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Marcels philosophisches Hauptwerk in deutscher Sprache

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Es ist für die moderne philosophische Literatur in deutscher Sprache von größter Bedeutung, daß nun auch dieses Hauptwerk des bekannten französischen Philosophen und Literaten in kongenialer und schöner Uebersetzung erhältlich ist. Für die christliche Philosophie erhöht sich dieser Wert noch, weil wir hier eine Form des Existentialismus kennenlernen, die sich nicht nur von dem Nihilismus, Atheismus und der zynischen Hybris eines Sartre distanziert, sondern auch positiv christlich ist und viele tiefe Gedanken über Demut, Gebet, Geheimnis, Vaterschaft, Zeugnis und Liebe entfaltet. Das Werk gibt uns einen umfassenden Ueberblick über Marcreis Gesamtdenken, und zwar in einer Klarheit und Anschaulichkeit, die z. B. bei Heidegger und Jaspers fehlen. Es ist somit ein Werk, das auch Laien verstehen können, was jedoch nicht sagen will, daß es leichtverständlich wäre. Wir haben es hier mit einer reinen Existenzphilosophie zu tun, die „vom Leben zum Denken aufsteigt, um dann vom Denken zum Leben zurückzukehren“. Der Leser wird dadurch in die Lage versetzt, den allmählichen Aufbau dieses Gedankenringens zu verfolgen, ja mitzudenken und mitzuerleben, wobei Metaphern, Zitate aus Marcels eigenen Theaterstücken und Beispiele aus dem täglichen Leben dazu beitragen, die Gedankengänge zu erhellen und lebendiger zu gestalten.

Marcel ist ein ausgesprochener Gegner jedes intellektualistischen, begrifflichen und abstrakten Denkens, das ist nicht nur eine Folge seines Systems, sondern wir sehen darin auch eine ganz persönliche Note, die sich fast immer in einer gereizten Animosität gegen die Scholastik äußert. Wenn Marcel im Zusammenhang mit der Duldsamkeit erklärt: „Wir müßten imstande sein, einen neuen Gedanken zu verstehen, ohne ihn deshalb notwendig an eigener Statt anzunehmen“, so möchte man für das gute Alte etwas mehr Duldsamkeit erwarten, vor allem weil Marcel manchmal auf verschlungenen und weitschweifigen Umwegen zu denselben „Definitionen“ gelangt. Wir denken dabei an seine Umschreibung der „Meinung“ (opinio), an seine Definition der Demut als die „Erkenntnis des eigenen Nichts“, die sich vollkommen mit der scholastischen deckt: „cognitio sui ipsius qua homo seipsum vilescit“. Dasselbe gilt für die Nächstenliebe (propter seipsum) und vor allem für das Gebet: „Mit Gott eins werden“ (elevatio mentis in Deum).

Nicht jeder philosophisch Geschulte wird allen Erörterungen Marcels beipflichten; wenn man sich aber auf seinen Standpunkt stellt, wird vieles begreiflich. Wir betrachten seine oft sehr schönen Erläuterungen als eine wertvolle Bereicherung, als eine Methode, die zwar nicht immer Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, jedoch als Bestätigung große Dienste leistet. Nur haben wir starke Bedenken gegen seine absolute Ablehnung einer rationellen Gotteslehre sowie gegen eine gewisse Form des Fideismus.

Leo Gabriel hat das Werk in einem erklärenden Nachwort zusammengefaßt; dafür sei ihm Dank gesagt, ebenso dem Uebersetzer Hanns von Winter, dessen schwierige und mühevolle Arbeit vielleicht auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, aber bei näherer Betrachtung die größte Anerkennung verdient. Der philosophische und theologische Wortschatz wurde durch diese Verdeutschung tatsächlich bereichert.

Heilpädagogik. Einführung in die Psychopathologie des Kindes für Aerzte, Lehrer, Psychologen und Fürsorgerinnen. Von Hans Asperger. Springer-Verlag, Wien. 1952. 280 Seiten.

Unter den bisherigen deutschsprachigen Werken über Heilpädagogik (Allers, Bopp, Förster) kommt wohl an wissenschaftlicher Gründlichkeit «nd Eigenforschsung dem Werke von Asperger unstreitig der führende Rang zu. Noch kein anderes Werk hat das Thema so erschöpfend und bis in die letzten Einzelheiten so gründlich und grundlegend behandelt. Unter dem Personenkreis, an den sich das Werk wendet, hätten wohl auch die Juristen Erwähnung verdient, weil speziell Richter und Staatsanwälte an Jugendgerichten aus diesem Werke sehr viel lernen können. Schon der allgemeine Teil, der die Wege zur Menschenkenntnis, die allgemeine Ursachenlehre (Aetiologie) und Symptomatologie behandelt, enthält eine erstaunliche Fülle von Einzelheiten. Im speziellen Teil werden die psychopathologischen Störungen beim Kinde und beim Jugendlichen systematisch und im einzelnen dargestellt. Dieser Stoff gliedert sich in organische und funktionelle Störungen; unter den ersteren werden behandelt der Schwachsinn, speziell der erbliche Schwachsinn, und seine Sonderformen (Mongolismus), ferner postencephali-tische Persönlichkeitsstörungen. Die zweite Gruppe umfaßt Neuropathien, Psychopathie, Hysterie, Zwangsneurose und kindliche Schizophrenie. Ein besonderer Abschnitt behandelt gewisse Einzelsymptome wie Sprachstörungen, Lügenhaftigkeit (Pseudopolgie), Neigung zum Stehlen und sexuelle Abartigkeiten.

Besonders wertvoll erscheint das Kapitel über die körperliche Untersuchung (mit einem eingehenden Untersuchungsschema) und über die psychologische Testmethodik und deren den Altersstufen entsprechende praktische Anwendung.

Angesichts des gewaltigen Stoffes, den der Verfasser in einer vorbildlichen Darstellung gemeistert hat, fällt es schwer, einige Einwendungen zu erheben, doch können sie im Interesse der Sache nicht ganz unterdrückt werden. So neigt der Verfasser dazu, unter den Verursachungsfaktoren den zweifellos bedeutsamen erbbiologischen Anlagefaktor doch wohl ein wenig zu uberwerten; ferner neigt der Verfasser zu einer prinzipiellen Ablehnung der Psychoanalyse, auch in jenen Fragen, in denen sie unzweifelhaft richtige Tatsachenerkenntnisse aufzuweisen hat. Doch betreffen diese Einwendungen keineswegs den Kern des Werkes. Dieser steht wissenschaftlich auf so hohem Niveau, daß er über alle Einwendungen erhaben ist.

Univ.-Prof. DDDr. A. Niedermeyer

Die Sinne und die religiöse Erkenntnis. Von Romano Guardini. Verlag der Arche, Zürich.

Zwei Vorträge: „Das Auge und die religiöse Erkenntnis“ und „Die liturgische Erfahrung und die Epiphanie“. Guardini versucht, lebendig zu zeigen, was es heißt: Im Schauen zu leben. Das gelingt nur, wenn ein liebendes Herz einem Auge die Tiefsicht verleiht — nur echte, aus der Personmitte aufsteigende Liebe vermag dr.s! —, wodurch es in Menschen, Dingen und Zeichen den lebendigen Gott erkennen kann. Das und nichts anderes vermag auch das Auge des Gläubigen in der liturgischen Feier. Wenn es dem Auge gelingen kann, in dresem Schauen zu beten, dem lebendigen, gegenwärtigen Kyrios ^u begegnen, dann haben die Formen der liturgischen Feier noch jene Gültigkeit, die einem gläubigen Herzen und Auge, freilich nur diesen, -solche Erscheinung Gottes (Epiphanie) erfahren lassen. Die hier vorgetragenen Gedanken gehören zu den wesentlichsten der liturgischen Erneuerung.

Dr. P. Leopold S o u ku p OSB.

Von Indien ostwärts. Von Santha R a m a R a u. Ullstein-Verlag, Wien. 325 Seiten mit 45 Abbildungen.

„Asien, gesehen mit den Augen eines Asiaten“ ist an sich schon eine schätzenswerte Ergänzung der Berichte, die aus westlicher Feder über das neue, werdende Asien vorliegen. Die Autorin, Tochter des ersten indischen Botschafters in Japan, in England und Amerika erzogen, ist in beiden Welten geistig beheimatet. Sie nimmt daher nicht einseitig Partei, ist aber anderseits ein verständnisvollerer Beobachter als der — selbst gutwillige — in Asien Fremde. In sehr nobler Art kommt bei ihr eine Hilfsbereitschaft für jene Länder zum Ausdruck, die noch nicht — wie ihr Heimatland Indien — ihre Selbständigkeit erlangt haben. Ein eigenständiges, kultiviertes, menschlich anziehendes und beobachtungsreiches Buch. Carl Peez

Das Scharlachschwert. Roman von H. E. B a t e s. Benziger-Verlag, Einsiedeln, Zürich — Köln, 1952. Preis DM 12.90.

Der Roman spielt in jüngster Gegenwart in Kaschmir, wo die halbwilden Pathan- und Afridi-stämme gegen die indische Regierung rebellieren. Fürchterliche Grausamkeiten spielen sich in den Tälern ab, nur eine kleine katholische Mission scheint eine Oase des Friedens, bis auch über sie der Krieg hinbraust. Durch zehn Tage hindurch geht die Frontlinie mitten durch die Siedlung, sie liegt unter ständigem Angriff der Bombenflugzeuge. Diese zehn Tage schildert der englische Autor, der Land und Leute aus eigenem Erleben genau kennt. Inderinnen und Kinder, die geistlichen Krankenschwestern eines nahen Spitals und andere, die in der Mission Zuflucht gesucht hatten, sind nun ins schrecklichste Kriegsgeschehen hineingezerrt und haben sich zu bewähren. Und sie bewähren sich: die kleine Mischlingsärztin, der man den Gatten grausam gemordet hat, steht unerschütterlich Tag und Nacht an den Krankenlagern von Freund und Feind; die Nonnen leisten Uebermenschliches im Betreuen der verstörten Frauen, Kinder und Verwundeten und der bescheidene, unsichere Pater wird unüberwindlich durch den Mut und die Kraft seines Herzens. Ein starkes Buch, das sich trotz aller Anschaulichkeit nie in niedriger Schiderung verliert; es leuchtet in die Tiefen der Seele, auch wenn es von Bombentreffern und Verstümmelungen spricht. Und doch kennt es weder Pathos, noch Belehrung. Niemand wird es ohne Erschütterung aus der Hand legen können. Dr. Grete Steinbock

Verzaubert. Von Elisabeth Barbier. Rohrer-Verlag, Wien — Innsbruck — Wiesbaden. 607 Seiten.

Wenn Urahne, Großmutter, Mutter und Kind in einer dumpfen Stube beisammen sind, dann ergibt das eine Ballade. Wenn der Schauplatz ihres Daseins aber nicht eine dumpfe Stube, sondern ein herrschaftliches Landgut ist, dann tritt leider keine Naturkatastrophe ein, sondern das Gegenteil: eine neue und immer noch schwächere Forsyte-Saga. Solches geschah auch dem vorliegenden Buch, dem außer der Dickleibigkeit alles fehlte, was nicht bald vom Winde verweht werden wird ...

Dr. Jörg M a u t h e

Der Herr von Paris. Von Alexander Lernet-H o 1 e n i a. Arche Verlag, Zürich. 56 Seiten.

Zu jenem seltsamen Zwischenreich, halb Leben, halb geahntes Abgestorbensein, in dessen Darstellung Lernet-Holenia Meister ist, spielt auch diese Erzählung aus dem Paris der Großen Revolution. Furchtbare Berichte offenbart in einer der unbeschwerten Gesellschaften des Ancien regime ein Teilnehmer seinen Freunden. Sie werden, welcher Gedanke bei Leuten von Stand, von Henkershand sterben. Ein anwesendes Liebespaar allein nimmt der düstere Seher aus. Wie sich nun die Schicksale erfüllen, scheinbare Verwirrungen entstehen und alle, bis auf die beiden vom Schicksal Bevorzugten, dem „Herrn von Paris“ zum Opfer fallen, ist mit Sicherheit und in einer höchst gepflegten Sprache erzählt.

Carl Rauenthal

Die Jugendverwahrlosung. Ihre psychischen und sozialen Probleme. Von Otto T u m 1 i r z. Leykam Pädagogischer Verlag, Graz — Wien. 1952. 122 Seiten.

Aus der psychologischen Begutachtung einer großen Anzahl schwieriger, dem Landesjugendamt Graz überstellter Jugendlicher wird hier folgendes Resümee gezogen: Als Wesen der Verwahrlosung erkennt der Verfasser die Hemmungslosigkeit des Ich- und des Geschlechtstriebes, die zwangsläufig zu asozialem Handeln führen muß. Den Grund für die Zunahme der Verwahrlosung sieht er mit Oswald Spengler im Kulturverfall des Abendlandes. — Im zweiten Teil des Buches setzt sich der Verfasser mit den Institutionen und Maßnahmen auseinander, die der Jugendverwahrlosung steuern sollen: Fürsorgeerziehung, Pflegefamilien und Erziehungsheime. Er bespricht die Aufgaben der Jugendämter und des Familienersatzes. Schließlich wird auch noch über das Sckicksal der Un-erziehbaren, das — wenn die Gesellschaft hier nicht energisch eingreift — viel mehr noch unser Schicksal wird, und über die Erziehung der Eltern Wesentliches ausgesagt.

Das Buch wird Erziehern, psychologisch interessierten Lehrern und allen, die sich mit den Problemen unserer Zeit auseinanderzusetzen versuchen, wertvolle Erkenntnisse bringen.

Anna Maria Kretschmer

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