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Geheimnis der Menschen

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PHILOSOPHISCHE ANTHROPOLOGIE. Von Hans-Eduard Hengstenberg. W.-Kohlhammer-Verlag, Stuttgart. XIV und 396 Seiten. Preis 24 DM.

Der Autor ist bekannt vor allem durch seine Schriften zu einer kritischen Soziologie, die nicht so sehr Systematik als Problematik sind. Für diese Schriften ist die vorliegende Anthropologie so etwas wie die explizite Grundlage. Sie bekennt sich zwar zu Max Scheler, aber ohne dessen farbige Konkretheit zu teilen. Entsprechend zu einer „Problematik“ bewegt sich für ihn der Mensch zwischen einem „der Sachlichkeit fähigen Wesen“ (S. 9 ff.) und einem „zur Entscheidung für oder gegen die Sachlichkeit fähigen und gezwungenen Wesen“ (S. 41 ff.). Geht diese Bestimmung den Weg des sogenannten „Dezisionismus“ (mit Carl Schmitt und Ernst Jünger), so vollendet sie sich doch (im Sinne Diltheys, Sprangers und Litts) durch die höhere Bestimmung des Menschen als des „sinnfähigen und der Sinnfrage verpflichteten Wesens“ (S. 65 ff.), bis zu einem „An-sich-Bestand des Sinnes“ als „Urphänomenalität des Sinnes“. Erst dann tritt der Mensch als „das leibhafte Wesen“ (S. 88 ff.) und das „gemeinschaftsfähige und gemeinschaftsgebundene Wesen“ in die Diskussion. Es ist also nicht der Weg vom leib-konkreten Unten in ein geistiges Oben (wie Aristoteles, Thomas und Kant ihn beschreiten), sondern der umgekehrte Weg von einem geistigen Oben in das leibhaft-konkrete Unten, gewiß nicht der Weg eines intuitiven Spiritualismus, sondern eines kritischen: gewiß nicht der Weg einer spekulativen Ableitung, sondern ein solcher, der den Menschert als das für das Nichts und die Unendlichkeit offene Wesen“ praktisch sehen will (S. 120 ff.). Aber die Folge auch eines kritischen Spiritualismus ist, daß der eigentlich konkrete Mensch den scharfsinnigen Analysen entgleitet,

und es ist kein Zufall, daß das Buch am Ende doch, trotz aller Problematik, sich dem formalen „Dezisionismus" verschreibt: „Der Mensch ist das Wesen der Entscheidung“ (S. 382).

NOVALIS: SCHRIFTEN. 1. Band: Das dichterische Werk. Herausgegeben von Paul Kluckhohn und Richard S a- m u e 1. W.-Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1960. XV und 660 Seiten. Preis 33 DM. Zeitprobleme im Roman

Goethe und Novalis dürften als die eigentlichen Antipoden anzusehen sein, zwischen denen das „Deutsche“ schwingt, während Schiller im Grunde der „ewige Revolutionär“ bleibt, in immer neuer Variation seiner „Räuber" und in seltsamer Vorliebe für den „Kriminalfall“. Goethe ward zum Symbol des „Universalen“, das dem „Deutschen“ kein Nationales verstauet, weil es im Dienst der ganzen Welt steht: wie Nikolaus von Kues, Herder und Wilhelm von Humboldt, aber auch Leibniz und Hegel nie das Deutsche, sondern die „Welt“ betrafen. Novalis, dem gegenüber, ist Symbol der „ewigen Jugendlichkeit“ im „Deutschen“, Jugendlichkeit des „ewigen Traums“, der alle Realität überfliegt, fast zu einem „Geisterdasein". Novalis ist Reinform dessen, was in Brentano und E. T. H. Hoffmann bereits in das übergeht, was wir heute Surrealismus nennen und was in Franz v. Baader und Schelling die Züge der Gnosis annimmt. Unter mancher Rücksicht mag für ihn die Scheidung Bäumlers zwischen Jenenser und Heidelberger Romentik zutreffen, da er zur geschichtslosen Jenenser Romantik gehört, während die Heidelberger Romantik (vor allem in Görres) wesentlich geschichtshaft ist. Aber als Reinform der „ewigen Jugendlichkeit“ schwebt er über diesen Gegensätzen gleichsam als „Idee", die in der gesamten deutschen Romantik sich farbenbunt realisiert. Nichts in Novalis ist Realität, wie doch die anderen Romantiker höchst real in der Erde stehen (und dies in bewußter Antithese zum deutschen Idealismus!. Er bleibt der „Geisterseher“, wie selbst der kühl-kritische Kant’ dem Zauber Svedenborgs verfiel und wie sogar der Hyperrealist Balzac um ihn kreiste.

Während sich für Goethe das Universum zu sich selbst schloß, ist Novalis der wesentlich „Unvollendete“, der ein „ins Unendliche“ lebt, ln beiden überwindet sich alles Nationale des Deutschen schlechthin ins Kosmische, so daß beide in der kosmischen Anthroposophie zu „Schutzgeistern" genommen sind. — Die vorliegende kritische Gesamtausgabe in ihrer vorzüglichen Anordnung macht eben dies deutlich.

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