6719133-1965_04_11.jpg
Digital In Arbeit

Kulturgeschichte im Zwielicht

19451960198020002020

DEUTSCHE KULTUR VON DER AUFKLÄRUNG BIS ZUR GEGENWART. Ereignisse-Geslalten-Stroinunsen. Von Walter Mönch. — Max-Hueber-Verlag, MUnchen. 636 Seiten,, 18 Abbildungen, Preis 23.80 DM.

19451960198020002020

DEUTSCHE KULTUR VON DER AUFKLÄRUNG BIS ZUR GEGENWART. Ereignisse-Geslalten-Stroinunsen. Von Walter Mönch. — Max-Hueber-Verlag, MUnchen. 636 Seiten,, 18 Abbildungen, Preis 23.80 DM.

Werbung
Werbung
Werbung

Wie es der Titel ausspricht: eine deutsche Kulturgeschichte des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Somit eine Fortführung der gerade in Deutschland wichtigen Gattung der Kulturgeschichte überhaupt. Der Hauptgewinn des Buches liegt in einer gedrängten und zugleich gut unterrichtenden Überschau über den Beitrag Deutschlands zur Weltkultur und Geistesgeschiohte im zwanzigsten Jahrhundert. Mönch gliedert den sehr umfangreichen Stoff in drei Teile, deren jeder ein Jahrhundert behandelt. Der dritte Teil mit der Darstellung des 20. Jahrhunderts wird dem Leser als Wegweiser durch die Geistesgeschichte unseres Säku-lums wohl am meisten zu bieten haben. Auf dem Hintergrund des sich gleichbleibenden „faustischen Menschen“ rollt das zeitliche Verwandlungsspiel dieses einen Typus ab. Der Verfasser sieht keinen Untergang der Kultur, sondern nur Wechsel der Erscheinungsformen in der Zeit.

Die Gesinnung des Verfassers ist eine harte Faktenbejahung, die es als gegeben hinnimmt, daß die Welt den Weg geht, den sie im 20. Jahrhundert eben geht. Aufgeschlossen dem Geist jener Männer, die das Antlitz dieser Epoche gebildet haben, gibt der Verfasser (seines Zeichens Romanist) eine gute Ubersicht auch über die naturwissenschaftlichen Leistungen. In einzelnen großen Kapiteln wurde das Zusammenspiel der Wissenschaften mit den Künsten aufgegliedert. Nach dem „Ereignis der Naturwissenschaft“ wird dem Kulturbild der Psychoanalyse ein umfangreiches Kapitel gewidmet, dann Dichtung, Musik und Malerei mit ihren Umstürzen in Hauptthemenkreisen aufgerollt. An vielen Stellen holt Mönch zu grundsätzlichen Behauptungen aus, denn sein Ziel ist ja, der Welt den „typisch deutschen Beitrag“ zur Kultur überhaupt, dann aber „zur Philosophie und Gei-stesgesohichte der modernen Kunst“ darzulegen. Dabei erweist sich Mönch als ein Schüler der Ansätze der neuen Kulturphilosophie, wie sie um die Jahrhundertwende ins Blickfeld der Geister rückte, wenn er den Bogen zur Goethe-Zeit und zum deutschen Idealismus zurückspannt. Obwohl der deutsche Idealismus „uns so fern zu rücken scheint“, fänden sich in ihm wesentliche Positionen der modernen Kunst vorgebildet, worauf nicht nur W. H. Sokel in seinem Expressionismus-Buch hingewiesen hat. Seit der Neuromantik ist dies immer deutlicher bewußt geworden. Die romantische Bestimmung des Genies, die philosophische Unterscheidung der logischen und ästhetischen Ideen und das ästhetische Problem von Stoff und Form, wie sie durch Herder, Schlegel, Kant und Schiller durchdacht wurden, seien jener deutsche Beitrag auch zur Geistesgeschichte der modernen Kunst. Überspannt erseheint die Parallele, wenn Schiller „bereits die Tore zur ungegenständlichen Kunst aufgestoßen“ haben soll (S. 483).

Das Buch hat das Bemühen, geistesgeschichtliche Vorgänge unserer Tage organisch an die der Vergangenheit anzuschließen, ein Gesichtspunkt, der seine unleugbare Berechtigung hat. Zugleich macht dieses Buch aber auch deutlich, daß der kulturphilosophische, ästhetische und musische Blickwinkel weite Bezirke unserer inneren Seelengeschichte, die schon wieder weiteres umfassen will, als es die aus der neuromantischen Kulturbewegung erwachsene „Geistesgesdhichte“ wahrhaben will, unbelichtet läßt. Das Buch will der Welt mit Recht die Verbindung der beiden Begriffe „Deutsch“ und „Kultur“ vor die etwas geblendeten Augen rücken. Daß dabei die letzten „existentiellen“ Dinge, wie zum Beispiel die gar nicht abzuleugnende harte Auseinandersetzung zwischen Traditionsgebundenheit und radikalem Neubeginn als grundsätzliche Frage eines Abbaues und Neubeginns, etwas zu kurz kommen, liegt an der schwachen Belichtung der Beziehung von Religion und Kultur. So ist es zum Beispiel aufschlußreich, daß der Denker, der gerade diese Frage, wenngleich sehr subjektiv, gestellt und beantwortet hat, Ferdinand Ebner, nicht zu Wort kommt. Es ist ein untrügliches, durch nichts zu unterdrückendes „Mal“ dieses Jahrhunderts, daß es den gesamten Kulturbegriff in eine ungeheure Krise führt, womit alles, was schon in den Zeiten der Humanitätsdenker und Goethes mit den bis in subtilste Präzision verfeinerten Denkinstrumenten aus dem romantischen Laboratorium in Frage gestellt wurde, in immer tiefere Fragwürdigkeiten weitergeführt wird.

Das Buch stellt eine in sich geschlossene Leistung der deutschen Kulturgeschichtsschreibung dar und will seiner Absicht nach verstanden werden. Es ist schon seinem bedeutenden Material nach vollendet in der Abrundung des Dargestellten und verdient einen ehrenvollen Platz im Rahmen der Bemühungen der Gegenwart, sioh zu sich selbst reflexiv zu verhalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung