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Kirche und Tiefenpsychologie

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In der letzten Zeit wird man wiederholt, in 2um Teil verstellter Form, durch die Tagespresse über kirchliche Stellungnahmen zur Tiefenpsychologie aufmerksam gemacht. In den auch manchmal unrichtigen Darstellungen ist insofern ein realer Hintergrund, als sich die Kirche der großen Bedeutung der Tiefenpsychologie sowohl im theoretischen als auch praktischen Bereich bewußt wird und eine Auseinandersetzung eingeleitet hat. Dafür spricht auch schon die Tatsache des Kongresses für Psychothetapeutik und klinische Psychologie auf vatikanischem Boden selbst, über den die „Furche“ in der letzten Folge berichtete. P. Gemelli, der den Vorsitz führte, erwähnte dabei mehrmals lobend „die neueste Wiener Schule“, als deren Vertreter I::or A. Caruso anwesend war.

Es sind nicht sehr viele, die diese außerordentlich wichtige Front des geistigen Lebens besetzt halten und sich zum katholischen Christentum bekennen. Um so dankbarer werden alle jene es begrüßen, daß der Heilige Vater in seiner Schlußansprache an die Teilnehmer des Kongresses so- wafme Worte der Ermunterung gefunden hat, sein großes Interesse und seine Wertschätzung der geleisteten und zu leistenden Arbeit bekundete. In seiner Ansprache kamen die Schwierigkeiten der Problematik zum Ausdruck, die sich einer Einordnung der althergebrachten Tiefenpsychologie in ein umfassendes christliches Weltbild ergeben, aber auch, und dies ist wohl für uns, die wir mehr das Positive herausheben, noch bedeutsamer: die großen Möglichkeiten, die die Tiefenpsychologie hat, um zu einer Vertiefung unseres Weltbildes beizutragen.

„Gern entsprechen Wir Ihrem Wunsch und be-, nützen zugleich die Gelegenheit, um an Sie ein Wort der Ermutigung zu richten und Ihnen einige Hinweise zu geben.“

Mit diesen Worten wird uns durch Papst Pius XII. der Zweck seiner Ansprache aufgezeigt. Er fährt dann fort: .

- „Die Wissenschaft behauptet, daß durch Beob-r achtungen Tiefenschichten der menschlichen Seele zutage gefördert worden sind, und sie ist . bemüht, diese ihre Entdeckungen zu verstehen, s sie auszulegen und nutzbar zu machen. Man spricht von Dynamismen, von Determinismen, von Mechanismen, die in der Tiefe der Seele ' verborgen wären, die immanenten Gesetzen gehorchen und aus denen gewisse Handlungen hervorgehen. Zweifelsohne sind diese tätig im Unter- und Unbewußten. Sie dringen jedoch auch in den Bereich des Bewußten durch und bestimmen dasselbe. Man behauptet, über erprobte und anerkannte Vorgehen zu verfügen, durch die man imstande sei, die Geheimnisse der Tiefen der Seele zu erforschen, sie aufzu-' klären und sie auf den richtigen Weg zu bringen, wenn sie einen unheilvollen Einfluß ausüben.

Das sind Fragen Ihres Forschungsgebietes, die nach den Gesetzen der wissenschaftlichen Psycho-1 Jogie zu erforschen sind. Das gleiche gilt für die Nutzbarmachung neuer psychischer Methoden.““

Auf diese Weise wird ein großer Teil der Ergebnisse moderner Tiefenpsychologie, nämlich das Unbewußte und erfaßbare Gesetze desselben, Wenn auch nicht gerade ausdrücklich anerkannt,so doch als durchaus diskutabel hingestellt. An diese positive Feststellung schließt sich die für christliche Psychologen wohl selbstverständliche, darüber hinaus aber sicherlich bedeutsame Warnung!

„Die theoretische und praktische Psychologie möge sich jedoch bewußt bleiben, die eine wie die andere, daß sie nicht die Wahrheiten, die durch Verstand und Glauben sichergestellt, wie auch nicht die bindenden Gebote der Moral außer Acht lassen dürfen.“

Die Grundhaltung, „zu der der christliche Psychologe und Psychotherapeut verpflichtet ist“, wird dann auf eine Formel gebracht, nach der der Mensch immer: „1. als psychische Einheit und Ganzheit, 2. als eine in sich selb geschlossene Einheit, 3. als soziale Einheit und 4. als transzendente, d. h. zu Gott hinstrebeade Einheit“ aufgefaßt werden muß.

Zu Punkt 1 wird dann ausgeführt, daß nicht einer einzelnen Grundkraft der Psyche diese als ganze überlassen werden darf, vielmehr der Geistseele als der Zentralstelle untergeordnet zu sein hat. Damit wird einerseits das Problem der Freiheit berührt, anderseits werden auch monistische Systeme, als welche einzelne orthodoxe Richtungen leicht erscheinen können, zurückgewiesen, soweit sie kein autonomes Ich anerkennen wollen.

Zu Punkt 2 wird betont, daß das Psychische selber „innerhalb des Ontologischen und Metaphysischen“ liegt. Es wird schließlich- eine individualistische „Personalethik“ abgelehnt, die keine „strenge Bindung“ an die christliche Sittlichkeit hätte.

Zu Punkt 3 wird bemerkt,

„es sei ein begrüßenswertes Problem ..., auch diesen Sozialpsychismus in sich und seinen Wurzeln zu erforschen.“ Weiter:

„Der Sozialpsychismus berührt sich mit dem Sittlichen und *uf weite Strecken deckt sich die sittliche Stellungnahme mit der einer ernsten Psychologie und Psychotherapie. Nur an einigen Stellen fehlt die Wertung des Sozialpsychismus durch ein Zuviel und ein Zuwenig. Bei diesem Punkt möchten Wir kurz verweilen.“

Zu dem Zuwenig wird bemerkt:

„Es gibt eine psychologisch wie sittlich krankhaft Ichverhaftung, über deren Ursachen Ihre Wissenschaft befinden mag. Wenn diese Ichverhaftung auch auf den sittlichen Bereich übergreift, wenn es sich x. B. um Dynamismen wie Machttrieb, Geltungstrieb, Sexualtrieb handelt, dürfte die Psychotherapie jene Ichverhaftung nicht ohne weiteres als eine Art Schicksal behandeln, als eine Uebergewalt des aus dem Unterbewußten hervorbrechenden affektiven Impulses, welcher der Steuerung dutch die Seele und das Gewissen einfach entzogen ist.“

Sodann wird auf Uebertreibungen psychoanalytischer Methoden im Hinblick auf das Sexuelle eingegangen.

Zu dem Zuviel des Scaialpsychisfnus wird bemerkt:

„Es liegt datin, daß die Forderung eines unbeschränkten Aufgebens des Ich und seiner persönlichen Behauptung verlangt wird. In Hinsicht darauf möchten Wir zwei Dinge berühren: einen Grundsatz und eine psychotherapeutische Praxis. Aus gewissen psychologischen Darlegungen ergibt sich die These, daß die bedingungslose Ichunterdrückung das Grundgesetz des naturgewoll-ten Altruismus und seiner Dynamismen bildet. Das ist ein logischer Irrtum, gleichwie eine psychologische und ethische Abirrung. Es gibt einen Schutz, eine Achtung, eine Liebe und einen Dienst des eigenen Ich und sie sind von dem Psychischen und vom Sittlichen aus nicht nur gerechtfertigt, sondern auch gefordert.“

Was hier gesagt wurde, gilt wohl vor allem für jene Auffassung, die jede Art von Selbstliebe als ,.Narzißmus“ abtun möchte.

Schließlich wird auch jener, in verschiedenen Blättern übermäßig aufgebauschte Punkt berührt, nämlich der der Wahrung verschiedener Geheimnisse, die prinzipiell bei Anwendung der Psychoanalyse ger fährdet werden könnten. Dies sind vor allem Beichtgeheimnis und Amtsgeheimnis. Dieser Punkt ist zwar prinzipiell wichtig, spielt aber in der Praxis nur selten eine Rolle. Freud erwähnt einmal einen Fall, den er deshalb nicht mit Erfolg behandeln konnte, weil der betreffende Mann ein Amtsgeheimnis nicht preisgeben konnte. In einem solchen Fall hätte die Wahrung des Geheimnisses den Vorzug gegenüber dem Erfolg der Behandlung.

Als außerordentlich wichtig scheinen uns jedoch die Ausführungen zu Punkt 4:

„Zunächst weist die Forschung auf einen Dynamismus hin, der in den Tiefenlagen des Psychismus seine Wurzel hat und auf das über dem Menschen Liegende hindränge, nicht auf Grund einer Erkenntnis desselben, sondern in einem unmittelbaren, aus den Seinsschichten stammenden Gravitieren nach oben. Es wird in diesem Dynamismus eine selbständige, ja die fundamentale Grundkraft der Seele erblickt, ein unmittelbares, affektives Drängen der Seele zum Göttlichen hin, so wie die Blume ohne Erkenntnis sich dem Licht der Sonne öffnet, oder wie das Kind unbewußt atmet, sobald es geboren ist.“

Damit wird eine der wichtigsten Erkenntnisse der modernen Tiefenpsychologie gewürdigt. Es wird dann erklärt, daß der Ursprung der Religion „in der klaren Erkenntnis Gottes aus seiner Natur und positiver Offenbarung“ liegt.

„Dieses vorausgeschickt, bleibt aber immer noch die Frage jenes geheimnisvollen Dynamismus. Zu ihr dürfte zu sagen sein: Daß sich die Tiefenpsychologie auch mit religionspsychologischen Inhalten befaßt, sie zu analysieren und sie in ein wissenschaftliches System zu bringen sucht, ist sicher nicht zu beanstanden, wenn auch diese Forschung neu ist und ihre Terminologie sich in der Vergangenheit nicht findet. Wir machen auf dies letztere aufmerksam, weil es leicht zu Mißverständnissen führen kann, wenn die Psychologie bereits im Gebrauch stehenden Ausdrücken einen neuen Sinn gibt. Es wird der Klugheit und Zurückhaltung auf beiden Seiten bedürfen, um Mißverständnisse zu vermeiden und ein wechselseitiges Sichverstehen zu ermöglichen. Es bleibt alsdann den Methoden Ihrer Wissenschaft überlassen, die Existenz, Struktur und Wirkungsweise eines solchen Dynamismus zu klären. Ein positives Ergebnis brauchte nicht als mit Vernunft oder Glauben unvereinbar bezeichnet zu werden. Es würde nur zeigen, daß das esse ab alio bis in seine tiefsten Wurzeln esse ad alium ist und das Wort des heiligen Augustinus: Fecisti nos ad te, et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te (Conf. 1. 1 c. 1 n. 1) fände neue, in den Urgrund des psychischen Seins greifende Bestätigung. Es würde sich ja um einen alle Menschen, alle Völker, jeder Kultur und Epoche zukommenden Dynamismus handeln. Eine Hilfe, und zwar eine wertvolle, für die Suche nach Gott und die Bestätigung Gottes.“

Der genannte Dynamismus wird sich für alle Wissenschaften, die den Menschen zum Gegenstand haben, als außerordentlich bedeutsam erweisen.

Es wird nun noch darauf hingewiesen, daß ein Bewußtsein echter Schuld nicht weganalysiert werden darf, besser der Versuch gemacht werden darf, es wegzuanalysieren und daß eine echte Schuld eben nur vom Priester in einer Beichte behoben werden kann. Daher werden ja auch von verantwortungsbewußten Psychotherapeuten Katholiken zum Priester verwiesen, soweit sie eben echte Schuld haben.

Wir können nur dankbar an den Schluß dieser Ausführungen das Schlußwort des Heiligen Vaters setzen:

„Das ist es, was Wir glaubten, Ihnen vorlegen zu sollen. Seien Sie im übrigen versichert, daß die Kirche Ihr Mühen und Forschen mit warmer Teilnahme und mit besten Wünschen begleitet. Sie arbeiten auf einem sehr schwierigen Feld. Aber Ihr Schaffen kann für die Heilkunde, für die Kenntnis des Seelischen überhaupt und für die religiöse Anlage und Vervollkommnung des Menschen wertvolle Ergebnisse zeitigen. Daß Gottes Vorsehung und Gnade Ihre Wege leite, als Unterpfand dessen erteilen Wir Ihnen in väterlicher Liebe den Apostolischen Segen.“

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