7095272-1994_43_15.jpg
Digital In Arbeit

Früher las man’s anders …

Werbung
Werbung
Werbung

Am 15. Oktober wurde in einem Schreiben der Glaubenskongregation, gezeichnet von Kardinal Ratzinger, wiederverheirateten Geschiedenen der Kommunionemp- fang generell unterstigt, es sei denn, „sie verpflichten sich, völlig enthaltsam zu leben“. Das fordere die Treue zur Heiligen Schrift und eine ihr folgende Praxis der Kirche.

1972 erschien im Kösel-Verlag in München ein Buch „Ehe und Ehescheidung“, in dem namhafte Theologen eine Zulassung zur Kommunion in bestimmten Fällen gerade im Blick auf Schrift und Tradition als möglich erachteten. Rudolf Schnackenburg wies als Bibliker nach, daß schon die Urkirche in der Spannung zwischen der hohen Anforderung Jesu und der menschlichen Schwachheit „unter dem Druck der tatsächlichen Verhältnisse zu einer Interpretation gezwungen war, die, so scheint es, auch Ausnahmen vom absoluten Scheidungsverbot zuließ“. Und in der Gesamtverkündigung Jesu steht neben seinen ernsten Forderungen immer die barmherzige Zuwendung zu den Sündern.

Der Moraltheologe Franz Böckle hielt damals schon den Verzicht auf den Geschlechtsverkehr als Voraussetzung für den Kommunionempfang solcher, die sich aus ernsten Gründen aus der neu entstandenen Bindung gar nicht trennen können, für „unglaubwürdig“. Eheliche Gemeinschaft erschiene dann ja mehr wie ein Vertrag über das Recht auf Geschlechtsverkehr.

Joseph Ratzinger, damals Dogmatiker in Regensburg, zeigte auf, daß es schon im christlichen Altertum „unterhalb der Schwelle der klassischen Lehre offensichtlich immer wieder in der konkreten Pastoral eine geschmeidigere Praxis zur Vermeidung von Schlimmerem“ gegeben habe, und er machte einen für die Seelsorge befreienden Vorschlag: „Wo eine erste Ehe seit langem und in einer für beide Seiten irreparablen Weise zerbrochen ist; wo umgekehrt eine hernach eingegangene zweite Ehe sich über einen längeren Zeitraum hin als sittliche Realität bewährt hat und mit dem Geist des Glaubens, besonders auch in der Erziehung der Kinder, erfüllt worden ist, da sollte auf einem außergerichtlichen Weg auf das Zeugnis des Pfarrers und von Gemeindemitgliedern die Zulassung der in einer solchen zweiten Ehe Lebenden zur Kommunion gewährt werden.“

Was vor mehr als 20 Jahren theologisch gut begründet erschien soll heute nicht mehr „rechtgläubig“ sein?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung