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Freund oder Feind

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Daß Huntington seinen Lesern - und der großen Politik -einiges zumutet, ist klar: Also auch, daß er Widerspruch findet, und erst recht, daß viele seiner Thesen zum Nachdenken nötigen.

■ Nicht alles ist originell. Sicher nicht die am Ende erwähnte neokonservative Kultur- und Moralkritik; schon eher ihre Verbindung mit dem Postulat, auf den kulturkreisübergrei-fenden Wahrheitsanspruch der eigenen Grundüberzeugungen zu verzichten. Aber „Kulturrelativismus“ hat in den Sozialwissenschaften der USA Tradition.

Auch die zentrale Rolle des Glaubens- und Kultursystems für die Gesellschaft ist keine neue Einsicht; Tal-cott Parsons, der einflußreichste amerikanische Sozialwissenschaftler dieses Jahrhunderts (1902-1979), hat die entsprechende Lehre unermüdlich vertreten.

■ Parsons meinte freilich, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung laufe auf eine friedliche Verständigung der Gemeinschaften hinaus, auf eine wirklich weltweite Fähigkeit zur Verständigung und zur Vertrauensbildung - wenn auch nicht von heute auf morgen. Demgegenüber vertritt Huntington sozusagen eine „Freund-Feind-Theorie des Kulturellen“, und das ist womöglich noch ärger als seinerzeit Carl Schmitts präfaschistische „Freund-Feind-Theorie“ des „Politischen“.

■ Eine besondere Herausforderung ist das für die Christen und ihre Kirchen. Huntington betrachtet das Christentum als ein konstitutives Element der westlichen Kultur. Kann die Identität einer christlichen Kultur auf einer Freund-Feind-Vorstellung beruhen - wenn der christliche Glaube alle Feindschaft überbieten soll, wenn es für Christen weder Juden noch Heiden, weder Herren noch Sklaven geben soll, wie Paulus sagt?

■ Umgekehrt wird von denen, die im Namen einer christlichen Zivilisation politisch handeln sollen, verlangt, daß sie die Augen vor Mißachtungen und Vergewaltigungen der Menschenwürde jenseits des eigenen Zivilisationskreises verschließen sollen. Wie ist das mit der Treue zur eigenen Identität vereinbar?

■ Hannah Arendt hat in ihrem großen Werk über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955, deutsche Ausgabe 1958) gemeint: wo das Naturrecht (vor allem das Menschenrecht), also der alle Kulturbesonderheiten überbietende Anspruch auf Achtung der Menschenwürde, geleugnet wird, sei man schon auf die zum Totalitarismus führende schiefe Ebene geraten. Wie weit geht das zivilisationsübergreifende Einvernehmen über Erfordernisse der Menschenwürde? Wie weit darf man hoffen, dieses Einvernehmen anzureichern und zu vertiefen? (Christlich-islamische Bemühungen, etwa im Rahmen einer 1993 in Wien begonnenen Studienarbeit, verbieten Kleinmut; in diesem Frühjahr werden diese Bemühungen mit einer Konferenz unter dem Motto „Eine Welt für alle“, wieder in Wien, fortgesetzt werden ...)

Gerade wenn man die religiöse Tiefendimension des Kulturbewußtseins der großen weltpolitischen Kräfte ernst nimmt, wird man auch solche Fragen und Hoffnungen ernst nehmen müssen.

■ Damit ist freilich das Verhältnis von Glaube, Kultur, Zivilisationsidentität und politischer Macht noch längst nicht hinreichend geklärt. Wenn die großen Zivilisationskreise sich dadurch herausgebildet haben, daß religiöses AVahrheits- und Sendungsbewußtsein dem politischen Machtstreben sozusagen das gute Gewissen und die Motivation gegeben hat - kommt dann die Religion zu ihrem Recht, oder wird sie mißbraucht (nämlich zur „Zivilreligion“, zum Kitt der Gesellschaft und zum Kraftstoff des Imperialismus umfunktioniert)?

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