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Ideologische Einheit mit dem Atheismus

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Es gehört zu den Leistungen marxistischer Dialektik, die ideologische Einheit von Atheismus und Marxismus zuweilen so zu verdecken, daß der Eindruck entsteht, als handle es sich nicht um einen Konflikt dieser Ideologie mit der Religion, sondern um einen unverschuldeten Zusammenstoß mit den Kirchen und Religionsgesellschaften, die sich in politische Bündnisse mit Feudalismus, Kapitalismus und Faschismus eingelassen haben. Daher lag auch über den konsequenten Verfolgungsmaßnahmen, mit denen der Marxismus, wo immer er an die Macht kam, über alle Erscheinungen des religiösen Lebens hergezogen ist, immer ein Schimmer warmer Menschlichkeit, der dem Marxismus die Rolle eines Sachwalters der Schwächeren, Mittellosen und ins Unrecht Gesetzten eintrug, seinem Gegner aber die Alleinverantwortung für solche und andere Mißverhältnisse des menschlichen Daseins aufbürdete.

In Wirklichkeit ist der politische Atheismus, der im Marxismus steckt, nur eine Sekundärerscheinung dieses Systems. Primär tritt der ideologische Atheismus überall dort hervor, wo er in ununterbrochener Folgerichtigkeit die (zuerst vom bürgerlichen Atheismus) vertretene immanente Erlösung von Mensch und Gesellschaft dem religiösen Sinn des Lebens radikal und kompromißlos gegenüberstellt.

Bereits in seinen Frühschriften bezeichnet Karl Marx die Aufhebung der Religion als eine Forderung zugunsten des „wirklichen Glücks“ des Volkes, das sich damit des „illusorischen Glücks“ der Religion zu seinem eigenen Vorteil entledigt.

Nach der Großen Sowjetenzyklopädie (2. Auflage. Moskau, 1957 ff.), Band 5, Artikel Bog. Gott, hat die „Vorstellung von Gott“ (vor allem in Verbindung mit dem Glauben an von Ihm verhängte Strafen und gewährte Belohnungen) keine anderen Zweck, als den, die „Ausgebeuteten mit ihrem Klassenjoch“ zu versöhnen; dem „realen Kampf um ein besseres Leben“ wird der „zweifelhafte Trost“ einer göttlichen „Vergeltung“ jenseits des Grabes gegenüberstellt.

Leszek Kolakowski beschäftigt sich mit den „Gefahren“, die auftreten können, wenn man sich im sozialistischen Lager angesichts des marxistischen Institutionalismus' mit dem Gefühl der Lebensleere und dem Problem des Lebenssinns au beschäftigen beginnt. In intellektueller Hinsicht sei eine solche Fragestellung deswegen „gefährlich“, weil sie dazu verführen kann, das Bedürfnis nach Lebensinhalt auf eine „leichte Weise“, das heißt in marxistischer Sprechweise irrational, zu befriedigen. So könnte sich ein Ausgangspunkt für ein religiöses Denken ergeben, und das wäre eine „falsche“ Alternative zum Sozialismus. (L. Kolakowski, Der Mensch ohne Alternative, München, J.-Piper-&-Co.-Verlag, 1960.)

Niemand hat aber den konsequenten und gradlinigen Übergang vom Liberalismus zum Marxismus punkto Atheismus ehrlicher aufgezeichnet als der Vorsitzende der britischen Labour Party des bedeutungsvollen Jahres 1945/46, Harold J. Laski: „Lenin hat sicherlich recht, wenn ihm als Endziel vorschwebte, seinen Himmel auf Erden au errichten.,.. Es ist schwer zu ersehen, auf welch anderen Grundlägen die zivilisierte Tradition wieder aufgebaut werden könnte als auf jener, auf welcher sich die Idee der russischen Revolution gründet... Es ist in gewissem Sinne richtig, wenn behauptet wird, das russische Prinzip gehe tiefer als das christliche, weil es die Erlösung für die Massen durch Erfüllung im Diesseits sucht und dadurch die wirkliche Welt, die wir kennen, neu ordnet.“ (Aus: Faith, Reason and Civilisation, New York, 1944.)

2. Der politische Atheismus ist vom ideologischen Atheismus des Marxismus nicht zu trennen.

Unbeschadet der eingangs erwähnten dialektischen Gewandtheit, gibt es in den marxistischen Bewegungen keine Trennung des politischen Atheismus vom ideologischen Atheismus. Tatsache ist, daß jetzt, wo marxistische Bewegungen in vielen Staaten die Macht ergriffen haben, der praktische Religionskampf mit politisch-administrativen Methoden mehr oder weniger konsequent fortgesetzt wird.

In ideologischer Hinsicht hat jedoch der Marxismus vielfach die Ausgangslage punkto Atheismus bereits verlassen; allerdings nicht in der Richtung, die von kirchlichen und religiösen Kreisen erwartet wird.

Nach dem Lehrbuch über die Grundlagen des Marxismus-Leninismus (Ost-Berlin, 1960 ff.), hat der Atheismus neuerdings deswegen keinen Platz mehr im Marxismus, weil der Atheismus als eine Negation des Gottes durch diese Negation das Dasein des Menschen gesetzt hat; der Sozialismus bedürfe aber als Sozialismus einer solchen Vermittlung nicht mehr. Denn der Sozialismus beginne von dem theoretisch und praktisch sinnlichen Bewußtsein des Menschen und der Natur als des Wesens; er ist positives (also nicht mehr durch Aufhebung der Religion vermitteltes) Selbstbewußtsein des Menschen.

Die Frage nach Gott wird von diesem marxistischen Standpunkt aus nicht mehr als bloße „Scheinfrage“ disqualifiziert, sondern als nunmehr „gegenstandslos“ ausgeklammert.

So betrachtet, würde für den Marxismus die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Atheismus und Marxismus ideologisch eher bedeutungslos.

Die Stoßkraft, die bisher der politische Atheismus, zugunsten des Marxismus entfaltet hat (gemeint ist hier jeder Atheismus, also auch der liberaler und bürgerlicher Herkunft), geht nach der Rochade, die inzwischen die meisten Kirchen und Religionsgemeinschaften in politicis vollzogen haben, bereits vielfach ins Leere.

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