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Marx war ein Marxist

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Albert Massiczek unternimmt es mit seinem Buch — wie schon dessen Titel „Der menschliche Mensch — Karl Marx' jüdischer Humanismus“ (Europa-Verlag, Wien, 654 Seiten) andeutet —, drei Thesen durchzusetzen:1. daß mit dem Marxschen der bedeutendste Humanismus von allen in unsere Welt gekommen ist,2. dies nicht zuletzt deshalb, weil es im eigentlichen ein jüdischer Humanismus ist,3. wie überhaupt der jüdischen Religion, welche eine ganz besonders humanistische sein soll, Vorwertigkeit gegenüber allen, auch nach ihr gekommenen Religionen — insbesondere gegenüber dem Christentum — zukomme.

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Albert Massiczek unternimmt es mit seinem Buch — wie schon dessen Titel „Der menschliche Mensch — Karl Marx' jüdischer Humanismus“ (Europa-Verlag, Wien, 654 Seiten) andeutet —, drei Thesen durchzusetzen:1. daß mit dem Marxschen der bedeutendste Humanismus von allen in unsere Welt gekommen ist,2. dies nicht zuletzt deshalb, weil es im eigentlichen ein jüdischer Humanismus ist,3. wie überhaupt der jüdischen Religion, welche eine ganz besonders humanistische sein soll, Vorwertigkeit gegenüber allen, auch nach ihr gekommenen Religionen — insbesondere gegenüber dem Christentum — zukomme.

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Elf klein- und enggedruckte Seiten des Buches füllen das Register der Literatur, mit deren Zitationen Massiczek diese drei Thesen zu beweisen unternimmt. Es sind meistens sehr gute und schöne Zitationen, wert, um ihrer selbst willen gelesen zu werden. Aber ihre Autoren sind oder waren meist bessere Humanisten oder bessere Juden oder beides zusammen, als es Marx jemals war. Daß das Alte Testament die wichtigste Urquelle aller späteren Moral war, ist nichts Neues. Daß der Sozialismus ein Ausläufer dieser Quelle war, ist ebenfalls bekannt. Daß die Marxschen Lehren einen weiteren Ausläufer dieses Ausläufers darstellten und damit indirekt, wenn auch völlig entgottet, von der Urquelle gespeist wurden, versteht sich von selbst.

Was ich aber dennoch nicht zu akzeptieren bereit bin, das ist Massiczeks Proposition, daß die Marx'schen Lehren auf besonders starke Weise und wie keine anderen mit der jüdischen Gedankenwelt verknüpft seien. Massiczek verheimlicht uns dabei keineswegs, daß Marx ohne jede Kenntnis alles Jüdischen aufgewachsen war und sich selber als Student und Erwachsener von dieser Kenntnis fernhielt. Selbst seine Kenntnis der jüdischen Existenz seiner Zeit war auf eine recht oberflächliche derjenigen Deutschlands und anderer Länder des Westens beschränkt. Die damals noch vollebendige jüdische Welt Osteuropas und auch des Orients war ihm unbekannt. Das gesamte große jüdische Denken vor und nach der Austreibung der Juden aus Palästina ignorierte er im passiven und aktiven Sinn dieses Wortes — wie er das gern auch gegenüber anderen ihm nicht genehmen geistigen Richtungen und Erscheinungen getan hat. So wurde und war Marx der ärgsten Antisemiten einer. Es hat im Sozialismus schon immer eine antijüdische Strömung gegeben, die weit in die Zeiten der sozialreligiösen Vorläufer (etwa der Wiedertäufer) zurückreichte. So war Marx zwar nicht ein Gründer, doch ein sehr wichtiger Begründer dieser Strömung in seiner Zeit bis in unsere hinein. Mit seiner nicht anders als vulgär-materialistischen Ignoranz der jüdischen Religion, ihrer Bedeutung und ihres Sinnes, mit seiner haßerfüllten Gleichsetzung „Jude = Kapitalist = Jude“ hat er auch nachgewiesener-weise dem faschistischen Antisemitismus — auch wenn ihn der politisch als Rabbinerenkel Mordechai Marx ablehnte — viel Angumentik geliefert. Den letzten Wellenschlag des Marxschen Antisemitismus erleben wir heute nicht nur dort, wo seine Gesamtlehre zur Staatsphiloso-pbiie geworden ist, sondern — was mir bedenklich erscheint — in antiisraelischen und die faschistisch inspirierten El-Fatah-Terroristen ido-lisierenden jugendlichen Kreisen der „Neuen Linken“.

Und Marxens Verdammung des Judentums war nicht — wie Massiczek es gerne haben möchte — jüdische Selbstkritik und etwa derjenigen der alten Propheten gleichzusetzen. Sie war/die Fracht* vor etwas; das er nicht nur nicht kannte, sondern das er gar nicht kennen wollte. Er spürte, daß ihm diese Kenntnis die ganze moralische Last und Verantwortung aufgebürdet hätte, welche eben mit dieser Kenntnis kommt. Daß ihm und auch der Welt damit etwas Wichtiges und jetzt erst langsam Emholbares verlorengegangen war, ist eine andere Sache. Eine Ahnung erhalten wir davon, wenn wir Marxens Haltung mit der von etwa Moses Hess vergleichen, der wahrscheinlich ein besserer und originalerer Kommunist war als Marx, gleichfalls ein Kind der Aufklärung und dennoch der Kenntnis des und der Identifizierung mit dem Jüdischen zustrebend und schließlich einer der wesentlichsten Vorläufer des sozialistischen Zionimus. Massiczek möchte es gerne doppelt haben: Marx' Antisemitismus, sagt er, entstamme der christlichen Umwelt. Marxens Humanismus jedoch sei von ihm zwar „unbewußt“, aber doch vollwertig übernommenes jüdisches Erbe. Und wieder taucht der Vergleich mit den eifervollen altjüdischen Propheten auf. Den Alten stand wirklich kaum mehr zur Verfügung als ihr monotheistischer Glaubenseifer und die Arme und Beine und der speichelsprühende Mund, mit denen sie ihn verkündeten. Nicht so Marx. Ihm war vorausgegangen das neue Zeitalter wissenschaftlichen und humanistischen Denkens und Arbeitens. Da war eine lange Reihe von Denkern, fern von der dem vorherigen Denken eigenen Apodiktik, fähig, fremdes, anderes Denken zu akzeptieren und zu integrieren. Von Marx wurde — meiner Meinung nach zu Unrecht — behauptet, er habe den wissenschaftlichen Sozialismus in die Welt gebracht. Sicherlich aber hat er mit seinen Lehren und durch seinen persönlichen, politischen und philosophischer Stil eine neue Intoleranz und Apodiktik in die Welt gebracht, von denen noch die besten seiner Anhänger und Nachfahren bis in unsere Zeit hinein vergiftet werden. Langsam wird dieses Gift schwächer — wie etwa zuletzt in der CSSR. In die zurückgebliebenen Teile :1er Welt jedoch werden zugleich mit Bombern und Panzern die auf ihre Weise ebenso destruktiven Watten der Marxschen „Parteilichkeit“ geliefert. Und man komme mir nicht mit der Unterscheidung zwischen Marx und Marxisten. Er war mit mehr Wissen und Kaustik undEigenwi'Higkeit ausstattet, aber gerade 'hierdurch wurde er nichtsdestoweniger zum ersten aller Marxisten. Abgesehen von alldem ist es auch sonst schwer, heute schon zu sagen, daß mit Marx ein neuer Humanismus gekommen sei. Wir wissen derzeit noch nicht einmal, wieviel wir faktisch den vor-marxschen Denkern zu verdanken haben und wieviel oder wenig der von Marx an ihnen oft so einseitig vorgenommenen Synthetik und Interpretation. Toch

DER MENSCHLICHE MENSCH. Karl Marx“ jüdischer Humanismus von Albert Massiczek. Europa-Verlag, Wien. 654 Seiten. S 320.—.

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