Montaigne - © Foto: imago / Kharbine-Tapabor (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Michel de Montaigne: Für ein selbständiges Denken

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Michel de Montaigne (1533 ‒1592) zeigte den Fanatismus von Ideologien auf. Der Historiker Volker Reinhardt skizziert in s­einer Biografie Leben und Werk des Philosophen.

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Michel de Montaigne (1533 ‒1592) zeigte den Fanatismus von Ideologien auf. Der Historiker Volker Reinhardt skizziert in s­einer Biografie Leben und Werk des Philosophen.

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„Ich lebe zu einer Zeit, in der es durch die Zügellosigkeit unserer Bürgerkriege von unglaublichen Beispielen dieses Lasters der Grausamkeit nur so wimmelt“, schrieb Michel de Montaigne angesichts des Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Hugenotten im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Im Namen der Religion kam es zu Ausbrüchen von beispielloser Brutalität, die ganz Frankreich erfasste und Montaigne zutiefst schockierte: „Ehe ich es gesehen habe, habe ich mir gar nicht denken können, dass Menschen so barbarisch sein sollten, aus bloßer Mordlust einen Mitmenschen zu töten, ihm Glieder abzuhacken, mit allem Scharfsinn unbekannte Qualen und neue Todesarten auszudenken.“

Diesen höchst aktuellen Aspekt einer hemmungslosen Gewaltorgie, in der jegliche Humanität verlorengeht, stellt der in Fribourg lehrende Historiker Volker Reinhardt an den Beginn seiner Montaigne-Biografie, die den Titel „Philosophie in Zeiten des Krieges“ trägt. Dem humanistischen Denker ging es darum, die Borniertheit und den Fanatismus von Ideologien und Religionen aufzuzeigen, die er für die Gewaltexzesse verantwortlich machte.

Der überschätzte Mensch

In seinem umfangreichen Hauptwerk „Essais“ entwarf Montaigne ein Alternativprogramm zu den Diskursen des Hasses. Montaigne plädierte für eine gelassene Grundhaltung, die helfen sollte, die katastrophalen Verhältnisse seiner Zeit zu ertragen. Er verstand sein Lebensprojekt und seine Schriften als Experiment, das von Offenheit und Toleranz geprägt war. Das Ziel war die Ausbildung einer Lebenskunst, die sich nicht um zeitgenössische Konventionen kümmert. „Hast du dein Leben zu bedenken und zu führen gewusst“, schrieb Montaigne, „so hast du das Größte aller Werke vollbracht.“ Nach dieser Einleitung formuliert Reinhardt das Ziel seiner Studie: Er will einen Montaigne präsentieren, „der zwischen Zweifeln und Verzweiflung, Hoffnung und Enttäuschung nach Auswegen aus einer scheinbar ausweglosen Krise sucht und dabei zu Erkenntnissen vorstößt, die bis heute verstören können und gerade dadurch zum selbständigen und vorurteilslosen Denken zwingen“.

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