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Gottesdienst in der Welt
Wenn der reformatorische Aufbruch Luthers gefeiert wird, feiern wir Reformierte mit, denn Luther ist auch unser „Kirchenvater“. Auch für uns hat die Reformation im Ringen Luthers um die Frage nach dem gnädigen Gott und in seiner wissenschaftlich-exegetischen Arbeit an der Bibel begonnen. Und wenn heute ein theologischer „Primat der Chri-stologie“ im Protestantismus und in der Ökumene als die entscheidende Hilfe empfunden wird, ist damit neu wieder die zentrale Fragestellung Luthers erreicht. Aber mit und neben Luther ist mit Ulrich Zwingli und vor allem mit Johann Calvin eine
zweite Gestalt des Protestantismus entstanden. Sie strahlte geographisch gesehen nach Frankreich, Holland, Schottland, Amerika im Westen und nach Ungarn im Osten aus; in Österreich steht die kleine evangelische Kirche H. B. (Helvetischen Bekenntnisses) in dieser Tradition. Die reformierte Gestalt des Protestantismus war es, die dem tridentinischen Katholizismus bzw. der Gegenreformation theoretisch und praktisch standhielt und der heraufkommenden Neuzeit viele eigene Impulse vermittelte, die sich vom Luthertum eindeutig und charakteristisch abheben.
Reformiertes Selbstverständnis
Welches ist, grundsätzlich gesehen, der Ursprung der Zürcher Reformation Zwingiis und der Reformation des Mannes der zweiten Generation, Calvins? Für Zwingli und Calvin ist genau wie für Luther die biblischexegetische Bemühung entscheidend; weiter wird aber bei ihnen das individualistische Mißverständnis von Luthers Frage nach dem gnädigen Gott, dem Luther selber nicht erlegen ist, grundsätzlich abgewiesen. Zwingli verkündet die Botschaft in öffentlicher Verantwortung für die kirchliche und politische Gemeinschaft. Zwingli bewegt die Verderbnis der Zeit und des Volkes und der Christenheit Der Glaube ist für Zwingli nie nur persönliches Ergreifen des Heilsangebotes, sondern
immer zugleich Einsatz für Reformen des sozialen und politischen Lebens. Jedoch in den zentralen Fragen der Christologie und Rechtfertigung unterscheidet sich Zwingli nach der neuesten Forschung grundsätzlich nicht von Luther, wenn er auch existentielle und theologische Tiefendimensionen der zentralen Botschaft weniger herausfordernd erfaßt. Für das Abendmahl freilich zog er bekanntlich andere Konsequenzen als Luther. Wenig bekannt ist sein Gedanke, daß sich im Abendmahl nicht die Elemente Brot und Wein wandeln, sondern die versammelte Gemeinde.
Calvin stimmt in den zentralen Glaubensfragen mit Luther und Zwingli überein. Ihm liegt am mei-
sten an der Gestaltwerdung der Botschaft im Aufbau der Kirche und im Leben der Christen. Er vermag die Spannung zwischen Glauben und Leben, Glauben und Denken, Heil und Heiligung, Verkündigung als Anrede und Gestaltwerdung der Kirche, Ereignis und Institution zusammenzuschauen. Die Ethik, das Halten der Gebote (Werke!) sind für die reformierte Tradition Zeichen der Dankbarkeit für die Gnade Gottes. In diesem Sinn ist Arbeit in der Welt Gottesdienst. Vielumstritten ist Calvins Prädestinationslehre; wir werden weiter unten auf kritische Rückfragen an Calvin eintreten. In Einzelheiten der Prädestinationslehre schließt sich Calvin weithin Augustin an. Auf anthropologischer Ebene vermittelt die Lehre dem unruhigen Fragen des Menschen, ob er wirklich zu Gott gehöre, feste Gewißheit.
Gegen den staatlichen Absolutheits-anspruch
Die Kirche ist für den Calvinisten zwar nie Glaubensgegenstahd, aber sie ist seine Mutter. Calvin sieht das Kirchenproblem weithin schon in einem modernen, ökumenischen Sinn. Melanchthons Probleme etwa sind ihm ebenso vertraut wie die evangelischen Probleme in England oder Polen, und in einem großartigen Briefwechsel steht er in Kontakten mit Flüchtlingen aus aller Welt. Sein Hauptwerk, die „Institu-tio“, bezieht sich durchaus auf diese ökumenischen Horizonte. Calvin treibt aber auch erstmals Theologie
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