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Esoterik und Mystik

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Folgende Ausführungen stehen im engsten Zusammenhang mit den am 17. September 1909 unter dem Titel „Der Erkenntnisweg der Gnosis“ „Furch:", Folge 38 dargelegten Gedankengängen.

Wie dem Geiste des christlichen Glaubens die Gnosis, so steht dem Geiste der christlichen Mystik die gnostische Esoterik gegenüber. Esoterik vom griech. eso = innen, esoteros =s der Innere bedeutet im allgemeinen ein Geheimwissen, das nur an die „Inneren“, an die Eingeweihten oder „Esoteriker" einer Lehre, weitergegeben werden darf und von dem die Nichteingeweihten oder „Exoteriker" die Außenstehenden strenge ausgeschlossen bleiben. Diese bei den früchristlichen Gnostikern übliche Unterscheidung wird auch heute noch von den Neugnostikern Theosophen und Anthroposophen beibehalten. So wird von einem „esoterischen Christentum" gesprochen und darunter eine Geheimlehre verstanden, die Christus angeblich — nach der Weise der heidnischen Mysten — nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten anvertraut haben soll, während er dem großen Kreis der Nichteingeweihten nur eine allgemeine Lehre verkündigt habe; die allgemeine Lehre sei die der katholischen „Massenkirche“, die besondere aber die, welche von der Theosophie und Anthroposophie vorgetragen wird.

Die Kirche ist diesem unchristlichen exklusiven Geist vom Anfang an entgegengetreten und hat mit der gesamten Irrlehre des Gnostizismus auch deren Unterscheidung in eine esoterische und exoterische Lehre verurteilt. Doch das Gebiet der Esoterik ist im Neugnostizismus nicht ganz scharf abgrenzbar wegen der subtilen Vermischung von Religionssystemen, dem dieser huldigt. Esoterik im neugnostischen Sinne muß vielmehr als eine Summe geheimer Weisheit angesehen werden, erworben auf dem Wege der Gnosis und zusammengesetzt aus Elementen verschiedener Religionen, besonders der christlichen und der buddhistisch-hinduistischen, aber auch aus dem okkulten Eigenbau theosophischen und anthroposophischen Hell- ehertums.

Das Wort Esoterik hat für viele einen verführerischen Klang. Es ist umwittert vom Geheimnis und überrieselt vom Zauber der verbotenen Frucht Gnosis; in seinem Zeichen sammeln sich alle jene, dje zwar Beschäftigung des Geistes durch pseudo-religiöse Spekulationen suchen, aber im Gewissen ungebunden bleiben wollen von den Verbindlichkeiten christlichen Glaubens und christlicher Sitte. Wer in die Esoterik durch ein entsprechende Geistesschulung einzudringen vermag und eine gewisse Höhe esoterischen Wissens erlangt hat, wird schon zum „Mystiker“ erhoben, wie Edouard Schures Begriffsbestimmung des Mystikers uns einen Beweis dafür liefert. In der biographischen Vorrede zu Dr. Rudolf Steiners „Christentum als mystische Tatsache“ wird definiert:

„Der wahre Mystiker ist ein Mensch, der in den Vollbesitz seines ganzen inneren Lebens eintritt und der, indem sich ihm das Unterbewußtsein erschlossen hat, durch geregelte Meditation und Schulung neue Fähigkeiten und Erkenntnisse findet."

Was hier in der Absicht, einen Stand mystischer Vollkommenheit aufzuzeigen, als Kriterium des Vollkommenen aufgefaßt und ausgegeben wird, ist, mit christlichen Augen gesehen, weder ein mystischer Zustand noch ein mystischer Wert, sondern eine T e c h- n i k, eine Technik der Verinnerlichung, durch die der Mensch in rein natürlicher Weise seine seelischen Kräfte zum Einsatz bringt. Um den falschen mystischen Schein der neugnostischen Esoterik abzublenden und Begriffsverwischungen in ihren irreführenden Wirkungen aufzuheben, ist es notwendig, Mystik und Esoterik in ihren unterscheidenden Merkmalen gegeneinander abzugrenzen. Nur wenn man erkennt, was neugnostische Esoterik — verglichen zur christlichen Mystik — nicht ist, wird man ihr Wesen und ihren pseudo-mystischen Charakter erfassen können.

Die christliche Mystik, welche den christlichen Glauben zur Voraussetzung hat, ist vor allem nicht zu trennen von der Gnade und dem Dogma: sie kommt aus der Gnade und ruht auf dem Dogma. Das ist ihr erstes und wichtigstes Merkmal, was sie wesentlich zur christlichen Mystik macht und sie von allen fremden Mystizismen gültig unterscheidet. Die Gnade muß in ihr wirksam soin: sie muß die vollkommene Entfaltung des gewöhnlichen geistlichen Lebens zum mystischen Leben anbahnen, begleiten und vollenden; sie muß alle Tätigkeiten und Zu- ständlichkeiten der Seele von den niedersten Stufen bis zu den höchsten Stufen auf ihr Ziel hin, das ist auf die Liebesvereinigung mit dem persönlichen Gott, ausrichten. Da der Weg der christlichen Mystik in eine andere Welt, in die übernatürliche Welt der göttlichen Realitäten, führt, muß für absolute Sicherung gesorgt sein. Diese Sicherungen sind nur im christlichen Dogma gegeben. Die christliche Mystik muß daher in ihren inneren Erkenntnissen, Schauungen und Erfahrungen mit den geoffenbarten Glaubenswahrheiten voll übereinstimmen. Daher die Strenge der Kirche bei der Untersuchung der mystischen Phänomene ihrer Mystiker. Nicht nur der menschliche Geist, sondern auch die menschliche Liebe — und Mystik ist Liebe, höchste erfahrungsgemäße Liebe, nicht nur Meditationstraining — ist an jene Wahrheiten und Tatsachen gebunden, die durch die Glaubenssätze Dogmen klar umschrieben werden und dem Zwecke dienen, das an sich unaussprechliche göttliche Geheimnis dem menschlichen Begreifen zugänglich zu machen. Christliche Mystik gründet in dem tiefen Gedanken, daß der Mensch für Gott da ist: im gehobenen Gebetszustand gibt sich der christliche Mystiker in einem besonders vertraulichen Verkehr der Seele mit dem persönlichen Gott seiner Liebe ganz und gar hin. Er erkennt und verkostet diese Liebe in einer Weise, die allem rein natürlichen Begreifen fremd bleibt und fremd bleiben muß, denn der weltlich gesinnte Mensch hat kein Organ zur Erfassung dieser Vorgänge; er kann auch kein Urteil haben. So beruht die christliche Mystik auf dem Glauben, stammt aus der Gnade und sichert sich im Dogma; sie ist wesentlidi eine aus dem Glauben aufbrechende Liebe, die sich auf der Unterscheidung der Personen und auf der freien Hin-’Wendung dieser zueinander gründet; ihr Bereich ist das Bereich der Übernatur.

Demgegenüber ruht die Esoterik auf der Gnosis, das ist auf jener rein menschlidien, mit Geisteshochmut gesättigten Erkennntnis, die Gott und seine Himmel nicht erreichen kann, da sie sich selbst in religiöser Revolution außerhalb seiner natürlichen Ordnungen gestellt hat; sie bleibt ein kühles Wissen, ewig in ihrem eigenen Kreise kreisend. Audi die nach ihren Begriffen vollkommenste Methode des Denkens — das „anschauende Denken“ — kann nicht weiter führen als bis an die Grenzen der menschlichen Wesenheit beziehungsweise des Kosmos, an die es gebunden bleibt. In die Übernatur stößt nur die Liebe vor durch das große Mittel des Gebets, getragen durch die Gnade und gesichert durch das Dogma. Esoterik aber als Verächterin der Gnade und Feindin des Dogmas kennt keinerlei Gebet, weil sie ja keinen persönlichen Gott kennt. Sie bedient sich nur der Technik der Meditaion und Konzentration. Ihre Meditationsübungen zielen vollkommen unabhängig vom Gegenstand nur darauf hin, durch die angewendete Mühe der Konzentration die Vorbedingungen zu schaffen für das Freiwerden des übersinnlichen nicht übernatürlichen! Bewußtseins, während der christliche Mystiker den Inhalt seines Meditationsgegenstandes religiös verkostet und auch für die sittliche Sphäre fruchtbar macht. Welcher Unterschied! Wo aber Esoterik vom „völligen Untergang in die Gottheit“ spricht und damit den Schein eines mystischen Zieles vortäuscht, ist kein Eingehen und Untergehen der liebenden Person in die Liebe der geliebten Person zu verstehen — Seele wie Gott sind Person! —, sondern nur die Rückkehr der Monade in den göttlichen Wesenskern, in di pantheistisch gedachte Allgottheit. Das Streben nach diesem Untergang hat somit nichts mit christlicher Mystik gemein.

Es hat auch keinen wirklichen Grund, denn lieben und geliebt werden ist nur als Tätigkeit und Erlebnis von Personen denkbar. Wo aber die Persönlichkeit grundsätzlich geleugnet wird wie im Pantheismus, dort kann es auch keine Liebe, die ja das Wesen der Mystik ausmacht, geben. Es bleibt nur ein schwärmerischer Schein und eine trügerische Flamme zurück, die den persönlichkeitsleeren Raum der neugnostischen Vorstellungswelt als religiös blutleeres „höheres Wissen“, „Geheimwissen“ oder „Geist-Erkenntnisstreben“, oder wie immer die Ersatzbegriffe für den ausfallenden Glauben und seiner höchsten Blüte, der Mystik, heißen mögen, durchgeistern. Das Bereich der Übernatur bleibt dem widergöttlichen Geheimwissen verschlossen; dieses bleibt eingeengt und zurückgebannt auf das Bereich des Nur-Übersinnlichen, das sein geistiger Kerker geworden ist.

Christliche Mystik und gnostische Esoterik sind in ihrem Wesen so gegensätzlich wie Himmel und Hölle, aber sie haben eine Grenze, wo sie aneinanderstoßen, und an dieser Grenze lauert die Gefahr unheilvoller V erwech slung. Hier scheint ein Geheimnis auf: das Gehe:mnis der Faszination. Es ist im Christentum wie im Scheinchristentum, in der christlichen Mystik wie in der Esoterik wirksam. Nämlich: Gott ist und bleibt das fascino- sum, auf das der innere Blick des Menschen entweder liebend oder hassend gebannt bleibt. In der mystischen Situation nun erreicht die menschliche Liebeskraft die höchste Stufe: die Vollendung, zu der grundsätzlich jede getaufte Seele berufen ist. Jede Seele weiß irgendwie um diese Berufung in ihrem tiefsten Innern. Darum ist ihr Blick hingebannt auf das göttliche Zentrum, das sie entweder in der echten Mystik des Christentums oder in der falschen der Christentum vortäuschenden Systeme zu finden hofft. Und diese mystischen Elemente sind es, denen faszinierende Kraft innewohnt. Deshalb wirkt auch die Esoterik in dem Maße faszinierend, als sie sich dieser mystischen Elemente bemächtigt und durch sie den Schein erweckt, selbst mystische Bedeutung zu besitzen.

Gegen alle Irrlehren, wie immer sie heißen mögen, gegen jeden religiösen Trug und Schein hat Christus seine Stimme erhoben und hat gewarnt: „Sehet zu, daß euch niemand irreführe! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin Christus, und sie werden viele irreführen.“

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