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Mitten im zwanzigsten Jahrhundert

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Und gerade mit dieser vielfältigen und angstvollen Suche nach dem richtigen Begriff vom Priestertum hat sich die Geistigkeit unserer Zeit am meisten beschäftigt, und dorthin wandten sich die Hoffnungen nicht nur der Gläubigen, sondern so vieler klar sehender Menschen aus dem Bereich der Laien und des zivilen Lebens besonders während und nach den tragischen Erlebnissen der beiden Kriege: ein wahres, ein gutes, ein heiliges Priestertum könnte die Welt retten. Die Sendung des Geistes ist unbestreitbar. Selbst der Atheismus schafft sich Kämpfer, die sich aus ideellen Gründen ihrer Sache widmen. Die Hingabe der Brüder zum Wohle ihrer Mitbrüder ist die einzige Triebfeder, die die Welt wieder erheben kann; die Idee des Opfers und der Erlösung ist auch heute, mitten im Triumph des Materialismus, der Leuchtturm, nach dem sich jede echte Anstrengung auf moralischem und sozialem Gebiet richten muß. Die Kunst, die erhabensten und universellsten Lehren zu verkündigen und sich, kraft dieser Lehren selbst, zu den einzelnen leidenden Menschen, zu den Armen, den Waisen, den Schuldiggewordenen, den Verzweifelten niederzubeugen, diese Kunst wird auch heute noch sehr geeignet gehalten, dem Humanismus der Gegenwart einen echten Sinn des Lebens, des Adels, der Hoffnung zu verleihen: es ist die Kunst des Priestertums. Und gewiß — auch die Fähigkeit, die unaussprechbaren Wahrheiten auszudrücken, die uns umgeben, sich dem das Universum einhüllen- den Mysterium zu nähern, ohne es zu profanieren, den Dingen Bedeutung, den Geistern innere Sprache, der Qual, dem Schmerz, der Menschenliebe bebende Stimme zu schenken: Das Gebet mit einem Wort, das wahr ist wie das Licht, das Poesie und Leben ist wie das Licht — auch das ist Priestertum, und auch das bleibt noch lebendig mitten im zwanzigsten Jahrhundert.

Was ist dann also das Priestertum?

Der umfangreiche Stoff kann auf drei Hauptpunkte reduziert werden, auf die er sich logisch hinordnet. Zum ersten — nach dem Grade der Wichtigkeit — wird der Priester als der Mann Gottes betrachtet. Er ist ein Menschenwesen, dessen Leben darin besteht, Gott zu suchen, sich an Gott zu berauschen, Gott zu studieren, zu Gott zu sprechen, von Gott zu sprechen, Gott zu dienen. Er ist der religiöse Mensch, ist der geheiligte Mensch. Er ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen, er ist die Brücke; er vertritt Gott vor den Menschen und die Menschen vor Gott. Dies ist die erste Quelle, aus der Lehren und Kommentare aufsteigen. Sie haben die wundervolle Frische der ewig lebendigen und niemals genügend erforschten und verstandenen Dinge.

Von der Aussonderung im Religiösen wird dann zu jener in bezug auf die Moral übergegangen. Der Priester soll ein außerordentlicher Mensch sein. Gewiß ist es nicht so, daß die wesentliche Wirkung seines Priesteramtes von seinen Qualitäten, seinen Tugenden abhängt, aber seine Funktionen, seine Pflichten sind solcher Art, daß sein ganzes Innenleben, seine Seele, alle seine Handlungen damit übereinstimmen müssen. Der Priester soll ein Heiliger sein. Was das für eine Heiligkeit ist, die der Aüsübung des Priesteramtes entspricht, ist eine Frage von großer Wichtigkeit und nicht geringerer Kompliziertheit. Ermahnungen, Lehren, Ratschläge, Warnungen vervielfachen sich, um der Gestalt des Priesters höchstes moralisches Relief zu geben. Die Nachfolge Christi, oder besser die Assi- milierung an Ihn macht diesen Teil der Ausformung des Priestertums reich an mystischen Werten.

Und nun zum dritten, der sozialen Aussonderung des Priestertums. Priestertum ist sozialer Dienst. Er ist für die anderen da. Der Priester ist ein Organ des Mystischen Leibes, bestimmt, Gnaden und Lehre auszuteilen;, er ist der Führer zum Heil. Priestertum und Egoismus sind antithetische Ausdrücke. Priestertum und Caritas fallen zusammen. Die Ausdrücke, die den Priester bezeichnen, fließen endlos aus der Feder: Apostel, Missionar, Vater, Hirte, Meister, Bruder, Diener und Opfer.

Das anziehendste und schwierigste aller Unternehmen, das, die anderen zu formen, ihnen eine bestimmte Art und Weise zu denken, zu leben, zu handeln, zu fühlen einzuprägen, ist die Sendung des Priestertums. Dazu gehört eine außerordentliche Fähigkeit, sich zu unterscheiden und im Volk aufzugehen, Einfluß zu nehmen und Geduld zu üben, zu sprechen und zuzuhören. Der Priester ist Licht, ist Salz der Erde. Das heißt, er ist ein aktives, wirkendes Element; mit unendlichem Feingefühl dringt er in die Seelen ein, um sie zu befreien, sie loszulösen, sie in der Einheit Christi zu einen. Wenn ein Priester dies nicht bewirkt, was ist er dann? Schon aus diesem Grunde muß ihm überlegene Geschicklichkeit eignen. Ein Künstler, ein Facharbeiter, ein unentbehrlicher Arzt, ein Experte für die feinsten und tiefsten Erscheinungsformen des Geistes; ein Mann der Gelehrsamkeit, ein Mann des Wortes, ein Mann von Geschmack, von Takt, von Sensibilität, von Feinheit, von Kraft. Wieviel Arbeit an sich selbst muß ein Priester leisten, um der Arbeit an anderen fähig zu werden. Und all dies in der Einfachheit der Wahrheit, in der Demut der Liebe, ohne täuschende Kunstfertigkeit, ohne feige Schüchternheit! Hüten muß sich der Priester, wenn überhaupt, nur davor, eigennützig zu sein oder zu scheinen, zu empfangen, ohne selbst zu schenken, zu befehlen, ohne zu dienen. Eine schwierige, eine ungemein schwierige Kunst; das oberste Lehramt der Kirche gewinnt daraus unzählige und unvergleichliche Ideen.

Wie es bei einer in die Tiefe gehenden Prüfung der verschiedenen Aspekte des Christentums häufig vorkommt, wird man auch bei dieser Analyse des Priestertums den Eindruck des Unerreichbaren haben. Steht das Ideal zu hoch? Hat der Mensch zu kühn gewagt? Wird er sein Ziel verfehlen? Ja, das ist möglich, und es ist schrecklich: Nichts kommt der Vollkommenheit so nahe wie das Lächerliche; nichts entspricht ihr so sehr in der Nachäffung wie das Monströse; und unglücklicherweise ist hur sehr wenig nötig, um-aus großer Hübe zu fallen. Doch wäre das Bild nicht vollständig, wollte man nicht auch die Kräfte angeben, die imstande sind, das Wunder des Priestertums hervorzubringen: die eine, demütig und kühn zugleich, die sich Berufung nennt, das heißt Seelenqual, niemals erlöschende Liebe, Gewißheit mitten in der Schwäche, ein befreiender innerer Befehl. Die andere Kraft, unsagbar und mächtig, die die bildsame Masse des Menschenwesens erfaßt und ihr ein neues Siegel aufdrückt, sie zu transzendenten Gewalten erhebt: sie nennt sich Gnade, jene Gnade, die durch ein besonderes Sakrament, die Priesterweihe, feierlich verliehen wird.

Dann ist der Mensch nicht mehr er selbst; er ist ein Instrument, ein Organ. Die Kirche besitzt ihn. Der Priester ist der Mann der Kirche; er ist ihr Diener; er bewahrt und verbreitet ihre Lehre; er läßt aus ihr die Schätze der Gnade aufquellen und teilt sie aus; er stimmt das Gebet an, damit das Volk es wiederhole und darauf antworte.

Wieder einmal wird die wundervolle Überraschung vermittelt, hinter der geringgeschätzten und abgebrauchten schwarzen Soutane der katholischen Priesterschaft eine einzigartige Welt zu entdecken, eine Welt voll Erhabenheit und Heldentum, eine Welt, die immer im Werden ist, wie es der Vollkommenheit in diesem Erdenleben bestimmt ist, eine übermenschliche und sehr menschliche Welt; eine äußerst ideelle und äußerst konkrete Welt.

Und zu dieser Überraschung kommt noch eine andere: Man begegnet den Päpsten, den großen Lehrmeistern, die in unablässiger Treue, wie es im Brauche Roms liegt, in einfachem und selbstverständlichem Tonfall erhabene und schwerwiegende Worte sprechen. Die Päpste laden die reinen und großmütigen Seelen der jungen Menschen ein, ihnen zu folgen, ihnen zu helfen, ihr Heilswerk fortzusetzen in dieser skrupellosen und doch nach Gott dürstenden modernen Welt…

(Aus: „Probleme unserer Zeit” von Paul VI., Verlag Herold, Wien- München, 160 Seiten, Preis 48 S.)

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