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„Macht“

19451960198020002020

Eine sozialkritische Studie. Von Bertrand Russel. Europa-Verlag, Zürich 1947. 263 Seiten.

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Eine sozialkritische Studie. Von Bertrand Russel. Europa-Verlag, Zürich 1947. 263 Seiten.

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Oer ästerreidiische Sozialökonom und Sozio löge Friedrich v. Wieser hat im Jahre 1926 ein bedeutsames Buch vom „Gesetz der Macht" ge- schrieben, in dem er sich, bei aller grundsätzlich positivistischen Einstellung, die ihm eigen war, in geschichtlich gründlicher and gedanklich vielfach sehr aufsdilußreicher Weise mit der Frage der gesellschaftlichen Mächte auseinandersetzte. Wenn man sich des Wieserschen Buches besinnt und noch dazu erwägt, daß im Jahre 1937 — in dem das englische Original des vorliegenden Werkes Russels erschienen ist — das Problem des Totalitarismus in seiner ganzen Fülle praktisch gestellt war, bedeuten Russels Ausführungen nicht nur keinen Fortschritt, sondern auch eine Enttäuschung. Daß Russel für die Demokratie eintritt, ist für ihn als Engländer begreiflich, und daß die Menschheit des Abendlandes mit allen Formen totalitärer Ordnung bedenkliche gesdiichtliche Erfahrungen gemacht hat, kann nicht bezweifelt werden. Aber seine Stellungnahme aus dem Wesen der Sache innerlich zu begründen, gelingt Russel in keiner Weise. Er behandelt das Problem der Macht in der sozialen Ordnung rein psychologistisdi und formalistisch, er scheint keinen wesensgemäßen sittlichen Gehalt der Macht zu kennen. Von der persönlichen Seite her kennt er nur „Einschränkung" der Macht durdi äußere Klugheitserwägungen, von der sachlichen Seite her nur durch äußere Institutionen. Die Macht ruht bei Russel nicht weniger in sich selbst wie bei Macchiavelli. Ihr Wesen wird ihm nicht zum Unwesen, wen sie ihr objektives Maß überschreitet.

Macchiavellisten sind für Russel im Grunde alle Träger von Macht. Er kennt Macht nur als Ausdrude subjektiven Triebes, nicht aber ihren objektiven Grund in den Erfordernissen der sozialen Ordnung. Von dieser Charakterisierung der Macht vom Triebhaften her wird auch die priesterliche Macht nicht ausgenommen, wie Russel an der päpstlichen Macht aufzeigen will, zumal für ihn aller Glaube nichts anderes ist als für die Zwecke der Macht ausgenützter Aberglaube. Es ist unter diesen Voraussetzungen begreiflich, daß recht sarkastisch und ehrfurchtslos ist, was über die Welt des Menschen und der Geschichte gesagt wird. Man sollte doch nicht vorgeben, mit solcher psychologisierender Brille einen Blick hinter die Kulissen der Welt geschichte tun oder menschliche Tiefen durchschauen zu können.

Gewiß, die Dämonie der Macht, von der wir wahrhaftig genug zu berichten wissen, muß „gezähmt“ werden, und es ist nicht überflüssig, die äußeren Formen dieser Zähmung, sozusagen ihre Technik, auf geschichtliche Erfahrungen zu begründen. Letztlich aber können sich die Grenzen der Macht nur aus ihrem Wesen als gesellschaftliche Funktion ergeben. Denn sie ist an das Lebensgesetz der Gesellschaft gebunden, an das Gemeinwohl. Aus dem Lebenswen des Gemeinwohles erhält die Macht ihren sittlichen Charakter, ihr Maß, wird sie zur Autorität. Dieser Gedanke freilich läßt sich nur auf Grund einer Gesellschaftsauffassung durchführen, die die Persönlichkeit und ihre Gemeinschaftsgebundenheit zugleich kennt und respektiert. Erst von einer klar umschriebenen Gemeinschaftsauffassung aus könnten die analytischen Untersuchungen Russels und seine Klassifizierung und Charakterisierung der Machtformen wirklich wertvoll und lehrreich werden. Vielleicht ist e notwendig, das Unwesen der sozialen Macht erlebt zu haben, um die Probleme ihres Wesens in seiner unmittelbar praktischen Aktualität zu erktor

Die Wissensdiaft von der Gesellschaft. Umriß einer Methodenlehre der dialektischen Soziologie. Von Stanislav Warynski. Verlag A. Franke A. G., Bern. 327 Seiten, Ganzleinen

11.50 Schw. Fr.

Der Pole Warynski, Schüler des österreichischen Soziologen Max Adler, hat sich die Aufgabe gestellt, im Rahmen eines Grundrisses der Methodenlehre der Soziologie sich dem Grundproblem dieser Wissenschaft Zu widmen: der Einheit von Theorie und Praxis. Gerade an der Soziologie, als d r Wissenschaft von den menschlichen Beziehungen, muß es sich erweisen, daß Theorie und tägliches Leben konform sind. Nur so kann verhütet werden, daß sich einerseits ein dem Tage verhafteter, theoriefeindlicher Behaviorismus ausbreitet und daneben ein in sich ruhender, entleerter Rationalismus, dem jede Verbindung zum Gegenständlichen fehlt. Warynski ist Vertreter des historischen Materialismus. Aus dieser Tatsache wird das in der Arbeit durchgängig spürbare Verlangen verständlich, von der Erklärung der Welt her tätig auf diese einzuwirken und sie zu verändern.

Die marxistische Interpretation d geschichtlichen Gesdiehens ist aber innigst verbunden mit der dialektischen Methode, welcher Warynski ein besonderes Augenmerk zuwendet (Dialektik und Ges&ichtsforschung, Dialektik bei Hera- klit und Hegel, Dialektik und Erkenntnistheorie, Dialektik und historischer Materialismus). Gleichzeitig verläuft, vom Standpunkt des Verfassers aus gesehen, geradezu notwendig die Auseinandersetzung mit der deutschen Soziologie, mit Scheler und Sombart, mit den Revisionisten (Bernstein und De Man) und mit den „Ideologen“ (Pareto und Sorel). Dem Werke kommt in dem in Fluß befindlichen entscheidenden Gespräch der marxistischen mit der nichtmarxistischen Welt schon mit Rücksicht auf die Aktualität der Fragestellungen und das wissenschaftliche Niveau der Arbeit größte Bedeutung zu. Es bleibt nur der Wunsch offen, daß dieses wie die anderen der Soziologie gewidmeten Werke des verdienstvollen Schweizer Verlages dem österreichischen Wissenschaftler bald allgemein zugänglich gemacht werden.

Von der Normandie zur Ostsee. Feid- marsdiall Montgomerys eigener Kriegsbericht. A.-Scherz-Verlag, Bern 1948. Mit 10 Karten, 314 Seiten. Deutsche Ausgabe von W. Keller und Obstlt. Emst.

Nach General Eisenhowers „Von der Invasion zum Sieg“ meldet sich nun Montgomery of Alamein zu Wort und führt den Leser von den Wüstenschlachtfeldern Afrikas und dem Mittelmeer an die „zweite Front“, an der er die alliierten Truppen am 6. Juni 1944 über den Kanal setzen ließ, um dann durch die Siege in der Normandie, an der Seine, in den Ardennen und am Rhein bis in das Herz Deutschlands vorzustoßen und im Zusammenwirken mit den russischen Heeren die Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu erzwingen. Das Buch will noch nicht Geschichte, sondern bloß ein „Tatsachenbericht“ sein, der über die Operationen Rechenschaft ablegt; in dieser Form zählt es jedoch zum Wertvollsten, was bisher von berufener Seite über den zweiten Weltkrieg geschrieben worden ist. Vom großen Hintergrund der Entschlüsse Roosevelts, Churchills und Stalins wie von der Tätigkeit Eisenhowers als Oberstkommandierenden hebt sich eindrucksvoll Montgomerys Wirken an der Spitze der 21. Armeegruppe und anfänglich auch der 1. amerikanischen Armee ab. Die oft gestellte Frage, ob das Feldherren:um des zweiten Weltkrieges neue Wege ging, beantwortet sich wohl dahin, daß die uralten Gesetze der Strategie unverändert geblieben sind, daß aber die technischen Mittel einen grundstürzenden Wandel in ihrer Detailanwendung bewirkten. In der harmonischen Meisterung der alten Gesetze und der modernen Kriegstechnik, von den Luftgeschwadern, den künstlichen Häfen, dem Amphibienfahrzeug bis zur vertikalen Umfassung durch Luftlandetruppen und zu den Panzermassen, erweist sich Montgomery als überragender Heerführer, der außerdem im Verkehr mit den Verbündeten ebensoviel diplomatische Kunst wie im Gebrauch der Presse politische Weisheit bekundet. Schlicht, einfach, ohne jede Phrase und ohne die geringste Überheblichkeit, korrekt in der kleinsten Einzelheit — so tritt uns der große englische Soldat entgegen, der "ans auch mit seiner Auffassung vom letzten Sinn des Krieges sympathisch be rührt, wie sie in seinem Armeebefehl nach dem erfoditenen Siege zum Ausdruck kam: „Viel haben wir gemeinsam im Kriege voHbradit, wir wollen im Frieden noch Größeres leisten!“ Als ein Beitrag zur Geschichte der Befreiung Österreichs wird Montgomerys Budi in Österreich viele Leser finden.

Kärntner Almanach 1948. Henausgegeben vom Kulturamt der Kärntner Landesregierung. 234 Seiten. Eduard-Kaiser-Verlag, Klagenfurt-Sekirn.

Ein inhaltlich ansprechender, technisch gut ausgestatteter Band. Kärnten fällt heute unter den Bundesländern auf durch seinen besonderen Reichtum an schöpferischen literarischen Begabungen. Mit einer klangreichen Auswahl von Proben haben sie sich hier zusammengefunden; keiner der Tüchtigsten fehlt. Audi der zu früh verstorbene meisterhafte Erzähler Sebastian Weberitsch ist mit einem Ausschnitt aus seinen Lebenserinnerungen vertreten, einem Werk, das in der österreichischen Kritik seinerzeit eine fast beispiellos begeisterte Aufnahme fand. Das meiste des Gebotenen ist novellistische Prosa, taktvoll und fein; zu den kulturgeschichtlichen Studie Rudolf Cefarins sind Einwände am Platze. Eine Untersudiung „Der Kärntner Dialekt“ von Eberhard Kranzmayer stellt einen sehr wertvollen Beitrag zur österreichischen Dialektforschung dar. Lyrik einheimischer Dichter und schöner Bildersdimuds ergänzen das wohlgelungene Buch.

Autobus auf Seitenwegen. Von John Stein- b o e c k. Deutsch übertragen von Rosa Richter. Human;tas-Verlag, Zürich 1948.

John Steinboeck, geschätzt als einer der Großen der modernen Literatur Amerikas, legt hier nach längerer Pause seinen neuesten Roman vor, der wiederum die schon typischen Merkmale aufweist: eine Vielseitigkeit, die in allen Formen und Farben, Techniken und Spielarten schwelgt, ein Durchleuchten der menschlichen Charaktere in ihrer Versdiiedenheit von Beruf und Milieu und eine kräftige Dosis von Realistik. Die menschlich-offene Schilderung nicht alltäglichen Geschehens ist hier, in dieser Chronik einer Autobusfahrt, an eine völlig im Alltag belauschte Menschengruppe gewendet: Der zeitlich knappe Ablauf der Warte- und Reisestunden und die ganze bunt zusammengewürfelte Reisegesellschaft sind in psychologisch zutieft a-afgespürtem Einzel- und Zusammenspiel, aufgelockert und mitunter amüsant, dargestellt. Allerdings findet man auch einige Geschmacklosigkeiten und unwahrscheinliche Details. Die große Erzählkunst macht dieses anspruchslose Werk genußreich.

Die Schwalbe Hirundo and ihre Erlebnisse. Von Alfred Pengkhof. 295 Seiten. Alexa- Verlag, Wien.

Das Leben und Treiben einer Schwaibenfamilie auf dem Dorfe wird anschaunlich, inter, essant und in schöner Sprache geschildert. Der junge Sdiwalberich Hirundo wird auf jedem Leser besonders anziehend wirken. Das zart und feinsinnig dargestellte Liebesidyll zwischen ihm und seiner Schwalbin sowie zwischen den beiden Hauptpersonen der romantischen Erzählung, schließt nicht aus, daß das naturkundlich wertvolle Buch auch schon jgendlidien vom 14. Lebensjahr an (insbesondere Mädchen) bestens empfohlen werden kann. Aber udi Erwachsene werden es mit Genuß lesen.

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