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Wie bei allen modernen Massenkommunikationsmitteln kann man auch beim Fernsehen grundsätzlich zwei verschiedene Aufgabenbereiche unterscheiden. Der eine erstreckt sich auf das Gebiet der Vermittlung, der Information, der andere auf die Entwicklung eigenständiger Formen, die zum Teil durchaus in den Bereich der Kunst vorstoßen können.

Kunst kann aber anderseits auch das Objekt der Vermittlungsfunktion des Fernsehens sein. Spezifische Grundelemente des Fernsehens — die gemeinsame Übermittlung von Bild und Ton und die „totale Aktualität“, die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Empfang — weisen in dieser Hinsicht deutlich auf alle Formen des Theaters hin, und somit auch auf die Oper.

In der Tat gibt es kein anderes Mittel, das so viele Menschen zugleich eine Bühnenaufführung in so umfassender Weise miterleben läßt. Dabei wird auch stets eine Vielzahl von Zuschauern erfaßt, für die eine Fernsehübertragung die einzige Möglichkeit darstellt, an der betreffenden Aufführung teilzuhaben. Ja, für viele bildet das Fernsehen den einzigen Kontakt mit der Welt der Oper oder des Theaters überhaupt. Ganz abgesehen davon, daß eine solche Übertragung sogar den unmittelbaren Anstoß zu einem Theater- oder Opernbesuch geben kann.

Aus diesen Tatsachen allein ist schon zu erkennen, welch große Bedeutung den Fernsehübertragungen von Bühnenaufführungen zukommt, und man braucht sich kaum noch an die bekannte, aus England stammende Feststellung erinnern, daß die Zahl der Zuschauer, die eine einzige Fernsehübertragung etwa einer Wagner-Oper sehen, größer ist als die Zahl derer, die diese Oper seit ihrer Uraufführung je auf einer Bühne gesehen haben.

Nun darf man natürlich nicht erwarten — und in dieser Richtung ist auch keineswegs die Aufgabe des Fernsehens zu suchen —, daß der Zuschauer am Bildschirm genau das gleiche Erlebnis hat wie der Opernbesucher. Das Fernsehen muß sogar die Form der Übertragung, besonders was den optischen Teil betrifft, seinen Gegebenheiten und Möglichkeiten anpassen (etwa durch wechselnde Kameraeinstellung), um so den Eindruck der Unmittelbarkeit und die Wirkung auf den Zuschauer so intensiv wie nur möglich zu gestalten; Auf diese Weise erhält man aber nicht nur eine optisch-akustische Information in einer Vollkommenheit, wie sie mit den heutigen technischen Mitteln überhaupt zu erzielen ist, sondern der Fernsehzuschauer erfährt ein Erlebnis ganz eigener Art. das dem Erlebnis des Theaterbesuchers durchaus verwandt sein kann. Welch unvergeßlichen Eindruck eine solche Opernübertragung vermitteln kann, wenn Werk, Aufführung und Übertragung zugleich von besonderer Qualität sind, war schon wiederholt zu beobachten; man denke nur — beispielsweise — an die kürzlich durchgeführte „Arabella“-Übertragunig von den Münchner Festspielen.

So ist es eigentlich recht verwunderlich, wenn gelegentlich Bedenken gegen solche Übertragungen geäußert werden, weil sie nur einen „unzulänglichen“ Eindruck der Aufführung vermitteln könnten; zumal solche Bedenken bei den schon seit Jahrzehnten üblichen Opernübertragungen im Rundfunk offenbar nicht bestehen, bei Übertragungen also, die durch das Fehlen des Optischen jedenfalls viel unvollständiger sein müssen.

So eindrucksvoll nun das Erlebnis des Fernsehzuschauers bei einer Opernübertragung (wie ganz allgemein bei einer Theaterübertragung) auch sein mag, das Kunstwerk entsteht in diesem Falle bereits auf der Bühne, und diesen Vorgang in all seiner Unmittelbarkeit zu erleben, ist nur dem Theaterbesucher möglich. Der Fernsehzuschauer nimmt nur an der Vermittlung, man könnte auch sagen: an der Vervielfältigung, teil; sein Erlebnis stammt aus zweiter Hand.

Anders verhält es sich, wenn das Fernsehen unter Ausnutzung seiner spezifischen Gestaltungsmittel darangeht, eigene Ausdrucksformen künstlerischer Art zu schaffen. Da entsteht daftn das Kunstwerk auf dem Bildschirm selbst, und niemand kann das daraus resultierende Erlebnis tiefer empfinden als der Fernsehzuschauer. Eine Erscheinung, die geradezu als ein Kriterium für die Eigenständigkeit einer Ausdrucksform anzusehen ist.

Daß das Fernsehen auf der Suche nach ihm eigentümlichen Kunstformen auch auf solche stößt, die dem musikalischen Theater verwandt sind, erscheint aus seinen Möglichkeiten heraus naheliegend. Dabei sei großes Gewicht auf den Ausdruck „verwandt“ gelegt. Denn mehr als eine Verwandtschaft besteht nicht. Das Fernsehen schafft hier etwas gänzlich Neues, eine mit seinen Mitteln gestaltete musikalisch-darstellerische Form. Schon die Bezeichnung Fernseh o p e r erscheint deshalb irreführend und verfehlt. Sie verleitet dazu, dieses — nennen wir es ruhig: musikalische Fernsehspiel vom Standpunkt der Bühnenoper aus zu betrachten und an deren Maßstäben zu messen, was letzten Endes völlig unzulässig ist. Wir werden darauf noch einmal zurückkommen.

Das Fernsehen jedenfalls muß seine eigenen Ausdrucksformen mit seinen Mitteln und nach seinen Gesetzen gestalten. Einen Weg, eine optisch wie akustisch möglichst vollkommene Form des musikalischen Fernsehspiels zu erreichen, hat es schon beschritten:

Diese Produktionsform hat nun die heftigsten und erbittertsten Kritiken gefunden. Aber man muß wohl von allen diesen Gegenstimmen von vornherein alle jene abstreichen, die vom Standpunkt der Bühnenoper ausgehen und in der Play-back-Oper nur eine mutwillige Verletzung heiligster Traditionen sehen. Kaum jemand wird es heute noch als „nicht theatergemäß“ ansehen, wenn im Film die einzelnen Einstellungen (auch wenn es sich um einen „Klassiker“ handelt) in völlig unchronologischer Reihenfolge und so oft gedreht werden, bis der gewünschte Grad an Perfektion erreicht ist, wenn dann aus diesem Material der endgültige Film geschnitten wird und wenn dann womöglich noch dem Darsteller die Stimme eines anderen Schauspielers in einer anderen Sprache unterlegt wird.

Warum also soll das Fernsehen nicht auf seine Weise arbeiten? Selbstverständlich muß diese Art des musikalischen Fernsehspiels (oder wenn man will: der Fernsehoper) einer strengen und sachkundigen Kritik unterliegen, aber als das, was sie ist, und nicht als etwas, das sie niemals sein kann und sein soll.

Im Studio wird eine den Erfordernissen der Fernsehbildgestaltung kompromißlos entsprechende Szenerie aufgebaut. Der musikalische Part wird mit erstklassigen Sängern und einem ebensolchen Orchester in technisch möglichst vollkommener Weise — also vor allem in einem akustisch geeigneten Studio — auf Band aufgenommen. Und nun läßt man gute Schauspieler, die auch typenmäßig ihren Rollenfiguren weitgehend entsprechen (und im übrigen natürlich zu dem Charakter der entsprechenden Singstimme passen), zu den Tonaufnahmen in den Dekorationen agieren: Aus einer Lautsprecheranlage ertönt die Stimme des Sängers, und der Schauspieler singt die Partie synchron mit. Auf die Schönheit seines Gesanges kommt es dabei gar nicht an; der Zuschauer hört nur die Stimme des Sängers und sieht dazu ein allen Anforderungen gerecht werdendes Bild. Mit musikalischen Schauspielern und durch intensivste Probenarbeit kann auf diese Weise eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den — sichtbaren — Mundbewegungen des Darstellers und der — hörbaren — Stimme des Sängers erreicht werden.

Das also ist eine Form der sogenannten Play-back-„Oper“, um die sich der bekannte deutsche Fernsehregisseur Kurt Wilhelm höchste Verdienste erworben hat. Schon seine erste Inszenierung, die in Österreich zu sehen war, „Die Entführung aus dem Serail“, wird allen, die sie auf dem Bildschirm miterlebt haben, in unvergeßlicher Erinnerung sein. Er hat damit etwas geschaffen, das in keiner Weise mit der Bühnenoper verglichen werden soll, das eine dem Fernsehen eigene und ihm durchaus gemäße Form ist und eine Wirkung erzielt, wie sie auf keine andere Weise und mit keinen anderen Mitteln erreicht werden kann. Womit das schon erwähnte Kriterium der Eigenständigkeit also erfüllt ist.

Daß solchen musikalischen Fernsehspielen vielfach Werke aus dem Repertoire der Bühnenoper zugrunde gelegt werden, ist einzig darauf zurückzuführen, daß es an dafür geeigneten, eigens für das Fernsehen komponierten Stücken mangelt. Die Tatsache aber, daß nur durch solche Fernsehinszenierungen hunderttausende Menschen größtes Vergnügen an Werken der Opernliteratur gefunden haben, die bis dahin mit der Oper überhaupt nie in Kontakt gekommen sind, dürfte allein zu ihrer Rechtfertigung ausreichen.

Natürlich wurden im Fernsehen auch andere Wege zur Gestaltung musikalischer Fernsehspiele beschritten. So hat man beispielsweise bei Playback-Produktionen den Einsatz von Schauspielern vermieden und die Sänger selbst ihre Rollen auch darstellerisch gestalten lassen. Die Verwendung des Play-back- Verfahrens, daß heißt die Tatsache, daß die Stimmen zuerst auf Band aufgenommne werden und die Sänger dann dazu agieren, gehört nun einmal zu den spezifischen Möglichkeiten des Fernsehens und dient vor allem zur Erzielung einer möglichst guten Tonqualität, auf die doch bei einer Form, die man so gerne mit der Oper vergleicht, besonderer Wert gelegt werden müßte!

Es ist nämlich nicht nur nahezu unmöglich, in einem Fernsehstudio neben der Fernsehdekoration und all den technischen Einrichtungen noch ein großes Orchester unterzubringen, sondern es ist auch schwierig, unter diesen Bedingungen das an sich technisch mögliche Maximum an Tonqualität zu erreichen. • Trotzdem wurde auch versucht, auf das Playback-Verfahren überhaupt zu verzichten. Die Sänger spielen und singen in einer im Fernsehstudio aufgebauten Fernsehdekoration, während das Orchester sich in einem anderen Studio befindet. Die Verbindung mit dem Dirigenten und den Sängern wird über eigene Fernsehkameras und Bildschirme hergestellt. Daß sich ein Dirigent wie Peter Hermann Adler dieser Form der „Fernsehoper“ annimmt, mag die Ansicht unterstreichen, daß die Unterbringung des Orchesters im Bildaufnahmestudio zu unzulässigen Kompromissen führen müßte.

Den letzten Schritt wird man aber hoffentlich nicht tun: Wenn man nämlich noch auf fernsehgemäße Dekoration und Kameraführung verzichtet und im Studio eine Art Bühne aufbaut, dann könnte man dort vielleicht auch noch das Orchester unterbringen. Damit aber ließe man die vielfältigen gestalterischen und technischen Möglichkeiten des Fernsehens ungenützt, und man täte besser daran, eine echte Bühnenaufführung zu übertragen. Das entspräche dann wenigstens der Vermittlerrolle des Fernsehens.

Dabei gibt es auch Versuche, die sich noch viel weiter von der herkömmlichen Form der Bühnenoper entfernen, etwa durch die Verwendung elektronischer Musik. Welche Möglichkeiten hier noch ihrer Entdeckung harren, kann aber nicht durch von Vorurteilen beeinflußte Stellungnahmen, sondern nur durch praktische Versuche ermittelt werden.

Und müssen wir einen dieser Versuche auch als grundsätzlich mißlungen ansehen, so ist dies doch indirekt ein Gewinn: man weiß dann wenigstens von einem Weg, daß er nicht gangbar ist, und wird vielleicht einen anderen, besseren rinden.

DIE FURCHE

SEITE 12 / NUMMER 45 5. NOVEMBER 1960

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