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Geist von Potsdam — Geist von Weimar

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Im Jahre 1940 hatte Schreiber dieser Zeilen im Auftrag eines Wiener Universitätsinstitutes eine kleine Arbeit über die „staatspolitischen Anschauungen des jungen Goethe“ zu liefern, in deren Schlußkapitel er das Thema dieser Abhandlung in der gegebenen Fassung behandelte. Es war damals bei dem eindeutig „ausgerichteten“ Wissenschaftsbetrieb des nationalsozialistischen Hochschulwesens, ein Wagnis, auf die innere Polarität dieser „Synthese“ hinzuweisen, doch konnte sich die Prüfungskommission der wissenschaftlichen Begründung des Themas nicht entziehen. Ihr tiefster Sinn liegt in der völligen Verkennung oder Mißdeutung der unsterblichen Persönlichkeit Goethes und des Geistes von Weimar, die soweit ging, daß man Goethe sogar mit Friedrich II. von Preußen, dem vornehmsten Träger des „Geistes von Potsdam“, in engste Verbindung zueinander zu setzen sich bemühte. Man glaubte, die tiefste Deutung „deutschen Wesens“ in dieser Verbindung zu sehen, meinte, des „Geistes von Potsdam“ als notwendige Ergänzung des anderen nicht entraten zu können und .umgekehrt. Ohne sich des polaren Gegensatzes dieser beiden Weltanschauungen — und es handelt si“ dabei um derartiee Orientierungen — bewußt zu werden.

Der Geist von Potsdam bedeutete durch zweihundert Jahre Vergottung des Staates, Überschätzung der nationalen Werte in ihrer unmittelbaren Beziehung auf das rein Militärische, kleinpreußische Hybrs gegen-

fter den Mindestforderungen föderativen

Reicfvsbcwußtscins — das altes führte naturnotwendig zum .,totalen Staat“, zu einem Denken, das sich — äußerlich und innerlich — nur noch in Uniformen darstellen ließ. Der Geist von Weimar dagegen atmete bewußte Weltoffenheit, war von den Bildungselementen der griechisch-römischen dann der germanischen Antike bestimmt, worauf ja bereits die Romantiker kritisch hingewiesen hatten, und sah Sein volkhaftes Bewußtsein mindestens im großen Rahmen des Reiches, keinesfalls in staatlicher Verengung, ausgedrückt. 1 Man darf darauf hinweisen, daß der bewußteste Zeuge der nationalen Entwicklung des vorigen Jährhunderts sich immer wieder mit dieser angeblichen „Synthese“ auseinandersetzt: Fürst Otto von Bismarek in seinen „Gedanken und Erinnerungen“. Der „Eiserne Kanzler“ hatte ein lebendiges Empfinden für diese feinen Spannungen zwischen dem „Geist von Potsdam“ und dem „Geist von Weimar“, umsomehr, als am eigenen Hofe, dem er diente, diese Gegensätze ihre vornehmsten Träger gefunden hatten. Immer wieder begegnete dem etwas engen Alt-preußentum seines alten Herrn Wilhelms I., bei dem sich alles vom „Standpunkt des Portepees aus“ regelte, die aufgeschlossene Weitläufigkeit seiner Gemahlin Augusts, der Enkelin Karl Augusts von Weimar und eben Schülerin Goethes. Dieser „Weimarer Liberalismus“ — wie Bismarck es bezeichnete — sollte sich in beider Sohn, * dem später so unglücklichen Friedrich III., noch vertiefen dank der englischen Einflüsse seiner Gemahlin, die im Preußentum zeitlebens d i e Gefahr für den Kontinent gesehen. *

1 Dies betont unter anderem Spengler, in seinem „Preußentum und Sozialicmus“ (1924) und auch Srbik in seinem „Goethe und das Reich“ (1936).

* Näheres darüber vor allem in der hervorrasenden Biographie Kaiser Friedrichs von Werner Richter, Zürich, 1936. •

Von cja ans ztiruck ra Goethe selb.

Ganz abgesehen von seiner übernationalen Haltung, in der er iriirner nur den abendländischen Menschen gelten ließ, war er immer ein leidenschaftlicher Gegner jeder geistig - weltanschaulichen . Uniformierung. Besonders in seinen Alterswerken weist er unermüdlich darauf hin, daß die Güter von Erziehung und Kultur, von Kunst und jeder geistigen Gestaltung überhaupt, der Menschheit als Ganzem angehören, nicht „national bedingt“ sein müssen. Gerade von diesem Standort aus begrüßte er immer die fruchtbare Kulturarbeit der kleinen, meist stammesmäßig • gegliederten Territorien innerhalb des Reiches in ihren anregenden Wechselwirkungen aufeinander, ihren unlösbaren und doch eigenständigen. Beziehungen. Nur so gelingt eine scrofse, segensreiche Symphonie, nur so gestaltet sich der' Kosmos eines großen Mosaikwerkes, wo jeder Stein an seinem Platze einen ganz bestimmten, freilich nur dem Ganzen zugeordneten Wert besitzt. — Goethe sah — in manchem Gespräch mit EckeYmann zum Beispiel angedeutet — die schweren Gefahren des „Geistes von Potsdam“, jenes hemmungslosen Eroberergeistes, den er, bei aller Bewunderung für das Genie -- ja auch bei Napoleon ablehnte. Es war Geist von Weimar, in dem er seinem Sohne August den Eintritt in das Lützowsche Freikorps verbot, wie es der gleiche Geist gewesen, der ihn im Jahre 178*6 nach Italien „fliehen“ ließ, als er seinen herzoglidien Freund Karl August allzutief in die Netze des friedepr*“ zianischen „Fürstenbundes“ verstrickt sah.

Es bleibt immerhin bemerkenswert, daß später die sogenannte Weimarer Republik einen Anlauf nahm, den „Geist von Potsdam“, eben durch den Geist von Weimar zu überwinden, sie gab sich ja in Weynar ihre freilich sehr problematische Verfassung (11. August 1919). Umso eifriger bemühte ich die immer stärker andrängende natio-

nale Opposition, der bewußten „Synthese“

wieder ztf ihrem alten Rechte zu verhelfen. Besonders die Generation, der der Verfasser angehört, zwischen den Feuern zweier Weltbrände aüfgewachseri und damit zu geistiger Obdachlosigkeit verdammt, wurde ganz in diesem Sinne erzogen, so.daß es schon auf Mittel- _und Hochschule ein Wagnis bedeutete, wenn man sich von diesem „zwiefachen“ Geiste zu distanzieren suchte, beziehungsweise wenn man zugunsten des „Geistes von Weimar“ auf die allzustarke „Ausrichtung“ im „Geiste von Potsdam“ zu verzichten wünschte. — Gerade in dieser Problemstellung tritt uns, der „mißverstandene Goethe“ — es gibt bereits eine kleine Literatur über ihn — in ein besonders klares Licht. Wäre es nicht an der Zeit, vor allem die studierende Jugend von dieser längst überwundenen Synthese zu befreien, die ihr in den überstandenen Jahren wieder nahe gebracht wurde? Gundolf hat einmal mit vollem Recht vor den“ „vielen, allzuvielen Relationen mit oder zu Goethe“ gewarnt: Goethe und Plotin, Goethe und das Reich, Goethe und, und . .. „bleibe er uns noch vielmehr Goethe allein!“ fährt er fort.

Ja, werde er uns wieder der über den Zeiten waltende Helfer und Meister, der in seinem Wirken und Denken über den Jahrhunderten steht, weil sich in ihm die Formgebung der Antike mit den geistigen Elementen seines eigenen Volkes in wunderbarer weit- und zeitoffener Vollendung verband. — Er, dessen Todestag wir zum erstenmal wieder „im Frieden“ erleben, gibt uns für die Not unserer Tage solch erhabenes Genügen in dem besinnlichen Wort, das mit uns gehen möge: „Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und. wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“

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