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Kompendium der Gesamtethik

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Ethik. Von Johannes Meßnez. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. 531 Seiten. Preis 96 S

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Ethik. Von Johannes Meßnez. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. 531 Seiten. Preis 96 S

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Infolge der technischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt sozialen Entwicklung der letzten achtzig Jahr haben sich die Ethiker öfter veranlaßt gesehen, neben den traditionellen Handbüchern der „Ethica generalis et specialis“ gelegentlich auch über die neu hinzugekommenen Probleme Einzelabhandlungen zu verfassen, die ziemlich unzusammenhängend und manchmal willkürlich unter den Titeln: Rechtsphilosophie, Gesellschaftsethik, Staatslehre und vor allem unter dem Sammelbegriff „Soziologie“ erschienen sind. Professor Meßner hat uns nun eine Ethik geschenkt, die mit Recht „Kompendium der Gesamtethik“ genannt wird und in der, auf Grund einer; wohldurchdachten Prinzipienlehre, sämtliche aktuelle Fragen systematisch gegliedert zur Sprache kommen. Da der Verfasser die auch hier kurz zusammengefaßte Prinzipienlehre, die Persönlichkeitsund Kulturethik, bereits in seiner Kulturethik (1954) ausführlich behandelt hat (siehe „Die Furche“, 23. Juli 1955), interessieren uns hier besonders die restlichen Abschnitte über Rechts-, Gesellschafts-, Staats- und Wirtschaftsethik. Selbstverständlich hält sich der Verfasser an die erprobte induktive Methode, aber statt der weitausholenden Begründungen und ausführlichen Zitate — vor allem aus der angelsächsischen Literatur — finden und bewundern wir in diesem Kompendium die eindeutigen Begriffsbestimmungen und die scharfen, übersichtlichen Einteilungen, eine klare Sprache und das wiederholte Zurückgreifen auf die Prinzipien. Ohne den thomistischen Boden zu verlassen, richtet Meßner seinen Blick dauernd auf die Wirklichkeit, auf die vielen neuzeitlichen Bedürfnisse und Fragen, die die jüngste ökonomische und soziale Entwicklung hervorgerufen hat. Obwohl er niemals, außer im Zusammenhang mit der Erbsünde, auf das Gebiet der Theologie hinübergreift, schaltet er doch, wo es nötig ist, die Liebe in seine Betrachtungen ein, entweder als Nächstenliebe oder als soziale Liebe.

Wer mitten im Leben steht und sich vor viele neue Probleme gestellt sieht, findet in dieser Ethik einen sicheren Wegweiser, ebenso zum Beispiel über Eugenik. Neomalthusianismus und Familienlohn, wie auch über das Recht der Minderheiten, über das Verhältnis zwischen Staat und Nation oder über das Streikrecht, wenn auch dieser letzte Punkt etwas kurz ausgefallen ist und zum Beispiel die diesbezügliche Verantwortung von Staatsbeamten nicht behandelt. Sowohl in der Analyse der Prinzipien wie in deren konkreter Anwendung vermeidet der Verfasser jede Einseitigkeit. Wenn er die These: „Die Mutter gehört in die Familie“ unterschreibt, lehnt er doch die Forderung ab: „Die Frau gehört ins Haus“. Eine gleiche Entlohnung für die gleiche Arbeitsleistung der Frau nennt er „berechtigt“, aber absolute Gleichheit läßt sich nicht vertreten, da „in Wahrheit weder der Mann noch die Frau der Maßstab des anderen sein kann“. Aufschlußreich und äußerst lesenswert sind die Erläuterungen über die moderne Demokratie und Parteipolitik, wobei der Verfasser eine sehr kluge Unterscheidung zwischen dem „echten“ und dem nur „taktischen“ Kompromiß macht, weil in der letzteren angeblichen Lösung dem Gemeinwohl keine Rechnung getragen wird. Die Vorschläge zur Reform der Demokratie (S. 389 ff.) verdienen die Aufmerksamkeit aller christlichen Politiker. Dasselbe gilt für den Abschnitt über die Wirtschaftsethik, in dem nach einer bemerkenswerten Verteidigung des Privateigentums zuerst die Fehler des individualistischen Kapitalismus, dann aber auch die Grundübel des Kommunismus und des Sozialismus mit seinen Verstaatlichungs- und Planwirtschaftsbestrebungen bloßgelegt werden. Wie verheerend die Allmacht von gewissen Kartellen und Konzernen sein kann, zeigt sich gerade darin, daß dieses zitatenarme Buch Liefmanns Worte als Warnung anfühlt: „Von dem Einflub, den die großen Kapitalmagnaten auf den Geldmarkt, die Presse, die öffentliche Meinung, die Regierung, ja auch die Wissenschaft haben“, mache man sich kaum ein zutreffendes Bild (S. 428). Diese Auswüchse jedoch, die mit der liberalistischen Nichtinterventionstheorie und -praxis zusammenhängen, können weder den Verfasser noch einsichtige Leser dazu verleiten, die Basis eines gesunden Wettbewerbes zu verlassen und einen prinzipiellen Staatsinterventionismus zu verteidigen. Als. einzige Lösung bleibt die „Wirtschaftsordnung der geordneten Freiheit“ übfig in einer „freien und offenen Gesellschaft“, gegenüber der Allzuständigkeit und Allgewalt des Staates, wobei das ausgezeichnet ausgearbeitete Subsidiaritätsprinzip als Richtschnur und Korrektiv gehandhabt wird. Nach diesem Prinzip, das als ein feines Muster die wirtschaftlichen Erläuterungen belebt, muß „alle staatliche Sozialpolitik so eingerichtet sein, daß sie möglichst dazu führt, sich selbst überflüssig zu machen“, mit anderen Worten: „soviel Freiheit wie möglich, soviel Staatseingriff wie notwendig“ (S. 377, 268). Das Prinzip wird jedoch nicht mechanisch-einheitlich, sondern je nach der Materie biegsam angewendet: sehr scharf zum Beispiel im Verhältnis zwischen Staat, Gemeinde und sonstigen Körperschaften, weniger hart in der Erziehungs- und Schulfrage, weil trotz des Elternrechtes das Gemeinwohl ein Maß von Allgemeinbildung der Staatsbürger fordert (S. 3 81), und sehr schwach in kulturellen Angelegenheiten, wo die Staatsbemühung sich eher auf Abwehr unmittelbar schwerer Bedrohungen des Gemeinwohls beschränken soll (S. 382).

Meßners Ethik füllt viele Lücken, nicht nur in der soziologischen Literatur überhaupt, sondern vor allem durch die systematisch eingegliederte Behandlung aller einschlägigen Themen. Das wirklich Leben nämlich in seiner ganzen Fülle und Vielseitigkeit wird hier miteinbezogen, und darum definiert Meßner die Wirtschaftsethik auch als die Wissenschaft „von der sittlichen Ordnung der gesellschaftlichen Kooperation der Menschen bei der Deckung ihres Lebens- und K u 11 u r b e d a r f e s“ (S. 407). Es ist ein Buch, das nicht nur Ethiker, Soziologen und Nationalökonomen studieren sollen, sondern auch ein echtes Kompendium für Laien und vor allem eine Summula, ein Enchiridion oder Handbuch für Politiker und solche, die es werden wollen.

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