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Literatur und Leben

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DIE SCHWACHE POSITION DER LITERATUR. Reden und Aufsätze. Von Hans Erich Nossack. Edition Suhrkamp 156, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1966, 177 Seiten, DM 3.—. — ÜBER DAS LESEN VON BÜCHERN. Von C. 8. Lewis. Herder-Bücherei Freihurp- im Rreisimii IQfiß 19.R Seiten. TIM 9. RA

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DIE SCHWACHE POSITION DER LITERATUR. Reden und Aufsätze. Von Hans Erich Nossack. Edition Suhrkamp 156, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main, 1966, 177 Seiten, DM 3.—. — ÜBER DAS LESEN VON BÜCHERN. Von C. 8. Lewis. Herder-Bücherei Freihurp- im Rreisimii IQfiß 19.R Seiten. TIM 9. RA

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Man kennt Hans Erich Nossack nicht nur als Erzähler und Dramatiker, sondern auch als Essayisten, der schon oft zu den wichtigen Fragen der Literatur Stellung genommen hat. Als schöpferischer Autor sieht er hier manches anders als die Kritiker, und so begegnet man in der vorliegenden Auswahl von Heden und Aufsätzen, die aus verschiedenen Anlässen entstanden, gewissen Perspektiven, die oft nicht genug beachtet werden. Nossack hat einmal gesagt, das Schreiben sei für ihn die einzige Möglichkeit, „mit sich fertig zu werden“, und dieser Ausspruch bezeichnet bereits ein wichtiges Thema seiner Betrachtungen, nämlich die Stellung des Schriftstellers — das Wort „Dichter“ wird von ihm bewußt vermieden — und der Literatur im Leben der Gegenwart.

In der Rede „Die schwache Position der Literatur“, die den Band einleitet und ihm auch den Titel gab, untersucht Nossack das Verhältnis von Wissenschaft und Literatur, konfrontiert den Forscher und den Schriftsteller und enthüllt sehr klug die Gründe für die „gesellschaftliche Zweideutigkeit“ des Schriftstellers, die ihm nur als Spiegelbild für die „geistige Zweideutigkeit“ erscheint. Für den Wissenschaftler hat das objektive Wissen eine ganz andere Bedeutung als für den Schriftsteller, für den die Verwertung solchen Wissens eine Gefahr in künstlerischer Hinsicht darstellt. So ist der sogenannte „essayistische Roman“, künstlerisch beurteilt, nur ein „unbefriedigendes Zwitterding“. „Der Leser darf nicht merken, wie klug der Autor ist.“ Vom Schriftsteller darf weder eine Lehre über Literatur als Wissensgebiet noch eine verbindliche „Lebensanweisung“ verlangt werden, denn ihm geht es ja nicht um das Begriffliche, sondern um die Gestaltung. Mit dieser richtigen Erkenntnis Nossacks wird auch die Fragwürdigkeit mancher Interpretationsmethoden der modernen Literaturwissenschaft beleuchtet. Jedes literarische Kunstwerk ist „immer ein revolutionärer Akt“, im Gegensatz zur Wissenschaft, die „grundsätzlich evolutionär fortschreitet“. Alle diese Überlegungen münden dann in die Frage nach den gültigen Maßstäben der Literatur, die nach Nossacks Meinung durch die jeweilige Zeitsituation bedingt sind — was wohl nur mit gewissen Einschränkungen stimmt. In dem Essay „Über den Einsatz“ wird die Behauptung, daß man vom Schriftsteller keine praktischen Lösungen der Lebensprobleme erwarten dürfe, wieder aufgenommen und zwischen dem „intellektuellen“ und dem „sinnenhaften“ Einsatz unterschieden.

Der Vortrag „Der Mensch in der heutigen Literatur“ charakterisiert die moderne Dichtung am Beispiel einiger Autoren, von denen T. E. Lawrence, Pavese und Camus als besonders markant hervorgehoben werden. Ausgehend von der Definition, daß der Mensch ein Wesen ist, „dem die einzigartige Gabe verliehen ist, Zwiesprache mit sich selber zu halten“, erklärt Nossack das Phänomen der Literatur durch das Bedürfnis des Menschen, sich selber zu deuten oder gedeutet zu sehen; er weist auf den tiefen Zusammenhang von Religion und Literatur hin, wobei er freilich nur an ein religiöses Grundgefühl und nicht an ein bestimmtes dogmatisch festgelegtes religiöses Bekenntnis denkt. Ausführlich beschäftigt er sich mit dem Bild des Menschen in der modernen Dichtung, der in seiner ganzen Schwäche und Ratlosigkeit gezeigt wird. Er ist „verdrängt aus dem ihm eigenen Gebiet durch soziale Ideologien, Institutionen und Systeme, die sein Dasein bis ins Allerintimste zu rationalisieren, regulieren, funktionalisieren und zu beherrschen trachten. Dafür wird ihm allgemeine Sicherheit versprochen, aber der Mensch fühlt sich darin nicht wohl und empfindet sie als abstrakte Wüste, in der er keine Lefoensmöglichkeit mehr hat. So bleibt auch ihm nichts übrig, als in die Rechtlosigkeit zu gehen. Er bekämpft nicht ein bestimmtes System und nicht die soziale Gemeinschaft an sich, sondern die absolute Systematisierung, die aus ihm einen auswechselbaren Gebrauchsgegenstand machen will.“ Nossack rechtfertigt das Aufzeigen des Negativen in der Literatur als eine Abwehr kollektivistischer Bestrebungen und meint, daß „die allgemein bejammerte Zerstörung des Menschenbildes von den Autoren nur deshalb vorgenommen wird, um es von den kollektiven Verfälschungen der Zeit zu befreien“.

In einer in Neu-Delhi gehaltenen Rede bekennt sich Nossack zur Ansicht, die Literatur müsse immer für den Menschen gegen jede Art von Diktatur einitreten. Heute hafte ihr eindeutig ein „monologischer Charakter“ an, erklärbar durch den Protest gegen den abstrakten Funktionalismus. Man könnte allerdings Nossacks Ausführungen entgegenhalten, daß der monologische Cha- , rakter der heutigen Literatur in extremen Fällen zur Isolierung des Autors, zur völligen Lebensfremdheit, führen kann. Der Aufsatz „Kleine Ansprache“ stellt die Frage nach dem Publikum, dem sich der moderne Autor gegenübersieht, und nach den wirklich notwendigen Büchern. Eine längere Abhandlung beschäftigt sich mit der sogenannten „Freizeitliteratur“. Nossack kennzeichnet diese, im Gegensatz zur „schöpferischen Literatur“ als eine besondere Gattung, die unsere Zeit hervorgebracht hat und die trotz formaler Perfektion und anderen Vorzügen den Charakter der „Unverbindlichkeit“ hat.

Dies sind nur einige Beispiele der hier behandelten Themen. Nossack erörtert die Probleme mit Ernst und künstlerischem Verantwortungs- bewußitsein, und wenn man über manches auch anderer Auffassung ist und eine gewisse Einseitigkeit der Betrachtungsweise da und dort festgestellt werden kann, so folgt man doch mit Interesse seinen Darlegungen, die der Beachtung und der Diskussion wert sind.

Literatur kann nur dann zu einer echten Lebensmacht werden, wenn sie aufgeschlossene und verständnis volle Leser mit klarem Urteilsvermögen findet. Denn richtiges Lesen ist eine Kunst, von der sogar Goethe im hohen Alter sagte, er habe es noch immer nötig, sich in ihr weiterzubilden. Uber diese Kunst des richtigen Lesens wurde und wird sehr viel geschrieben. C. S. Lewis (1898 bis 1963), der vielseitige englische Autor, hat in seinem kleinen Buch eine originelle Anleitung zum richtigen Umgang mit Literatur gegeben, die in knapper, lebendiger Essayform einen wesentlichen Beitrag zur literarischen Geschmacksbildung leistet. Er stellt eine Art von Typologie der Leser auf, welche die Lektüre aus verschiedenen Gründen betreiben: etwa zum bloßen Zeitvertreib, aus Prestigegründen, aus Wissensdurst, als Beruf und schließlich — die edelste Art — um des Lesens selbst willen. Die Verhaltensweisen der „Literarischen“ und der „Unliterarischen“, um nur zwei extreme Typen zu nennen, werden kurz charakterisiert. Jedem Typus ist ein bestimmter Fehler eigen, eine Einseitigkeit, die ihn nicht zum wahren Genuß und echten Verständnis des Buches gelangen läßt. Lewis schreibt aber auch über literarische Grundbegriffe, über die Mythe, die Bedeutung der Phantasie, über Realismus und das Dichterische. Nachdrücklich fordert er, der Mensch möge das Kunstwerk nicht gebrauchen — zu irgendwelchen außerkünstlerischen Zwecken —, sondern es aufnehmen. Und wie sehr trifft er ins Schwarze, wenn er schreibt: „Wir sind so eifrig damit beschäftigt, mit dem Werk etwas zu tun, daß wir ihm zu wenig Gelegenheit geben, auf uns zu wirken. Und daher begegnen wir immer häufiger nur uns selbst.“

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