6769929-1968_49_33.jpg
Digital In Arbeit

Glaube und Theologie

Werbung
Werbung
Werbung

Der Glaube, gefaßt in der verbalsystematischen Äußerlichkeit der Theologie, hat die Erfassung „des Jenseits in unserer Mitte“ (Bon- höffer) zum Gegenstand. Aus der „Erfahrung“ der Offenbarung wird daher Gott als das ganz „andere“ verstanden, als das „Unbedingte im Bedingten“ (Bultmann). Dabei wird Gegenwärtiges auf ein Zukünftiges hin angelegt und auf diese Weise Eschatologisches mit dem Glauben abgestimmt. Insoweit ist der Theologe in einem besonderen Sinn ein „homo progressivus“ (T. de Chardin).

Welche Wirklichkeit hat aber die Theologie in unserer „Mitte“, da sie doch nur mit einem Jenseits beschäftigt ist, das in der Vorstellung der Naturwissenschaften keine Realität besitzt, sondern lediglich in der Form normativer Sätze, deren Adressaten die Menschen in bestimmten Situationen sind, in diese Welt überzugreifen vermag.

Nun ist aber nicht allein das Wirklichkeit, was der Profanwissenschaft etwa als (meßbarer) Gegenstand dient, sondern alles, was „wirkt“. Auch ein ideales Sein. Freilich ist das Wirken Gottes, das in das Diesseits übergreift, ohne in diesem etabliert zu sein, eine Wirklichkeit völlig anderer Art, als etwa jene Wirklichkeit, die z. B. erst im Laboratorium sichtbar und dem Forscher für die Fassung seiner Theorien transparent geworden ist

In permanenter Spannung

Profane Wissenschaft und Glaube, so weit dieser in der Theologie formalisiert und mittels ihrer Darstellungsinstrumente verkündet wird, stehen zueinander, u. a. als Folge eines je verschiedenen Informationsgehaltes, in einem Spannungs- wenn nicht in einem permanenten Kontroversverhältnis, obwohl sie, oder gerade weil sie, unvermeidbar auf-

einander bezogen sind und sich zumindest in einem gegenseitigen katalysatorischen Verhältnis befinden.

Die Naturwissenschafter beklagen oft einen antiwissenschaftlichen Affekt einzelner kirchlicher Stellen. Dieser tatsächliche oder scheinbare Affekt wird vor allem dann sichtbar, wenn wissenschaftliche Methoden und die Interpretationen der Theologie nicht übereinstimmen. Das ist nicht nur der Fall, wenn sich eine wissenschaftliche Lehrmeinung als säkularisierte Quasireligion anbietet, sondern auch, falls einzelnen Glaubenssätzen von der Theologie der Charakter naturwissenschaftlicher Aussagen beigemessen wird. Seit Galilei geschieht dies immer wieder und leben gläubige Christen in einer sachlich nicht gerechtfertigten Gegenposition zur Wissenschaft, deren Bestand von einzelnen kirchlichen Administrationen geradezu abgesichert wird.

Gültige Modelle?

Formeln wie jene von der „gottgewollten Ordnung“, die oft nur den Vorstellungen von kurialen Beamten entsprechen, sind keineswegs stets angemessene pädagogische Aussageinstrumente, geeignet, auf die tendenzielle Harmonie in den Perspektiven göttlichen Wirkens hinzuweisen, sondern sehr oft Worthüllen, die nicht selten so allgemein sind, daß sie schließlich keinen Inhalt haben. Anderseits wird aber gerade das Vorhandensein eines sol chen (verpflichtenden) Inhaltes behauptet und zuweilen ohne Beleg auf oberste Aussagen Regreß genommen. Das gilt u. a. für manche Lehrsätze der (in diesem Fall: sogenannten) christlichen Soziallehre, die zuweilen in einer „Wesensschau“ von ihr konstruierte Idealverfassungen als gültige Modelle für eine mögliche Realverfassung erklärt, wenn nicht vorschreibt und sie gegen wissenschaftliche Analysen immunisiert, indem sie sich des drohenden Beiwortes .gottgewollt“ bedient. Dadurch soll das Erreichen der „letzten

Instanz angedeutet werden, nach der es keinen Gnadenakt für eine spontane Interpretation mehr gibt.

Die theologischen Bezüge zur profanen Wirklichkeit sind nicht nur aus der Natur der Sache heraus vorhanden, sondern von einer pastoralen Praxis, also von einzelnen Tatbeständen, mitbestimmt und insoweit auch durch das Geschichtliche und das Individuelle beeinflußt5. Die Theologie kann jedenfalls nicht um ihrer selbst willen bestehen, sonst wäre sie Religionswissenschaft oder eine Form der Meditation, wie sie Randchristen üben, denen der Glaube nur in der Äußerlichkeit von Literatur zu begegnen vermag. Funktionell ist die Theologie eine „Magd“ der Seelsorge. Daher ist nicht selten die Einflußnahme konkreter seelsorglicher Probleme Anlaß zu allgemeinen theologischen Formulierungen, die vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ungenau, wenn nicht gar irreführend oder leichtfertig sind. Denken wir an Worte wie „Substanz“. Oft wirkt auch bei der Formulierung einer als absolut gültig erklärten Aussage die Lehrtradition mit, die sich im Lauf der Entwicklung und als Reflex von geschichtlich eingebundenen, pastoral kurzfristig relevanten Situationen herausgebildet hat. Der Lehrtradition kommt aber (so Weihbischof Reuss von Mainz) keineswegs Irrtumslosigkeit zu, sind doch nicht wenige Lehrsätze von der Kirche zuerst als unbedingt gültig erklärt, später Skeptisch interpretiert und schließlich doch wissenschaftlich gefaßt worden.

Wahrheit durch Kooperation

Dem Anschein nach ist e£”fienk- unmöglich, daß es in der gleichen Sache zwei Wahrheiten geben kann. Diese Annahme ist Grund dafür, daß von vielen Menschen ein koordinierendes Nebeneinander oder Nacheinander von christlicher (theologisch formulierter) Wahrheit und von wissenschaftlicher Wahrheit geleugnet wird.

Wenn Theologie und Wissenschaft in ihrem Bemühen, sich der Wirklichkeit anzunähern, ein gemeinsames Objekt haben, erfolgt die Feststellung der Wahrheit im Rahmen eines Zusammenspiels zwischen Wahrnehmung und Induktion (H. Albert) nicht unter den gleichen Aspekten. Die Wahrheit der Theologie hat daher einen anderen Inhalt als etwa die Wahrheit des Physikers; trotz des gleichen Gegenstandes.

Bedienen sich Theologen und Physiker der gleichen Ausdrücke über einen Gegenstand, kann dies wegen der verschiedenen Aspekte der Untersuchung und des verschiedenen Inhaltes der Aussagen zu Mißverständnissen führen, an denen eine voreilig und unbedenklich-autoritär formulierende Theologie ebenso schuld sein kann wie ein szientistischer Perfektionismus.

Hin zum Menschen

Art und Ort des Anbotes der kirchlichen Heilswahrheiten führen die Theologie unvermeidbar in ein besonderes Nahverhältnis zur profanen Wissenschaft, die beispielsweise heute dem einzelnen Menschen (also dem geborenen Objekt der Seelsorge) mit erheblich mehr Sachverständnis begegnet, als dies in der Periode der Aufklärung geschehen ist. So war etwa der theoretischen Nationalökonomie der Mensch lange Zeit hindurch nur ein Abstraktum, Repräsentant einer Gattung, der sich einfach so zu verhalten hatte, wie sich die Literatur dies vorstellte. Daher gab es auch zwischen theoretischer Nationalökonomie und Theologie lange Zeit kaum eine Berührung.

Auch Theologie und Seelsorge haben lange und allzulange mit einem Typ Mensch operiert, den es einfach nicht gab, der „übermenschlich“ und daher nicht im Sinn der christlichen Normen lenkbar gewesen ist: Denken wir an das Versagen der kirchlichen Sexualpädagogik.

Folgen der neuen Begegnung

Eine Begegnung von Kirche — vertreten durch die Theologie — und Wissenschaft hat dazu geführt, daß die moderne Theologie geneigt ist, einzelne Vorwürfe der Wissenschaft, die diese gegen sie erhebt, sehr ernst zu nehmen und sich in den Aussagen ebenso wie in den Ansprüchen auf Gültigkeit von Aussagen zu beschränken. Dabei kann man erkennen, daß die klassische Aufklärung, soweit sie rational und nicht emotional begründet gewesen ist, durchaus positive Funktionen für die Kirche, für die wirklichkeitskonforme Formulierung ihrer Aussagen, gehabt hat (hätte). Nicht wenige kirchliche Lehrmeinungen waren supranaturalistisch formuliert und widersprachen schon der (einfachen) Vernunft. Auch der Atheismus war und ist oft nicht grundständig, sondern Reflex falsch vorgetragener Glaubenswahrheiten. Das gilt besonders für den Atheismus vieler Naturwissenschafter, denen die Ehrfurcht vor den Fakten eingeboren ist.

Ebenso wie die Theologie in einem wachsenden Umfang das Profane an der Wissenschaft dem Prinzip nach ernst nimmt, nähert sich die seriöse Wissenschaft vielfach dem an, was sie unter Glauben versteht: Dadurch, daß sie sich auf das Endliche beschränkt und in ihren Aussagen die Grenzzonen zum Unendlichen nicht überschreitet

1 E. Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, Berlin 1911, S. 767.

1 O. Hittmair, Vortrag (wgg. Kath. Press. 288/67).

3 Vgl. K. R. Popper in „Theorie und Realität“ (Hsg. H. Albert), Tübingen 1964, S. 91.

4 s. J. Krejci wgg. in „Ostprobleme", Bonn 15/67, S. 425.

5 s. F. Ruso SJ, Kath. Press. 207/1966.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung