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Kleine Goethe-Literatur aus England und Deutschland

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Drei kleine Beiträge zum Goethe-Jahr, die mir von auswärts zugeflogen sind, und zwar von Goethes Ideen über Natur und Religion:

Die „Cambridge University Press“ gab 1949 die zweite Auflage einer populären Darstellung von Ch. Sherrington heraus: „Goetheon natureandon science“, die reichlich nüchtern feststellt, daß Goethes naturwissenschaftliche Ideen sachlich und methodisch verfehlt gewesen seien: der Kampf gegen Newton sei ein hartnäckiger Anachronismus (vor hundert Jahren): die Metamorphosen- und die Schädelwirbelknochentheorie seien immerhin „plausible, wenn auch oberflächliche Konjekturen“, die die moderne Wissenschaft beiseite gelegt habe; mit der Lehre von der „Korrelation der Teile“ (so heißt hier Goethes Idee vom Energiehaushalt, die „loi de balancement“) sei überhaupt ein „plumper Irrtum — zum Gesetz erhoben“ worden. Schuld an solchen Theorien sei Goethes Naturphilosophie, eine veraltete Personifikation der „Natur“ als schaffender Gottheit: er habe (und zwar nicht bloß dem deutschen Schriftgebrauch nach) Natur „with a capital N“ geschrieben. — Der Physiologe Sherrington ist groß geworden In der Wissenschaftlichkeit des 19. Jahrhunderts (auch die Goethe-Literatur, auf die er sich beruft, stammt aus jener Zeit vor 50 oder 100 Jahren) und er fühlt sich (wie so manche Physiologen auch heute noch wenig angefochten von irgendwelchen Gestaltgesetzlichkeiten und Ganzheitsbestimmtheiten. Er sieht das Berechtigte in Goethes naturphilophischem Denken (das trotz aller Verflochtenheit in die „Natur“-mystik des 16. und 17. Jahrhunderts wie der Romantik und des deutschen Idealismus souverän dasteht) überhaupt nidit. Begreiflich, daß er auch der Dichtung Goethes, besonders dem II. Teil des „Faust“, wenig abgewinnen kann, natürlich wegen der vielen mythischen und allegorischen Figuren. Nur hätte er als „ordinary reader“, als den er sich ausgibt, von der Publikation seines literarischen Urteils eben auch absehen sollen. (Einiges davon gibt immerhin zu denken, wie die Gegenüberstellung des „Natur'-Fragments von 1781 und der Ode „Das Göttliche“, von „Leben“ also und „ethischem Sein“, in Goethes zwiegesichtigem Denken.) Sherrington galt in seinem Land schon vor dem Krieg als „alter Mann, weise und furchtlos, dem das Leben die Illusionen genommen, ohne ihn zynisch zu machen, den die Physiologie von Sentimentalität befreit habe, ohne sein Mitgefühl zu zerstören (wie es im „Spectator“ hieß). Wir wollen uns seiner Nüchternheit nicht durchaus verschließen.

Wie eine Gegenschrift aber nimmt sich ein deutscher Aufsatz von W. Troll (dem Münchner Botaniker, derzeit in Mainz) aus: „Goethe und die Grundlagen des Naturverständnisses“ (er ist aus der Gedäditni6schrift für Otto Schmeil). Da heißt es wieder, die Leistung Goethes sei aus der Entwicklung der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts nicht wegzudenken. Auf ihn gehe die „Sproßtheorie der Blüte“ (W. Hofmeister) zurück; und jenes „Prinzip der variablen Proportionen“ (wie Troll das nennt, was bei Sherrington „Korrelation der Teile“ heißt) habe, ohne Kenntnis der Goetheschen Gedanken, neuerdings ein Engländer, d'Arcy Thompson, in seiner Transformationslehre entwickelt. — F. Siegibauer im „Innsbrucker Almanach“ hat sich für dieselbe Theorie gerade auf W. Troll berufen. Diesem ist es jedoch vor allem um das weitere Problem: „Sinngehalt der Natur“, „Welt als Kosmos“ zu tun. Aller Zuversicht der „nihilistischen“ Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, allen Eliminierungen irgendwie noch teleologischer Begriffe zum Trotz habe die „Tatsachenforschung“ gerade der letzten Jahrzehnte in der Zellenlehre wie in der Atomphysik „ein überwältigendes Bild von Ordnung und Planmäßigkeit, von Harmonie und Sinn“ ergeben. In der Natur selbst gebe es, und nicht nur in den Organismen, zwei Tendenzen: eine auf Zersetzung, Unordnung und Chaos, eine andere auf Aufbau, Ordnung und Kosmos hin, gebe es jenen Kampf der „Entelechie“ gegen die „Entropie“. Troll weist dabei auf E. Sdirö-dinger hin. — Schade, daß er dabei den modernen Gegensatz: Ganzheit und Einzelding oder -Schwingung, Gestaltbestimmtheit und Zufall, Kosmos und Chaos, mit dem mittelalterlichen und modernen Universalienstreit zusammenwirft. Die beiden haben zwar miteinander zu tun, sind aber nicht dasselbe. Der Positivismus vollendet den Nominalismus, aber Wilhelm von Odiham im 14. Jahrhundert ließ die „Ideen“ als Gedanken des Schöpfergottes bestehen; und der gerechte „Positivismus“ der Gegenwart müßte sich mit dem „positiven“ Glauben vereinen lassen. — Wie weit übrigens die Welt als Ganzes und unter welchem Aspekt sie „Kosmos“ sei, wird (schon im Hinblick auf die Tendenz zur Entropie) dem mensditichen Denken eine un-beantwortbare Frage bleiben.

Den religiösen Jugendideen Goethes ist der Aufsatz von Peter M e i n h o 1 d (Kiel) gewidmet: „Der junge Goethe und die Geschichte des Christentums“ (aus „Saecuhmi“ 1950). Aus der Analyse des „Briefes des Landgeistlichen“, der „Zwo wichtigen ... biblischen Fragen“, des „Ahasver'-Fragments, ergibt sich einerseits der große, geradezu bestimmende Einfluß der Arnoldschen „Kirchen-und Ketzerhistorie“ (siehe „Dichtung und Wahrheit“ darüber), und zwar in der Parteinahme für das religiöse „Gefühl“ gegen jegliche dogmatisch-kirchlidie Ordnung, wie in der Auffassung der Geschichte als des immer sich wiederherstellenden Kampfes dieser beiden Urtendenzen (und das sei der „Kampf zwisdien Glauben und Unglauben“). — Daraus ergibt sich aber auch so mancher Bezug auf spätere Worte Goethes, dichterische und philosophisdie, von dem Wort des Pastors aus zum Beispiel: „Auf der Höhe der Empfindung erhält sich kein Sterblicher“, zu „Faust“ (2. Monolog) oder zu „Winckel-mann“, „Schönheit“ („.,.und selbst ihrer [das heißt der Natur] Almacht ist es unmöglich, lange im Vollkommen zu verweilen und dem hervorgebrachten Schönen eine Dauer zu geben...“). Goethe ist sich sein Leben lang erstaunlich gleich geblieben. Man findet im jungen den alten, im alten den jungen Goethe wieder.

Federnschleißer. Von Lois Schlferl. Verlag Stehlicek und Pühringer, Wien-Atzgersdorf. 180 Seiten. Preis S 12.—.

Seit audi die Spinnstube der Vergangenheit angehört, bildet vielenorts das Federnschleißen die letzte Gelegenheit geselligen Beisammenseins im bäuerlichen Hause. Wenn sich die Dorfjugend an Winterabenden zum Federnschleißen zusammenfindet und sich die Eintönigkeit der stundenlangen Arbeit mit Liedern, Rätseln und sonstiger Kurzweil würzt, 60 wird auch alten Brauchtums wieder gedacht, halbvergessene Historie lebt wieder auf, die Erinnerung an dörfliche Ereignisse und Mensdien der Vorzeit wird wieder aufgefrischt. So will der Titet gedeutet sein, unter dem Lois Schiferl, der Dichter und Schilderer des niederösterreichischen Weinlandes, etliche Dutzend ernster und lustiger Geschichten und Betrachtungen aus seiner engeren Heimat zusammenfaßt. Wieder erweist er sich darin als genauer Kenner seiner Landsleute, als liebevoller Hüter ihrer Art und Sitte und ihres durch die Stadtnähe gefährdeten Sprachbrauches, wieder auch als gewandter Erzähler voll Gemüt, Kraft und Witz und einer Anschaulichkeit, die auch gelegentliche Derbheiten wagt. Ganz köstliche Stücke finden sich unter diesen Skizzen, wie etwa „Der Karl und die Seff“ oder „Die Pallmutter“ oder „Vier Burschen gehen ab“. Unsere Rezitatoren in der Mundart, denen die Zusammenstellung ihrer Vortragsprogramroe oft Sorge bereitet, weil sie ja doch nicht immer wieder fast ausschließlich auf Roseggers längst und weitum bekannte Steirergeschichten zurückgreifen mögen, werden gut daran tun, in Schiferls „Federnschleißer“ Nachschau zu halten.

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