nicht gelingen, weil das positive, unbefangene Verhältnis zum eigenen Ich fehlt?

Professor Erwin Ringels fast leiden- 'schaftliche Kritik an der Kirche hatte — wie übrigens auch sonstige Akzente seiner Forschung — Wurzeln in seiner Lebensgeschichte. Manche Überzeichnung kam aus seinem Charakter und der Begabung zu pointierter Formulierung. Er suchte aber auch das offene Gespräch über diese Probleme. Er war em gläubiger Mensch und wollte der Kirche nie schaden, sondern ihr helfen.

Gerne hätte er wohl noch erlebt, daß sie sich entschiedener in jener Richtung weiterentwickelt, für die sie ja im Konzil durch ein „neue Sicht vom Menschen“ die Weichen gestellt hatte.

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