6768275-1968_43_11.jpg
Digital In Arbeit

Kakanien und seine Avantgarde

19451960198020002020

HERMANN BROCH, der Dichter und seine Zeit. Von Manfred Durzak. Kohlhammer- Verlag, Stuttgart, 234 Seiten. DM 16,80.

19451960198020002020

HERMANN BROCH, der Dichter und seine Zeit. Von Manfred Durzak. Kohlhammer- Verlag, Stuttgart, 234 Seiten. DM 16,80.

Werbung
Werbung
Werbung

Daß auf dem als brüchig, dekadent und morsch gewordenen Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie und der darauf folgenden Zeit mit ihren aus der gesellschaftlichen und politischen Umstrukturierung sich ergebenden Krämpfen und Wirren eine Literatur erblühte, die heute nicht nur als die schlechthin österreichische, sondern als der Beginn einer neuen literarischen Entwicklung bezeichnet wird, ist wohl eine der großen Paradoxien der Geschichte.

Ein ebensolches Pardoxon aber ist es, daß die Entdeckung dieser Literatur als einer genuin österreichischen heute in erster Linie Ausländern obliegt, die offenbar aus der Distanz heraus besser in der Lage sind, ihre Bedeutung zu erkennen.

Manfred Durzak (geb. 1938!) ist Professor an der Indiana University und ist mit Veröffentlichungen über Broch schon bekannt geworden (Vgl. Rowohlt-Monographie). In seinem jetzt erschienenen Buch über Broch legt Durzak das Schwergewicht vor allem auf ‘die Fixierung der Position Brochs als Theoretiker des Romans in Hinblick auf die Zeitgenossen und deren Vorläufer von Goethe über Musil und Joyce bis Hofmannsthal, dem Durzak ein eigenes, fast selbstständiges Essay widmet. Aus diesen Untersuchungen Durzaks geht noch deutlicher hervor, was bei oberflächlicher Betrachtung sichtbar wird, nämlich, daß die Grundvorstellungen und dichterischen Leitbilder sich mit denen Musils in frappanter Weise kreuzen, obwohl der persönliche Kontakt hin zu Musil äußerst schwach, ja geradezu von konkurrenzierendem Mißtrauen verdüstert war, während der Abstand etwa zu Hofmannsthal unüberbrückbar, ja antithetisch erscheint.

Was Broch mit Musil, aber auch mit Kafka über Doderer und Güthersloh bis zu Bernhard etwa verbindet, ist ein Ethos, entspringend aus dem Erkenntnischarakter des modernen Romans, das den Autor nahezu bis zur Selbstauflösung in den Dienst einer geläuterten, dem „Zerfall der Werte“, um Brochs Terminologie zu gebrauchen, Rechnung tragenden Wirklichkeitserfahrung zwingt. Das heißt für alle Autoren, Ablehnung des Konventionellen, der Wille zum Experiment, Ernstnehmen der Sachlichkeit und Genauigkeit einer von der Prävalenz der Naturwissenschaft und Technik bestimmten Zeit, aber auch, und hier liegt wahrscheinlich die große Bedeutung des schon klassisch gewordenen Trias Kafka-Musil-Broch, in der „Wirklichkeit“ Mensch neue Dimensionen zu erforschen, die in der technisierten, administrierten Flächen- haftigkeit der modernen Welt zu verschwinden drohen. Diese metaphysische Rettungsaktion findet wohl ihre Anklänge im Religiösen wie etwa die stark mit dem Heilsgedanken verknüpfte Todeserfahrung Vergils in Brochs größtem Roman „Der Tod des Vergil“ oder in der Musil- schen Abwandlung barock-mystischer Bildersprache, kann aber im großen und ganzen als profan bezeichnet werden, weil das Religiöse nur motivisch eine Rolle spielt, nur gleichsam die Krücken liefert, bei dem Versuch, die Wirklichkeit in ihrer Totalität zu erfassen.

Wer immer also eine Grundlage, eine gewisse Übersicht zur Erforschung der Verflechtungen und Überschneidungen in den großen Werken der Literatur dieser Zeit sucht, wird wohl in Durzaks Broch-Buch, das reich ist an Zitaten vor allem aus den theoretischen Schriften und Essays des Dichters, eine Hilfe finden.

Aus dem Titel des Buches heraus würde man sich vielleicht ein Eingehen zumindest auf die Hauptwerke Brochs, „Die Schlafwandler“ und „Der Tod des Vergil“, erwarten, vor allem die Demonstration des Niederschlags der theoretischen Konzeptionen im Werk des Dichters. Auch die Relationen des Romans „Die Schlafwandler“ etwa zum Mann ohne Eigenschaften konnte Durzak nur in den mißtrauischen, schriftlichen Äußerungen der beiden Autoren, ihr gegenseitiges Werk betreffend, beleuchten. Wie man aber hört, plant Durzak ein neues Buch, das sich nur mit der Interpretation der großen Romane befaßt und eine glückliche Ergänzung dieses Broch- Buches darstellen wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung