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Mißbräuche des Glaubens

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Instrumentalisierung religiöser Formsprache für Politik wurde in der Geschichte immer wieder versucht, zum Beispiel vom Nationalsozialismus.

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Instrumentalisierung religiöser Formsprache für Politik wurde in der Geschichte immer wieder versucht, zum Beispiel vom Nationalsozialismus.

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Die historischen Religionen, ob Judentum oder Christentum, in deren Raum wir uns hier bewegen, entstammen Zeiten hierarchisch gegliederter, patriarchalischer Gesellschaftsordnungen. Es genügt der Hinweis darauf, daß Gott in den heiligen Schriften und den Gebeten ganz selbstverständlich als König bezeichnet wird. So erhellend dieser Vergleich für frühere Generationen auch gewesen sein mag, so wenig ist er es weithin für die heutigen. Vielfach begegnet unserer Gesellschaft „königliches” Zeremoniell im konkreten Leben fast nur mehr im kirchlichen, besonders katholischen Raum.

Nicht zuletzt im Blick auf den Nationalsozialismus stellt sich die Frage, ob die Inszenierungen dieses totalitären Systems in ihrer Ähnlichkeit mit kirchlicher Formensprache mehr sind als Äußerlichkeit. Immerhin schreibt Adolf Hitler, daß er sich als Kind „oft und oft am feierlichen Prunke der äußerst glanzvollen kirchlichen Feste” berauschte und ihm der „Herr Abt als höchst erstrebenswertes Ideal erschien”.

Friedrich Heer nannte Hitler wohl nicht ganz zu Unrecht einen „atheistischen Katholiken”. Damit ist freilich ein Phänomen angesprochen, das keineswegs nur für den Nationalsozialismus typisch ist, nämlich das der politischen Instrumentalisierung reli -giöser Formensprache, losgelöst von den ursprünglich damit verbundenen Inhalten der Beligion, aus der sie stammen. Läßt sich aus der Benützung von bestimmten Formen tatsächlich eine wurzelhafte Gemeinsamkeit der Inhalte oder gesellschaftlichen Strukturen ableiten? Liegt eine solche Annahme nicht besonders nahe, wenn man an das gesellschaftliche Umfeld denkt, in dem die historischen Beligionen gewachsen sind?

Niemand wird wohl so naiv sein und übersehen, daß sich hier ein zentraler Bereich aktueller und fundamentaler Beligionskritik auftut. Diese Kritik kann sich ja darauf stützen, daß religiöse Formensprache nicht nur mißbräuchlich in den Dienst säkularisierter Politik gestellt wurde und wird, sondern auch direkt im Na-menGottes Macht ausgeübt wurde, in biblischen Zeiten durch die Mak-kabäer, später auch durch die Kirche.

Es bedarf jedoch keineswegs persönlicher religiöser Uberzeugung, um festzustellen, daß die biblische Beligion und die nachbiblische jüdische und christliche Tradition sich nie uneingeschränkt als Legitimation von Herrschaftsausübung instrumentalisieren ließen. Die jüdische Religion hatte es in dieser Hinsicht allerdings leichter als das Christentum. Während das Christentum als Mehrheitsreligion ständig dazu herhalten mußte oder sich freiwillig dazu bereitfand, totalitäre Herrschaft zu legitimieren, steht die jüdische Religion mit der Gründung des modernen Staates Israel zum ersten Mal seit der Antike wieder vor diesen Problemen.

Nicht zuletzt die prophetischen Bücher der Bibel, die als „Heilige Schrift” normativ für die biblische Religion sind, geben aber der jüdischchristlichen Tradition eine machtkritische Tendenz, die gegen theokrati-sche und monokratische, aber auch demokratische Herrschaft gerichtet sein kann.

Die biblische Religion ist in allen ihren Varianten (vom Judentum bis zum Islam) durchaus von dem Bestreben gekennzeichnet, die Gesellschaft zu gestalten, Maßstäbe an sie anzulegen und nicht nur auf die Befriedigung individueller geistlicher Bedürfnisse beschränkt zu bleiben. Das ist dann freilich auch die Bedingung der Möglichkeit des Einsatzes biblischer Beligion zur Legitimation von menschlicher Zwangsherrschaft, die unter Umständen auch von religiösen Autoritäten ausgeübt wird.

Um solche Legitimation sind jedoch keineswegs nur religiös motivierte Herrschaftssysteme bemüht. Die Ursache dafür ist der Umstand, daß religiöse Motivation, ob man das nun religiös oder psychologisch erklärt, in tiefere Seelenschichten reicht als rein innerweltliche. Genau das, nicht etwa seine katholische Grundeinstellung, war bei Hitler für die politische Instrumentalisierung religiöser Ausdrucksformen bestimmend.

Er will der „marxistischen Weltan-schauung” seine „völkische Weltanschauung” als eine Art Dogma gegenüberstellen, da er die gesellschaftliche Ordnungsmacht der Religion, so wie er sie sieht, gleichsam kopieren will: „Auch hier hat man von der katholischen Kirche zu lernen Letztlich sind die vielfältigen nationalsozialistischen Inszenierungen un-, ter diesem Apekt zu sehen. Dabei ist eine gewisse mystifizierende Überschätzung kirchlicher Macht nicht zu verkennen, wie das für Randschichten der katholischen Kirche typisch ist.

In analoger Weise haben die Staaten des realen Sozialismus kirchliches Ritual beispielsweise bei der Jugendweihe kopiert. Das Mausoleum am Roten Platz in Moskau mit Lenins einbalsamiertem Leichnam knüpfte offenkundig an (ost)kirchliche Formen der Heiligen- und Reliquienverehrung an und stellte sie in den Dienst des Personenkultes. Massenveranstaltungen im kommunistischen Nordkorea sind noch allemal die beste zeitgenössische Illustration nationalsozialistischer Manipulationsversuche an der Volksseele. Der in beiden Fällen gleiche unmittelbare Zweck, nämlich der der Herrschaftsausübung, soll durch die Instrumentalisierung von aus der Religion bekannten Formen erreicht werden, eine quasireligiöse Identifikation mit Inhalten, die selbst nicht religiös sind.

Aber für jede Religion sind die von ihr benützten sprachlichen und kultischen Ausdrucksformen immer nur Symbol und Gleichnis einer ganz anderen Wirklichkeit. Bei der politischen Instrumentalisierung gilt 'jedoch das genaue Gegenteil: Die benutzte pseudoreligiöse Formensprache soll eine innerweltliche Wirklichkeit manipulativ in die Transzendenz erheben und so eine für den religiösen Bereich charakteristische existentielle Identifikation der Individuen mit banalen Inhalten erreichen. Die faktisch so enge^ Verquickung von Beligion, Symbol und Macht gibt scheinbar die Berechtigung, das Kind mit dem Bade auszugießen und den Katholizismus insgesamt als faschistoid zu denunzieren, indem man das totalitäre Denken Adolf Hitlers zum Folgeprodukt seines ursprünglichen Katholizismus erklärt.

Moderne Christen, nicht zuletzt Katholiken, sind allerdings höchst verwundert, daß ihr Bekenntnis die Wurzel einer sie selbst mit Ausrottung bedrohenden totalitären Ideologie gewesen sein soll. Für das Christentum ins Positive gewendet, läßt sich diese Polemik jedoch als Mahnung verstehen im Hinblick auf die Gratwanderung zwischen katholischer Bevormundung der Gesellschaft im Namen der Totalität Gottes einerseits und der totalen gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit des Christentums anderseits. Trotz des daraus resultierenden oftmaligen Sündenfalls in der Kirchengeschichte erwies sich aber letzten Endes die Totalität des biblischen Gottes nicht als Stütze, sondern vielmehr als permanentes Korrektiv menschlichen Totalitätsanspruches.

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