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Katholische Literatur der Gegenwart

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Der weltbekannte Verlag Sheed & Ward hat es unternommen, in einem Sammelwerk einen Ueber-blick über die katholische Literatur der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts zu bieten. Aus Gründen, die wir nicht- kennen, ist von den in Aussicht genommenen Veröffentlichungen die niederländische als erste erschienen. Das Werk soll ferner in deutscher, englischer, französischer, spanischer uid italienischer Sprache herauskommen. Angesichts seiner überragenden Bedeutung muß indessen bereits über die holländische Fassung berichtet werden, auf die wir zunächst angewiesen sind. Ihr Herausgeber, Joris Taels, Dozent an zwei Antwerpener Hochschulen und als feinsinniger, weltoffener Kritiker bewährter Kom-paratist, hat sich in der Grundanlage seines Unternehmens an das Muster der „Katholischen Leistung in der Weltliteratur der Gegenwart“ gehalten, die 1934 vom Herderschen Verlag herausgebracht worden ist. Wie bei diesem früheren Sammelband, sind die einzelnen Schrifttümer kompetenten Beurteilern, womöglich aus den von ihnen dargestellten Ländern, zugewiesen. Eine ausführliche Bibliographie und ein Namensregister erleichtern die Benutzung des Werkes, das einerseits als gediegene wissenschaftliche Uebersicht ein höchst nützliches Hilfsmittel für den Fachliteraturforscher ist, anderseits, dank der überall erstrebten und zumeist geglückten, angenehmen, leichtflüssigen Form der wertenden Rechenschaften, auch den weitesten Kreisen nichtzünftiger Gebildeter Bereicherung des Wissens, orientierende Uebersicht und nicht zuletzt eine genußreiche Lektüre bietet.

Die Bedeutung des monumentalen und so schön verwirklichten Vorhabens beschränkt sich'aber nicht darauf, daß es seinem wichtigen Thema gerecht wird. Hier empfangen wir den überzeugendsten Beweis, wann, wo und wie sich im literarischen, wortkünstlerischen Raum die Begegnung zwischen Katholizismus, und Gegenwart vollzogen und daß sie reiche Früchte getragen hat. Niemand wird nach Einsicht in das in diesen zwei Bänden gebotene Material die katholische Literatur mit einer geringschätzigen Handbewegung abtun, wie das noch um die Jahrhundertwende üblich gewesen war.

Als erstes, vorgängig zu lösendes Problem hat sich dem Herausgeber das des Inbegriffs und der Abgrenzung einer „Katholischen Literatur“ aufgedrängt. Man kann da mehrere, an sich berechtigte Standpunkte verfechten. Im engsten Sinne drehte es sich hierbei um Autoren, die als gläubige Katholiken im Einklang mit der kirchlichen Moral leben (oder gelebt haben) und um deren Werke, die von katholischem Geist erfüllt sind. Eine zweite Ansicht begreift alles das mit ein, was von positiven Katholiken an wortkünstlerisch beachtlichen Schriften hervorgebracht worden ist; eine dritte beschäftigt sich nicht weiter mit den Autoren, sondern sie kümmert sich nur um den Inhalt der Werke, also darum, ob daraus katholisches Gedankengut hervorleuchtet, zumindest, ob sich in ihnen Anklänge an dieses finden. Taels hat den Umkreis sehr weit gezogen. Er dehnt ihn auf alle katholischen Schriftsteller aus, die nicht offen in Widerspruch zu den Dogmen ihres Bekenntnisses geraten sind; er stellt freilich die militant-kirchentreuen in den Vordergrund. Doch er lenkt die Aufmerksamkeit auch auf einst katholische Autoren, die ihrer früheren Weltanschauung untreu geworden sind, ferner auf Nichtkatholiken, die im Banne katholischer Ideen stehen, endlich auf literarische Erzeugnisse, die irgendwie im Schatten — oder im Lichte — der römischen Kirche zu gewahren sind. Diese in der Einleitung dargelegten Grundsätze sind allerdings nicht von sämtlichen Mitarbeitern gleichermaßen beachtet worden.

Mit dieser Feststellung rühren wir an eine Achillesferse, die jeder- von einer Vielheit von Verfassern stammenden Kollektivarbeit anhaftet. Dem eifrigsten Bemühen eines Herausgebers zum Trotz lassen sich weder völlige Gleichmäßigkeit noch gar Gleichwertigkeit der einzelnen Abschnitte erreichen. Auch in der „Katholieke Literatur“ ist es nicht anders. Da sehen wir vor allem eine Disproportion zwischen der Bedeutung der hier vertretenen Literaturen beziehungsweise ihres katholischen Sektors und dem ihnen gewährten Raum. Taels, ein vorzüglicher Kenner der skandinavischen Dichtung, widmet dieser 33 Seiten. England, das heute qualitativ vielleicht an vorderster, schlimmstenfalls aber, nach Frankreich, an zweiter Stelle steht, mit Greene, Evelyn Waugh, Bruce Marshall, Christopher Dawson, und das in der vorigen Generation sich der Chesterton, Belloc, Baring, Noyes und Knox rühmte, wird auf 21 Seiten charakterisiert. Freilich auf das beste, aufs knappste und treffendste. Ungarn und die Tschechoslowakei (bzw. nur die Tschechen, denn von den Slowaken ist nicht die Rede) sind mit 34 und 33 Seiten eingehender gewürdigt als Italien mit 30 Seiten. Oesterreich mit 32 Seiten steht neben Gesamtdeutschland mit 54 Seiten. Den unverhältnismäßig breiten Platz, den die Flamen einnehmen (77 Seiten), können wir als Zugeständnis an den Ort des Erscheinens der niederländischen Ausgabe verstehen. Sehr zu begrüßen ist die umfängliche Schilderung der spanischen (44 Seiten), der portugiesischen (24 Seiten) und der ibero-amerikanischen Literatur — Spanisch-Amerika 58 Seiten, Brasilien 16 Seiten. Frankreich ist mit 47 Seiten spärlich, die USA sind mit 14 Seiten, angesichts der Armut des dortigen katholischen Schrifttums, genügend, die

Niederlande mit 37 Seiten sind entsprechend und Irland mir 22 Seiten freigiebig bedacht, gleich den belgischen Wallonen mit 17 Seiten. Völlig fehlen, unseres Erachtens zu Unrecht. Kroaten, Slowenen, Slowaken und Litauer. Begreiflicherweise hat der Herausgeber auf Darstellung des katholischen Anteils am arabischen, armenischen, hindustanischen, vietnamesischen, chinesischen und japanischen Schrifttum verzichtet, obzwar sich auch aus dieser Literatur manches Bedeutsame herausholen ließe.

Von den einzelnen Kapiteln sind die über Frankreich (Jacques Madaule), Deutschland (Curt Hohoff), J. H. Terlingens Spanien und Spanisch-Amerika, B. Matteuccis Italien und die niederländische Literatur des sonst unter seinem Dichternamen Anton van Duinkerken bekannteren W. J. M. A. Asselbergs aufs schönste gelungen. Das vortreffliche Englandkapitel R. Farrens ist ein wenig zu konzis und es hätte auf Kosten der von demselben Autor behandelten irischen Literatur erweitert werden können. Dem Oesterreich-Abschnitt Thurnhers, der auf sehr hohem kritischen Niveau beharrt, müssen wir das — beabsichtigte? — Fehlen einiger wesentlicher Namen vorwerfen, die, im Einklang mit Taels Programm, unbedingt hier anzutreffen gewesen wären: Ferdinand Ebner, Rudolf Kaßner, Csokor, Leopold von Andrian, Holgersen, Winterholler und, im Hin-. blick auf die Thematik, Hochwälder. Diese alle zu vermissen, während Weinheber und Wildgans, übrigens mit Recht, ungeachtet ihres Verweilens an der Peripherie des Katholizismus, genannt sind, ist schmerzlich. Ich bin sogar der Meinung, daß Broch (wegen des „Bergromans““ und des „Todes des Vergil“) und Werfel (um der Lourdes-Erzählung willen) zu streifen waren und daß man in keinem Bericht über österreichische Literatur an Karl Kraus vorbei kann, auch und besonders, wenn von katholischem Schrifttum die Rede ist. Sehr zu billigen scheint mir, und das verleiht der Abhandlung Thurnhers ihren nachhaltigen Wert, das Hervorheben der eigentlichen Leitgestalten, Bahr, Hofmannsthal, Schau-kal — des Vielverkannten und Halbvergessenen —, Trakls, Däublers, Henz', Mells, Suso-Waldecks, Felix Brauns, neben der, füglich, hochgefeierten und allanerkannten Patriarchin Handel-Mazzetti.

Der, wie schon kurz angedeutet, glänzenden Gesamtschau auf die deutsche katholische Literatur haben wir zwei kleine Einwände entgegenzuhalten. Der eine richtet sich eher wider den Herausgeber, der zwar einen eigenen Abschnitt über Oesterreich bestimmte, was durchaus zu begrüßen ist, doch die alemannischen Schweizer in den deutschen Rahmen zwängte. Dadurch erklären sich Versehen und Ueber-sehen des offenbar mit eidgenössischen Dingen weniger vertrauten hervorragenden Sachbearbeiters Hohoff. Keckeis-Muron, Inglin, Oskar Eberle, Maurus Carnot, Oskar Bauhofer, Josef' Camenzind, Pobe, Siegfried Streicher: zuviel Lücken klaffen da, die den schweizerischen Katholiken peinlich auffallen. Ein Zweites, die Kritik und der Essay sind zu kurz gekommen; gerade auf diesem Gebiet, das Hohoff zu seinen angesehensten Vertretern zählt, haben Katholiken Außerordentliches geleistet. P. Friedrich Muckermann, Dunin-Borkowski, Gfosche, Moenius, Reifferscheidt, Sigismund von Radecki, Wilhelm Hausenstein, Waldemar Gurian, Walter Dirks, Emil Franzel, Otto Rögele, Böhm-Montesi: darf man an ihnen vorbeihuschen? Bedauerlich scheint mir das

Nichterwähnen Ehrlers, Hasenkamps, Mathars, Matt-hiessens, der Maria Mayer. Vor allem aber stören zwei Abwesende von hohem. Rang: Mechow und das bedeutendste literarische Talent der Nachkriegszeit, das zumindest aus katholischem Raum kommt und dem Willen nach in ihm beharrt, Heinrich Boll. In der Bibliographie zum Deutschlandabschnitt wäre auf. Th. Ralls „Deutsches Katholisches Schrifttum heute“ (Einsiedeln 1936) hinzuweisen gewesen.

Ich kann nicht an die Einzelkritik jedes Abschnitts schreiten. Vermerken wir noch, daß nach den bereits gerühmten Kapiteln die recht gut geratenen über flämische Belletristik, USA, Skandinavien (nur zu weitschweifig), Wallonien, Portugal und Brasilien als überdurchschnittlich zu bezeichnen sind. Unter einem Wust von Namen erstickt der Abschnitt über den flämischen Essay, der allerdings den besonderen provinziellen Bedürfnissen als Repertorium dienen mag. Undiskutabel sind die Kapitel Ungarn, das nur bis 1940, Tschechen, das bis 1933 reicht und den irrigen Anschein erweckt, als sei seit damals nichts Beachtliches mehr produziert worden. Diese Unzulänglichkeiten sind betrüblicher als zahlreiche zu beanstandende Einzelheiten dieser Abschnitte, etwa das Fehlen Szekfüs und Parragis in Ungarn, die Nichtberücksichtigung grundlegender Werke in der Bibliographie (etwa Pinters, Farkas', des Revayschen Literaturlexikons).

Zuletzt seien noch, obzwar ich auf nähere Auseinandersetzung mit den ganz überragenden Kapiteln Frankreich und Italien verzichten muß, immerhin einige kleine Uebersehen notiert. In den ausonischen Gefilden der Dichtung suchen wir vergebens Palaz-zeschi, Betti, G. A. Borgese und — wenn nicht, anders, so aus politisch-literatur-soziologischen Lirsachen hierher gehörig — Guareschi. Die katholische Literatur Frankreichs aber sollte, ungeachtet ihres von Madaule ausgebreiteten verwirrenden Reichtums, nicht auf Namen verzichten, wie, aus dem ersten Viertel unseres Jahrhunderts, Emile Baumann, Le Cardonnel, Marie Noel, von späteren schon gar nicht auf St. Exupery, Alphonse de Chateaubriant — zumal wegen seiner nachgelassenen Werke —, Simone Weil und neuestens auf Queffelec, Cesbron.

Und nun zum Endergebnis des gehältigen, bedeutenden und bis sehr nahe an die Grenzen erreichbarer Vollkommenheit gekommenen Sammelwerkes. Es muß, in seinen künftigen Ausgaben, die den Weg zu den Sprachräumen aller großen Weltnationen öffnen werden, jedem gebildeten Katholiken zum ständigen Begleiter, zur sorgsam zu überdenkenden Lektüre, zum zuverlässigen Ratgeber und zum Rüstzeug werden, aus dem er im geistigen Kampf und für ihn das stolze Bewußtsein vom großen, entscheidenden Beitrag katholischer Schriftsteller und vom katholischen Geist beseelter Wortkunstwerke zum Schatz der Literatur, und damit der' Kultur der gesamten Menschheit schöpft.

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