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FILM UND KONSUMHYSTERIE

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Für die Soziologie ist der Film vor allem soweit von Belang, als er es vermag, massenweise menschliches Verhalten zu bestimmen oder mitzubestimmen.

Im Theater liegt das Schwergewicht noch beim gesprochenen Wort, bei der mündlichen Aussage. Im Film dagegen zeigt sich ein Vorherrschen von Gehaben, Gesten und Handlungen. Darüber hinaus hat die technische Perfektion der Filmdarstellung und Filmdarbietung bei den Massen .die Annahme entstehen lassen, daß der Film so etwas wie eine zweite Wirklichkeit darstellen könne. Da der Film nun Wirklichkeiten oder Verwirklichbares auszuweisen scheint, schafft er aber bei denen, die diesen Eindruck haben, Attraktionen, die schließlich sogar das persönliche Verhalten der Beeindruckten erheblich beeinflussen.

Der Film zeigt Leben vor. Nicht Leben schlechtweg, sondern meist begehrenswertes Leben, das im Gegensatz etwa zum Alltagsleben und insbesondere zum Arbeitsleben steht.

Drastisch und massenweise zeigt sich der Einfluß des Films auf menschliches Verhalten in der Uebernahme von Konsumleitbildern durch Konsumprimitive. Die Folge ist ein Umbau des gesamten Gebäudes des Konsumverhaltens der Beeinflußten.

Mehr Freizeit und ein Mehr an Realeinkommen sind die sachlichen Voraussetzungen dafür, daß der moderne Film weit über den Augenblick der Darbietung hinausgehende Wirkungen hat, die sich eben im Verhalten der Filmbesucher im Rahmen ihres Konsumierens zeigen.

Bei der überwiegenden Mehrheit der typischen Filmbesucher können heute die klassischen Existenzbedürfniste mit einem Teil des Einkommens gedeckt werden. Der verbleibende Einkommensrest (soweit er nicht gespart oder in dauerhafte Konsumgüter umgesetzt wird) steht für den Konsum von nicht lebenswichtigen Gütern zur Verfügung, für den Erwerb von Gütern, die bisher nicht erworben werden konnten oder von deren Vorhandensein man keine Kenntnis hatte.

Bei einem großen Teil der Filmbesucher, die nun in der Lage sind — oder zu sein glauben —, zusätzliche Güter zu erwerben, fehlt aber das Konsumwissen, fehlen die Kenntnisse, wie die neuen Einkommensteile und wie die bisher unbekannt gewesenen Güter sachlich richtig verwendet werden sollen. Der Film hat zwar oft die Eigenschaft eines Konsumlehrfilms, zeigt jedoch für die überwiegende Mehrheit unbrauchbare Konsumweisen.

*

Die Anziehungskraft der Filme ist nun je Film verschieden: Die kritischen, insbesondere die sozialkritischen Filme haben ebenso wie der historische Film' im allgemeinen eine geringfügige Wirkung auf das Konsumverhalten der Filmbesucher. Der Film in der Darstellungsweise des Neoverismo, der meist einseitig die grauen Seiten des Lebens anleuchten will, vermag den Filmbesucher kaum so weit anzusprechen, daß er dem Film für seinen Konsum Verhaltensweisen entnimmt. Bedeutsam aber ist der Film, wenn er, wie es die Amerikaner verstehen, die kleinen Dinge des Lebens aus ihrer Verborgenheit heraushebt und verklärt.

Ganz besondere Wirkungen aber hat der Film, der das Traummilieu der „Gesellschaft“ zeichnet und ursprünglichen gemeinmenschlichen Sehnsüchten nach Reich- und Mehrsein-dürfen Rechnung trägt. Der Gesellschaftsfilm, soweit er unkritisch und optimistisch ist, ersetzt das Volksmärchen und die Heldensaga der alten Zeiten. Der Heimatfilm hat in einem dörflichen Milieu sicher seine Wirkung, um so mehr, als er einfachste Aussagen mit ebenso einfacher Darstellung verbindet und auch geistigen Grenzschichten verständlich ist.

Wenn der Film für das Verhalten von Filmbesuchern bestimmend ist, so deswegen, weil den Beeinflußten die Verhaltensweisen der Filmhelden Repräsentativdarstellungen des Wirklichen oder Möglichen zu sein scheinen. Ganz besonders stark ist der vom Film auf eir Konsumverhalten ausgehende Einfluß dann, w-rm

der Film im Erfahrungsmilieu des Filmbesuchers zu spielen vorgibt und der Film gleichsam Umwelt des Filmtheaters zu sein scheint. Das gilt etwa für den Bauernfilm, die stärkste Gegenkraft für das bäuerliche Bildungswesen. Der Bauern- (Heimat-) Film scheint die Aufgabe zu haben, die Bauern zu belehren, wie sie sich eigentlich verhalten müßten, um stil- und artgerecht zu sein. Das zeigt dann ein reizender Junge aus Qttakring, auch wenn sich besagter Filmbauer nur im Bereich eines Ateliers in Wien-Sievering vor den Aufnahmegeräten bewegt und gemeinsam mit einer kessen „Dearn“ aus Berlin-Steglitz eine oberösterreichische Bauernherrlichkeit mimt.

Je stärker die filmische zweite Wirklichkeit Einfluß auf die Filmbesucher nimmt, um so mehr glauben diese auch, im Film eine Art Selbstdarstellung zu sehen, wenn nicht gar sich selbst zu spielen. Die Folge ist, daß sie „sich“ dann jenseits des Filmtheaters weiterspielen, unter Benützung der mitbekommenen Gebrauchsanweisungen. Weniger bedenklich ist es, wenn ein Filmbesucher im Filmhelden ein zweites Ego zu sehen glaubt, eine Ersatzindividualität, mit deren Tätigkeit er sich begnügt.

Die Jungen dagegen sehen nicht selten im Filmhelden, soweit er körperliche Vorzüge aufzuweisen scheint, einen passenden Partner, dem man sich sogar durch ein bestimmtes Verhalten

würdig erweisen muß, durch Kopieren seiner Lebensgewohnheiten etwa dadurch, daß man auch das liest, was der Held in seiner „kargen“ Freizeit — nach Angabe der vielen Film-Comic-Books — liest. Wir kennen doch die so ungemein originellen Bilder mit dem Star in seinem „netten“ Heim, vor der zu diesem Zweck aufgebauten Bücherstellage stehend und ein „gutes Buch“ lesend. Es entstehen zwischen dem Filmhelden und den jugendlichen Filmbesuchern platonische Beziehungen, wobei das Bauen von „Hausaltären“ für den Helden (weniger für die Heldin) keineswegs selten ist.

Der Filmheld, wenn er aus der Eigenart der Rolle heraus nicht ein abstoßendes Verhalten zeigen muß, ist nun Konsumleitbild oder zumindest Konsumvorbild. Daneben scheint der Filmheld auch eigene, bisher vom Filmbesucher ausgeübte Konsumweisen zu wiederholen und in ihrer Gültigkeit zu bestätigen. Kopiert nun der Filmbesucher das Verhalten der Konsumvor-, bilder, kommt es zu einer Fremddarstellung in seinem Konsumverhalten; der Konsument ist dann nicht er selbst, er wird an Konsumvorbilder gebunden, die in ihrem Verhalten im Film meist entweder eine höhere soziale Position einnehmen oder zur Finanzierung ihres Konsums eine erheblich höhere Kaufkraft betätigen können als die, welche dem durchschnittlichen Filmbesucher verfügbar ist.

Der Filmbesucher aber trägt dann unbewußt keine Maske, es kommt bei ihm zu den uns bekannten Konsumkomödien und Konsumtragikomödien, die, weil massenweise gespielt, nicht mehr auffallen. Oft bilden sich lose Konsumentengruppen, deren Konsumeigenart vom

Film her bestimmt wurde (Marlon-Brando-Uni-form), wenn es nicht gar zur Errichtung registrierter Gruppen kommt (James-Dean-Klubs),

in denen, bezogen auf einen Klubheiligen, eine Art von zweiter Religiosität sich aktiviert.

Manche wieder decken dadurch, daß sie eine Filmmaske tragen, ihr Verlangen nach Befriedigung ihres Verlangens nach sozialem Prestige; genügt es doch für manchen, sich so zu benehmen, als ob er Teil der ihm verschlossenen „Gesellschaft“ wäre. Der Filmheld zwingt nun viele 'Menschen zu einem Verbrauch, der in keinem Zusammenhang mit ihrem Einkommen steht. Auf diese Weise entstehen neuartige Spannungen, weil der Filmheld ein Konsumverhalten zeigt, das sich unter völlig anderen Bedingungen abspielen muß als das Leben des Filmbesuchefs. Das filmische Verhalteri ist beispielsweise selten durch eine begrenzte Kaufkraft behindert. Hat etwa der Filmheld Eile, dann stehen ihm alle Verkehrsmittel zur Verfügung, zu Fuß muß er nur in den traurigsten Situationen seines zweistündigen Filmlebens gehen. Auch Kleider- und Verpflegungssorgen gibt es kaum. Die einzige Sorge ist meist, zeitgerecht an das Happy-End zu kommen. *

Nimmt der Filmbesucher die Filmhandlung als besonders gekürzte Form der Wirklichkeitsdarstellung, entsteht aber bei ihm ein falsches Bewußtsein, das, auf den Konsum übertragen, Anlaß zur Bildung von Konsumentenideologien ist, die wieder zu einem Verhalten führen, das in keiner Weise mit Konsumkraft und Konsumwissen abgestimmt ist.

Als Folge der Konsumideologien kommt es zum Entstehen von neuen Massenbedürfnissen, die freilich nicht allein im Film ihren Ursprung haben. Schwer abweisbare Bedürfnisse werden vernachlässigt, angelernte Bedürfnisse werden

vorgezogen. Die Hausbar wird dem Kleiderschrank und' der Plattenspieler dem Sattessen vorgezogen. Man hat nun wieder Angst vor dem Hunger, nicht nur, weil man auf der Linie der Filmheldin bleiben will, sondern weil die Ratenzahlungen für Luxusgebrauchsgegenstände das Entstehen von Hungergefühlen als „Luxus“-begehren empfinden lassen. Wie viele haben sich etwa ein Magnetophon gekauft, nur um einmal ihre Stimme zu hören. Ist das nun geschehen, haben sie genug für immer und sind an das neue Glanzstück ihres Haushaltes nur noch durch die monatlichen Erlagscheine erinnert.

In der Uebersteigerung zeigt sich ein falsches Konsumverhalten als Konsumhysterie; der Konsum erhält den Rang einer Ersatzreligion, und der Filmbesuch wird, wie in manchen Landorten, zur kultischen Handlung. Aus dem Filmbesuch nimmt man Erbauung für eine ganze Woche mit. Am Rand treten dann sogar Tanzneurosen auf, Tanzekstasen, ähnlich jenen im Mittelalter und der singenden Derwische.

*

Besteht nun eine Disharmonie zwischen der vom Film her übernommenen Konsumnorm (die doch auch eine Ajisgabennorm ist) und dem tatsächlich für den Konsum verfügbaren Einkommen, so muß das Manko gedeckt werden, soll nicht ein „Bedürfnisstau“ entstehen. Dje, Deckung des Mankos erfolgt. durch Kreditaufnahme, durch die Vorwegnahme künftiger Einnahmen nach dem Slogan „Zuerst reisen, dann zahlen“, oder es wird, was noch bedenklicher ist, die natürliche Hierarchie, in der sich nun einmal die Bedürfnisse befinden und auf Befriedigung dringen, umgestellt.

Freilich sollte man in der Beurteilung von Vorgängen in der Welt des Konsums nicht übersehen, daß sich die Struktur des privaten Konsums in unseren Bereichen, allmählich gewandelt hat, ohne Einfluß des Films. Der Primärkonsum, zum Beispiel Lebensmittel, nimmt ebenso wie der Sekundärkonsum, zum Beispiel Kleidung, gegenüber dem tertiären Konsum, meist Dienstleistungsgüter für die Freizeit, verhältnismäßig ab; eine Folge der dauernden Reallohnsteigerungen, die es dem Menschen möglich machen, immer mehr Güter in den Bereich eines kaufkräftiger gewordenen Begehrens zu nehmen. Die vom Film und anderen Meinungsbildungsinstitutionen ausgelösten Wirkungen im Konsumbereich greifen aber der Entwicklung vor, sind Anlaß zu Konsumverzerrungen und nicht selten zu einer defizitären Haushaltführung vor allem junger Ehepaare. *

Da die Elementarbedürfnisse, die nicht befriedigt wurden, meist weiterhin ihren Anspruch auf Befriedigung stellen, kommt es zu einer spezifischen Verelendung, die nicht in einem zu geringen Einkommen ihre Ursache hat, sondern in einer falschen Verwendung des Einkommens. So wenn etwa eine kleine Schreiberin sich einfach deswegen nicht sattessen kann, weil sie ihr Einkommen zum größten Teil für die Abstattung eines auf Raten erworbenen Pelzmantels zu verwenden hat. Um die Beurteilung ihrer persönlichen sozialwirtschaftlichen Situation gefragt, wird jenes Mädchen wahrscheinlich davon sprechen, daß es ihr „immer schlechter gehe“, ohne sich freilich der Ursachen ihres Zustandes bewußt zu sein.

Der Film hat unleugbar seine großen Vorzüge. Er hat aber daneben auch seinen Beitrag zum Entstehen von Wohlfahrtskrisen und von sozialen Ressentiments geleistet, vermochte er doch die Konsumprimitiven, die es immer gibt, zu einem Konsum zu verleiten, der ihnen (noch) nicht angemessen war.

Der Film scheint daher nicht allein ein Problem der Moral schlechtweg zu sein, sonr dem auch der Konsummoral im besonderen.

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