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Geschworene und Gerichtspsychiater

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Unser Strafrecht setzt Schuld und für diese bösen Vorsatz voraus, Geisteskrankheit; des Täters schließt ihn aus. Zur Feststellung, ob der Täter geisteskrank ist oder zur Zeit der Tat war, wird er psychiatriert.

In Fällen von. schweren Verbrechen wird häufig die Psychiatrierung des Täters veranlaßt. Da diese Verbrechen nach der jetzt beabsichtigten Wiedereinführung der Geschworenengerichte vor diesen zur Verhandlung kommen werden, erscheint es angezeigt, zu erörtern, wie sich Gerichtspsychiatrie und Geschworenengerichtsbarkeit zueinander verhalten.

Der 2 des österreichischen Strafgesetzes nennt Beraubung des Vernunftgebrauches, Sinnenverrückung, Sinnenverwirrung und volle Berauschung als Geisteszustände, die den bösen Vorsatz ausschließen. Diese Ausdrücke sind so allgemein verständlich, daß man glauben möchte, es könnte sich auch der Laie, der dem Strafverfahren beiwohnt, eine Meinung bilden, ob beim Angeklagten einer dieser Strafausschließungsgründe vorliegt. Wenn dem so wäre, dann würde man keinen psychiatrischen Sachverständigen brauchen. Tatsächlich aber kommt in den Fällen, wo diese krankhaften Geisteszustände leicht feststellbar wären, der Täter gar nicht mehr vor den Richter, sondern früher in die Irrenanstalt. Das Gewöhnliche ist dagegen, daß dem Angeklagten während der Prozeßführung nichts Krankhaftes anzusehen ist, auch wenn der Untersuchungsrichter oder der Verteidiger bei ihm die Möglichkeit einer Geistesstörung in Erwägung ziehen mußten. Es muß übrigens hier hervorgehoben werden, daß es weniger darauf ankommt, ob der Täter geisteskrank ist, als darauf, ob er zur Zeit der Tat geistesgestört war, er kann also tatsächlich vor Richter und Geschworenen als Geistesgesunder stehen, während der Gerichtspsychiater ihn als geistesgestört zur Zeit der' Tat erklärt. Darin liegt schon eine Quelle der Möglichkeit falscher Beurteilung durch den Laien. Dieser kann auch sehr leicht getäuscht werden, wenn zum Beispiel der Angeklagte sehr intelligent ist oder wenn er mit Überlegung und zweckmäßig gehandelt hat und trotzdem unter den Strafausschücßuncjsparagraphen fällt, denn auf bösen Vorsatz oder krankhaften Beweggrund kommt es schließlich an. Verwirrend kann es für den Laien auch sein, wenn von der Verteidigung großes Gewicht auf das Vorkommen von Geistesstörungen in der Verwandtsdiaft des Augeklagten oder auf einen ehemaligen Aufenthalt des Angeklagten in einer Irrenanstalt gelegt wird, der Angeklagte aber trotzdem als verantwortlich im Sinne des Gesetzes zu betrachten ist.

Um trotz solcher Schwierigkeiten dem Gesetze zu genügen, muß der Angeklagte eben vom psychiatrischen Sachverständigen untersudit werden. Dieser erstattet ein Gutachten, auf Grund dessen der Richter in die Lage versetzt ist, Zurechnungsfähigkeit oder Unzurechnungsfähigkeit festzustellen, Strafe oder Freispruch zu verkünden. Die Gutachten sind gewöhnlich sehr ausführlich, damit der Richter nicht die Ansicht des Psydiiaters einfach hinnehmen muß, sondern sich auch selbst eine Meinung über den Geisteszustand eines Angeklagten bilden kann. Die Richter verfügen zumindesten über gewisse psydiologisdie und psychiatrische Kenntnisse und über eine im Berufe geschärfte Urteilskraft. Sie sind demnach für die Darstellungen des Gerichtspsychiaters, besonders nach vor-, herigem Studium des, Gutachtens, auf-nahmsfähig.

Das psychiatrische Gutachten vor den Gesdiworenen Wie steht es aber nun, wenn das psychiatrische Gutachten nicht dem Richter, sondern den Geschworenen zur Verfügung gestellt wird? Leuten, die aus verschiedenen Volksschichten und Berufen für einen speziellen Strafprozeß zu Volksrichtern bestellt sind? Sie verfügen zunächst nur über den sogenannten gesunden Menschenverstand. Mit diesem allein ist aber in der Beurteilung des Geisteszustandes des Angeklagten, wie man sich schon nach den oben angeführten Täusdiungsmöglich-keiten vorstellen kann, nichts anzufangen. Man könnte demgegenüber einwenden, daß die Geschworenen belehrt werden können. Eine Belehrung in einer so schwierigen Sache ist aber ohne entsprechende W i ss ensgrundIage kaum erfolgversprechend.

In der Praxis fällt es ja oft dem Richter schwer, sich selbst ein Urteil zu bilden, so daß ihm dasselbe vom Psychiater nahezu mundgerecht vorgelegt wird. Rein theoretisch erscheint es wenig wahrscheinlich, daß die richtige Verwendung psychiatrischer Gutachten durch die Geschworenen gewährleistet tot.

Es ist ja auch nicht möglich, daß die Geschworenen, wie es der Richter tun kann, vorher das Gutachten durchstudieren. Sie würden dieses mangels jedes Verständnisses verzweifelt aus der Hand legen.

Der bekannte Schweizer Psychiater August Forel hat im Jahre 1898 auf die Verurteilung eines Eifersuchtswahnsinnigen wegen Mordversuches hingewiesen. Infolge der Art der Rechtsbelehrung wurde der Geisteskranke vom Schwurgericht schuldig erkannt und zu acht Jahren Arbeitshaus verurteilt. „So war der Makel des Verbrechens einem armen Kranken und einer ehrlichen Familie im Jahre 1897 im Kulturkanton Zürich trotz wissenschaftlicher fachmännischer Feststellung der Geistesstörung aufgestempelt. So brachte die Geisteskrankheit einen armen jungen Mann ins Zuchthaus statt ins Irrenhaus“, in das er schließlich wegen andauernder Geisteskrankheit doch gebracht werden mußte. Aus der Darstellung F o r e 1 s entnehmen wir, daß der Schuldspruch erfolgte, trotzdem ein mit großer Bestimmtheit, KlarheitundSach-lichkeit abgegebenes Gutachten auf totale Unzurechnungsfähigkeit vorlag und auch der Staatsanwalt den Angeklagten für unzurechnungsfähig hielt. Man möchte sagen: ein Urteil der Geschworenen wider alles bessere Wissen und daher ein Fehlurteil. Das erweckt die Erinnerung an Fehlurteile durch Geschworene in Österreich in der Zeit um 1930.

Wir müssen nun hier darauf hinweisen, daß viele Kapitalverbrecher Psychopathen

.Neue Zürcher Zeitung“, 20. Februar 1898. sind, Menschen im Grenzgebiet zwischen Geisteskrankheit und Gesundheit, sogenannte Grenzfälle. Die Merkmale der Psychopathie bringen es aber mit sich, daß die Geschworenen den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen über dieselben und der damit scheinbar im Gegensatz stehenden Schlußfolgerung, daß keine eigentliche Geisteskrankheit vorliege, nicht folgen können. Der ehemalige Wiener Gerichtspsychiater Herschmann kommt zu dem Schlüsse, daß

.ein restloses Verstehen der psychiatrischen Gutaditen durch die Geschworenen unmöglidi ist, denn die Probleme des Seelenlebens, die in den psychiatrischen Gutachten abgehandelt werden, ; gehen über die durchschnittliche Auffassungskraft der Geschworenen beträchtlich hinaus, und die klarste Darstellung vermag nicht Laien, die sich bis zu diesem Tage nie mit diesem Gegenstande beschäftigt haben, ein richtiges Verständnis dieser komplizierten Probleme zu vermitteln. Es ist dies einer der Gründe, die gegen das Geschworenengericht in seiner jetzigen

.Wiener klinische Wochenschrift“, 1933.

Form und für seine Ersetzung durch große Schöffensenate sprechen.“ Da diese Feststellung in das letzte Jahr (1933) der Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich fiel, kam sie, soweit ihr die erwähnten Erfahrungen zugrunde liegen, als jüngste und somit zur Zeit gültige angesehen werden.

Die Gericfatspsychiater haben am allerwenigsten etwas gegen die Mitwirkung des Volkes an der Rechtspflege, stehen sie doch auf jeden Fall zwischen Richter und Öffentlichkeit, immer der Kritik der letzteren ausgesetzt. Es könnte ihnen sogar sehr recht sein, wenn sie zwischen sich und der Öffentlichkeit die Geschworenen hätten, die ihrer Funktion nach die Verantwortung für da Urteil tragen und somit den psychiatrischen Sachverständigen, denen sie vom Publikum ganz zu Unrecht oft aufgeladen wird, abnähmen. Leider ist aber damit der Rechtsprechung nicht gedient, denn die Erfahrung lehrt, daß die Wahrsprüche der Geschworenen, wenn der Strafausschließungsparagraph zur Frage steht, allzuoft Fehlentscheidungen sind, sei es als Schuldspruch Geisteskranker oder als Freispruch von Psychopathen,

Der neue Regierungsentwurf über die Wiedereinführung der Geschworenengerichte bringt vom forensisch-psychiatrischen Standpunkte aus Verbesserungen mit sich. Zwar haben die Geschworenen grundsätzlich allein über die Schuld zu entscheiden, also auch zu' einem vorliegenden psychiatrischen Sachverständigengutachten Stellung zu nehmen. Es ist aber vorgesehen, daß in schwierigen Fällen, und als solche könnten die mit Psychiatrierung des Angeklagten aufgefaßt werden, der aus drei Richtern bestehende Schwurgerichtshof der Beratung der Geschworenen über die Schuldfrage beiwohnen kann. Eine zweite Verbesserung ist die, daß auch Fehlentscheidungen der Geschworenen zugunsten des Angeklagten, im Gegensatz zu früher, dem Obersten Gerichtshöfe und von diesem einem neuen Geschworenengerichte überwiesen werden können. Obwohl vom forensisch-psychiatrischen Standpunkte aus die großen Schöffengerichte vorzuziehen sind, kann gesagt werden, daß die neuen Geschworenengerichte nach dem vorliegenden Entwurf gegenüber dem früheren eine Verbesserung darstellen.

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