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Kritiker und Agent dazu

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Der deutsche Literaturstreit geht in die nächste Runde: Der deutsche Literatur-Papst himself, der zu Beginn dieses Streits der in den Stasi-Akten als IM Margarete verzeichneten Christa Wolf Zynismus, Heuchelei und Unverfrorenheit vorgeworfen hat(FAZ, 12. 11. 1987), ist nun selbst ins Zwielicht geraten. Marcel Reich-Ranicki, so die jüngsten Enthüllungen des Mitglieds der Polnischen Akademie der Wissenschaften Andrzej Paczkowski, war von Ende 1944 bis Anfang der fünfziger Jahre Mitglied des polnischen Geheimdienstes. In dieser Funktion soll, er als Zensor tätig gewesen sein. Der oberste deutsche Literaturkritiker als kommunistischer Inquisitor? Noch Ende Mai bestritt Reich-Ranicki die Mitgliedschaft, er sprach lediglich von „selbstverständlichen” Kontakten.

Um nicht mißverstanden zu werden: Der Vorwurf an Reich-Ranicki lautet nicht, Kollaboration mit kommunistischen Mördern begangen zu haben. Er lautet auch nicht, zu lange an die Sache des Stalinismus geglaubt zu haben. Das sind vorerst Mutmaßungen, die keine Beeinträchtigung der moralischen Integrität darstellen und wahrscheinlich aus Zeitumständen heraus, die heute schwer nachvollziehbar sind, erklärbar wären. Der Vorwurf lautet vielmehr, Rufmord an jenen DDR-Autorinnen und Autoren begangen zu haben, die sich nicht dazu entschließen konnten, den Arbeiter- und Bauernstaat zu verlassen, sondern dort ausharrten, um dem Volk beizustehen, selbst um den Preis von Flecken auf der „weißen Weste”.

Ulrich Greiner hat in einem Interview für die „Zeit” (Nr. .24/1994) die Sache auf den Punkt gebracht: „Jemand, der so scharf im Urteil ist, muß sich daran erinnern lassen, daß auch er einmal an die Sache geglaubt hat.” Hier wirkt Reich-Ranickis Antwort, „ich verstehe das nicht”, höchst unbefriedigend. Wer Christa Wolf wortgewaltig vorwarf, nicht nur Mitläuferin, sondern Förderin des SED-Regimes gewesen zu sein, dessen Moralität sollte frei von jeglichem Zweifel sein.

Was werden wir also in Hinkunft denken, wenn der Literatur-Papst im „Literarischen Quartett” wieder seine oft nicht nur ästhetischen, sondern rigorosen moralischen Urteile über Literatur spricht?

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