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Im Banne Sigmund Freuds

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Der Heros in tausend Gestalten. Von Joseph Campbell. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karl Koehne. S. Fischer Verlag, Frankfurt. 376 Seiten. Preis 12.80 DM

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Der Heros in tausend Gestalten. Von Joseph Campbell. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Karl Koehne. S. Fischer Verlag, Frankfurt. 376 Seiten. Preis 12.80 DM

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Nach Ansicht des Verfassers und seines Lehrers, S. Freuds, sind die Wahrheiten, welche die religiösen Lehren enthalten, „so entstellt und systematisch verkleidet, daß die Masse sie nicht als Wahrheit erkennen kann“. Daher versucht Campbell einige von diesen Wahrheiten wieder aufzuschließen, und zwar durch die Aufhellung der Symbole, in denen sie verkleidet sind. Das Material bilden alle möglichen, aus allen Gegenden der Welt hergeholten Sagen, Mythen, Legenden und religiösen Erzählungen, aus denen — wie aus einem lebenden Körper — halbähnliche oder ähnliche Motive bzw. Parallelen herausgeschnitten werden, die dann zusammen einen „Monomythos“, mit anderen Worten ein Mindestmaß an symbolischem Inhalt ergeben. Der Sinn dieser noch übriggebliebenen Symbole jedoch wird mittels der modernen Tiefenpsychologie oder Psychoanalyse entschlüsselt, wobei der Verfasser vor allem gegenüber Freud und Jung eine erstaunliche Gläubigkeit verrät, die um so mehr auffällt, je freier und liberalerer die Quellen behandelt.

Auf den ersten Blick wirkt das Buch wie eine populäre und primitive Ausgabe der früheren Handbücher für vergleichende Religionswissenschaft und Mythenkunde, wobei allerdings zu bemerken wäre, daß seine Vorgänger (wie zum Beispiel Wesselski) viel umsichtiger vorgegangen sind. Mit einer optimistischen Willkür werden aus allen möglichen Rcligions- und Kulturkreisen Symbole zusammengetragen, die eine angebliche Aehnlichkeit aufweisen. In vielen Fällen begnügt sich Campbell mit dem Hinweis: „man vergleiche...“ (S. 48, Anm., 191. 231), aber meistens ist die Aehnlichkeit so äußerlich, daß nicht einmal von Parallelen gesprochen werden kann. Interessanterweise enthält das Buch, neben schlecht angebrachten Zitaten aus Thomas von Aquino, zwei Abbildungen aus der mittelalterlichen „Biblia pau-perum“. Was nun die reformatorische und neuzeitliche Bibelforschung dieser frühchristlichen und mittelalterlichen Bibclauffassung vorgeworfen hat, daß sie nämlich zu willkürlich-allegorisch sei. kehrt gerade hier in modernem Gewand und viel willkürlicher wieder, sei es auch uf einer anderen Basis.

Man kann es vielleicht als einen Fortschritt betrachten, daß hier die religiösen Symbole nicht (wie in der vorangegangenen Periode) „entmythologisiert“ werden, aber trotzdem übernimmt Campbell das bereits gesammelte Vergleichsmaterial kritiklos, z. B. die Auffassung, daß die Reformation Zarathustras „einen tiefen Einfluß ausübte, nicht nur auf den persischen Glauben, sondern auch auf den hebräischen, und dadurch, Jahrhunderte später, auf das Christentum“ (S. 319, Anm.), oder die Behauptung, daß der babylonische Utnapischtim als Prototyp des biblischen Noah anzusehen sei (173). Nur geht der Verfasser noch weiter und findet auch Parallelen zwischen Lots Weib und anderen Berufungstypen (63), zwischen dem Glöckchen in der Hand der indische/! Göttin und dem Glöckchen während der Konsekration (159), zwischen dem Feuerbohrer der Eskimolegende und der Osterkerze in der Karsamstagliturgie (231). Ferner betrachtet Campbell alle benützten Quellen als gleichwertig, und wenn irgendein Symholmotiv nicht in sein System paßt, wird es als „rationalisiert und uminterpretiert“ ausgeschieden (230).

Man kann es dem Verfasser hoch ' . Imen. daß er mit einem unglaublichen Fleiß Material aus allen möglichen Literaturen zusammengetragen hat, nur fehlt ihm die Kritik der Auslese bzw. eine Heuristik. Dasselbe gilt für die Anwendung der Tiefenpsychologie, die einfach ohne jede Einführung oder Begründung, nur auf Freuds Autorität, als wissenschaftliches Dogma aufgestellt wird. Mit einigem guten Willen könnte man vielleicht die Meinung vertreten, daß „alles, was wir denken und tun, den Geschmack des Fleisches hat“ (115), und auch ist es möglich, dem Verfasser beizupflichten, daß nicht alle Einsichten der Psychoanalyse der „schmutzigen Phantasie“ Freuds entsprungen seien (165, Anm.), aber auch hier fehlt irgendein Leitgedanke, eine Norm. Dafür muß der Leser sich mit der Behauptung abfinden, daß „die Mythen vom Wesen des Traumes“ sind (237), mit anderen Worten, Mythos und Religion sind Psychologie, durch die man dieselben „in die adäquaten Begriffe zurückübersetzen“ und daher „die verborgenen Vorgänge unverhüllt vor Augen stellen“ kann. „Das ganze Schauspiel liegt offen vor uns. Wir haben es nur zu entziffern“ (237 bis 23S). Soviel Glauben hätte man in Amerika nicht erwartet!

Ohne der Historizität der Offenbarung im christlichen Glauben irgendwie Rechnung zu tragen, versucht der Verfasser, dessen Inhalt vollständig zu Mythen, Legenden und Symbolen zu verflachen. „Ob Rip van Winkle, Kamar .ez-Zaman oder Christus wirklich gelebt haben, ist nicht unsere primäre Sorge... Die Ueberbetonung dieses historischen Moments kann nur zur Verwirrung beitragen“ (214 bis il5). Deshalb wird auch der Monotheismus im Christentum, Judentum und Islam als eine „Verirrung“ angesehen (240. Anm.). wenn aber Campbell pathetisch behauptet: „Kaum jemand von uns hat auch nur ein vages Verständnis vom Sinn des Taufrituals“ (232), so gilt dieses Urteil vielleicht für das sogenannte fortschrittliche Christentum, nicht aber für die unzähligen aktiven Christen, für die die Taufe eine Wirklichkeit und ein Symbol zugleich ist, nicht nur Reinigung, sondern tatsächlich auch Wiedergeburt, wie es in jedem Katechismus zu lesen steht („Kind Gottes“). Allerdings fehlt hier die Idee von der „vorangegangenen Heirat“, die in das Libido-System passen würde, nur können wir sie beim besten Willen nicht im Wortlaut der Taufliturgie entdecken. In diesem Zusammenhang mußten wir an einen Ausspruch Walter Dirks denken: „Was im Glauben und in der Taufe geschieht, ist aller Psychologie trän szendent, weil nicht die Psyche am Werk, ist, sondern der Heilige Geist.“ Camphell wird dafür ebenso wenig Verständnis aufbringen können wie für die christliche Forderung: „Heiliges muß heilig behandelt werden“ (saneta sanete tractanda).

Obwohl dem Verfasser einige technische Fehler unterlaufen sind (z. B. im Index s. v. Ginsburg, das lateinische Zitat S. 60 und Abb. 11, wo Samson nicht die Tore des Tempels, sondern der Stadt trägt), hat er eine Akribie und Erudition gezeigt, die einer besseren Sache würdig gewesen wären.

Welten im Zusammenstoß. Von Immanuel V e 1 i k 0 v s k y. Europa-Verlag, Zürich. 403 Seiten.

Der Verfasser hat (laut Umschlagklappe) fast ein Dutzend Wissenschaften studiert, dabei aber eines (nach Ausweis seiner Arbeit) nicht gelernt, nämlich wissenschaftlich-kritische Methode. Seine astrophysikalisch ganz unmögliche These lautet: einige Zeit vor dem 15. vorchristlichen Jahrhundert habe der Planet Jupiter einen Kometen ausgeschleudert, der hierauf zweimal beinahe mit der Erde zusammengestoßen sei, desgleichen 747 und 687 v. Chr. mit dem Planeten Mars; infolge der letzteren Kollision habe sich der rasende Komet in den sanften Planeten Venus verwandelt. Beweise? Mit Mühe findet man zwar unter einer Flut von Zitaten ein paar schlichte Beobachtungsnotizen aus Babylon; doch sie enthalten kein Wort von Sternzusammenstößen. Auf welche Art jedoch Velikovsky aus anderen, weniger geeigneten Quellen Aussagen zugunsten seiner Phantasien erpreßt, mag folgendes Beispiel zeigen (Seiten 262 bis 269 und andere Stellen): Nach griechischem Mythos entsprang Pallas Athene dem Haupte des Zeus (= Jupiter); in zwei Gesängen der Ilias kämpft sie gegen Ares (= Mars), während bei dieser Gelegenheit Zeus die Aphrodite vom Streit mit Athene zurückhält. Indem Veli-kovsky erklärt, man müsse, abweichend von der klassischen Tradition, Athene mit dem Planeten Venus, Aphrodite aber mit dem Mond der Erde identifizieren, liest er aus der Ilias einen „Beweis“ für die Entstehung der Venus aus Jupiter und ihren zweimaligen Zusammenstoß mit Mars zur Zeit der Zerstörung Trojas heraus, während das Nichtkämpfen der Aphrodite eine Anspielung auf die frühere bedrohliche Begegnung mit der Erde und ihrem Mond sein soll. Die dichterische Ausschmückung der Begleitumstände des Götterkampfes will er wörtlich als Schilderung der Erdheben usw. verstanden wissen, welche die Folge der bei außerordentlicher Erdnähe des Mars stattgefundenen Planetenzusammenstöße gewesen seien und die mykenische Kultur (erst um 7Ü0 vor Christi!) vernichtet hätten. Die alten Achäer hätten diese Umdeutung ihrer Schlachten mit einem homerischen Gelächter quittiert, und es ist kein rühmliches Zeichen für die Bildungshöhe unseres vielwissenden Jahrhunderts, daß man dergleichen in Großauflage in mehreren Sprachen herausbringen und dafür entweder Glauben oder „ernsthafte“ Widerlegung fordern kann, ohne einfach ausgelacht zu werden.

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