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Glauben und Wissen

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In der Osterwoche wurde in Rom eine öffentliche Disputation über die Existentialphilosophie abgehalten, jene philosophische Richtung, die auf den dänischen Philosophen Kierkegaard zurückgeht und gegenwärtig überall viel von sich reden macht. Kierkegaard war neben dem großen französischen Denker Blaise Pascal derjenige, der das Heil im Glauben sucht und die Unfähigkeit der Menschen hervorhebt, die Unordnung der Welt allein mit den Kräften der Vernunft zu meistern. Diese grundsätzliche Einstellung wurde später in sehr verschiedener Weise übernommen und entwickelt. Als der eigentliche Begründer der Existentialphilosophie in Deutschland kann Martin Heidegger angesehen werden, neben dem als psychologisch geschulter Vertreter Karl Jaspers in Heidelberg hervorragt. Nach Heidegger ist der Mensch in seinem „Fürsichsein“ frei verantwortlich und auf “sich selbst gestellt. Jean Paul Sartre in Frankreich übernahm die Grundgedanken Heideggers und schafft darüber hinaus sein System ohne Rücksicht auf einen Schöpfer. Der Mensch steht nach ihm allein da, ohne Gott, nur auf sich selbst gestellt, „ohne Entschuldigung“. Im Gegensatz zu dieser geradezu atheistischen Richtung wird eine religiöse Existentialphilosophie von dem kalvinisti-schen Theologen Karl Barth und dem christlichen französischen Philosophen Ge-briel Marcel vertreten. Hieher ist auch der russische Religionsphilosoph Leo S c h e-s t o w zu zählen, der zum Kreis um Berdjajew gehört, aber doch eine ganz besondere originelle Note besitzt. Schestows bedeutendstes Buch: „Athen und Jerusalem“ stellt die Worte des Apostels Paulus, Rom 15/23: „Was aber nicht aus dem Glauben gehet, das ist Sünde“, dem Ausspruche Sokrates: „Das höchste Gut besteht für den Menschen darin, Tag für Tag Gespräche über die Tugend zu führen“, gegenüber. Sokrates „höchstes Gut“, das aus dem Wissen entsprungen ist, erweist sich für Schestow als Frucht vom verbotenen Baum der Erkenntnis. Innerhalb der „Grenzen der Vernunft“ kann man eine Wissenschaft, eine hohe Moral, ja sogar eine Religion schaffen, meint Schestow, um aber Gott zu finden, muß man sich' den Bezauberungen der Vernunft mit ihren physischen und moralischen Zwängen entwinden und zu einer anderen Quelle gehen, die in der Heiligen Schrift mit dem rätselhaften Wort: „Glaube“ bezeichnet wird. „Der Glaube, der einzig den Schöpfer anschauende und vom Schöpfer inspirierte Glaube, strahlt aus sich die letzten entscheidenden Wahrheiten vom Seienden und Nichtseienden aus.“

Nach Schestow nimmt die religiöse Philosophie hier ihren Anfang. Sie ist „eine unter maßlosen Spannungen, durch Abkehr vom Wissen, durch den Glauben geborene Überwindung der falschen Angst vor der „Notwendigkeit“, einer Angst. welche unserem Urvater vom Versucher eingeflößt und an uns' alle weitergegeben worden ist. Sie ist der große und letzte Kampf um die ersterschaffene Freiheit“. In vier Kapiteln:

„Der gefesselte Parmenides“, „Wissen und Freiheit“, „Über die Philosophie des Mittelalters“ und „Von der zweiten Dimension des Denkens“ entwickelt Schestow geistvoll diese Grundgedanken seines Buches und führt die Aufgabe durch: „die Wahrheitsansprüche der menschlichen Vernunft oder der spekulativen Philosophie nachzuprüfen. Das Wissen wird nicht für das letzte menschliche Ziel gehalten, das Wissen rechtfertigt nicht das Sein, es muß selber vom Sein seine Rechtfertigung bekommen“.

Von großer Bedeutung ist das Kapitel Schestows: „Uber die Quelle der metaphysischen Wahrheit e n“, in dem er unter anderem auch auf die Lehren des Nikolaus Cusanus eingeht, der von unserer gelehrten Unwissenheit (Docta ignorantia) spricht, die weiß, daß unser Verstand unfähig ist, die Einheit in Gott, in dem alle Gegensätze sich vereinigen (Coincid^ntia opposi-torum), zu erreidien. Es ist das „Wissen um unser Nichtwissen“, das Kierkegaard und Pascal in einer „unendlichen Resignation“ zum Glauben finden ließ. „Durch den Glauben entsage idr keinem Ding.“ Durch den lebendigen Gottesglaubcn überwinden wir den Zwang der Notwendigkeit, in den wir durch unser rein verstandesmäßiges Wissen gekneditet sind Dem von der Notwendigkeit gefesselten Parmenides ist es nach Schestow nicht gegeben, aus der menschlichen Begrenztheit herauszuhelfen. „Angesichts des Todes zerrinnen sowohl die menschlichen Beweise, als auch die menschlichen Selbstevidenzen, sie zerrinnen und verwandeln sich in Illusionen und Phantome.“ Dostojewski, dem im Laufe der vier Jahre in seiner sibirischen Verbannung nur die Bibel zur Verfügung stand, schrieb die Worte: „Das göttliche Gesetz übt keinerlei Zwang auf den Willen des Menschen aus. Es steht fest, daß die Freiheit eine absolute Abwesenheit des Zwanges ist.“ So bleibt es auch bei Schestow“ nicht bei einer religiösen Kulturskepsis, sondern diese mündet in einen' religiösen, schöpferischen Glauben. „Jenseits von menschlicher Erkenntnis, dort, wo der Zwang aufhört, wird der gefesselte Parmenides, nachdem er des Mysteriums des ewig Seienden und ewig Befehlenden teilhaftig geworden ist, die ursprüngliche Freiheit wiedererlangen und zu sprechen beginnen.“

Manche überspitzte Formulierungen und gedankenschwere Sätze machen Sdiestows Buch zu keiner lejchten Lektüre. Trotzdem fühlt man darin das prometheushafte, ehrliche Ringen eines tiefen Philosophen und seine große Sehnsucht nach dem Baum des Lebens, bei dem die Quelle des Glaubens entspringt. Dieser Baum wächst in der paradiesischen Freiheit, aus der wir durch das Kosten der verbotenen Früchte vom Baume der Erkenntnis vertrieben worden sind. Sdiestow sudit immer und immer wieder auf seine; oft gewaltsame Weise zu dieser Glaubensquelle und zum Baume des Lebens vorzudringen. Ihn kann nicht der Glaube an die „Idee der Erkenntnis“, den Karl Jaspers vertritt, fesseln; er will jene Quelle finden, aus der man die metaphysische Wahrheit sdiöpfen kann, und glaubt in seinem Sturm und Drang das Reich Gottes mit Gewalt stürmen zu können.

Bei aller Aditung vor der ehrlidTen Absicht Schestows, muß hier aber doch auf die Gefahren eines übersteigerten Irrationalismus hingewiesen werden. Im Kampf der großen Geister erscheint nichts geeigneter, die Bedeutung des Glaubens und die sdieinbare Unversöhnlichkeit von Glauben und Wissen in das rechte Licht zu rücken, als die klassischen und abgeklärten Worte des großen Kardinals Nikolaus Cusanus in einer Sdirift: „De Visione Dei“, („Von Gottes Sehen“):

„Weil der vernunfthafte Geist nidit durch den Einfluß des Himmels genötigt wird, sondern vollständig frei ist, so kann er nicht anders vollendet werden, als daß er sich im Glauben unter die Einwirkung des Wortes Gottes stellt. Jede Vernunft muß sich also im Glauben dem Worte Gottes unterwerfen und aufmerksamst auf die innere Belehrung des höchsten Lehrmeisters horchen; und indem sie auf das hört, was der Herr in ihr redet, wird sie vollkommen. Deshalb hast du Jesus, einziger Lehrer, verkündet, daß der Glaube für jeden notwendig ist, der sich der Lebensquelle nähern will, und cru hast gezeigt, daß entsprechend dem Grade des Glaubens die göttliche Kraft in den Menschen einströmt und ihnv hilft.“

Diese wahrhaft erhebenden Worte erscheinen mir geeignet, die teilweise häre-tisdien Formulierungen L. Schestows in die richtige Bahn überzufahren, jene Bahn, die Maß und Wert vom göttlidien Logos empfängt. —

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