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Nach Darwin …

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DAS STAMMESGESCHICHTLICHE WERDEN DER ORGANISMEN UND DES MENSCHEN. Band I: Deutung und Bedeutung der Abstammungslehren. Herausgegeben von Dr. Adolf Haas, Pullach bei München. Verlag Herder, Freiburg. Mit 16 Bildtafeln, zahlreichen Abbildungen und Tabellen im Text. Großoktav, 532 Seiten, Leinen. Preis 36 DM.

Im Jahre 1959 gedachte die wissenschaftliche Welt, besonders in England und Nordamerika, ' der 100. Wiederkehr des Erscheinens von Darwins Hauptwerk „Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein“. Das vorliegende Werk war der erste deutsche Beitrag zu diesem Jubiläum. In ihm haben sich eine Reihe bekannter Wissenschaftler die Aufgabe gestellt, Darwins nicht nur zu gedenken, sondern seine Lehre und ihre Weiterbildung, die nach einem Worte Dobzhanskys der Formulierung Darwins ungefähr so ähnlich ist wie die moderne Physik der Theorie Newtons, auch zu bedenken. Dieses Werk ist der Versuch, das Entwicklungsproblem in größter Tatsachennähe und vom Boden unserer heutigen Kenntnisse aus in möglichst umfassender Weise darzustellen. Aufs Ganze gesehen imponiert nicht nur die gewissenhafte Verarbeitung einer immensen Literatur, sondern auch die kritische Haltung gegenüber den extremen Entwicklungstheorien. Herausgeber und Mitarbeiter stehen bewußt auf. dem Boden der großen abendländischen Tradition und sind bestrebt, die Ergebnisse einer hundertjährigen fleißigen Gelehrtenarbeit in allen Zweigen der Biologie und ihren Nachbardisziplinen in die großen naturphilosophischen und theolog.schen Zusammenhänge einzubauen.

F. Lotze (Münster) gibt in einem ersten Beitrag einen Überblick über die Geschichte des organischen Lebens, so wie es uns durch den Fossilinhalt der Gesteinsschichten überliefert ist. Hier sind nicht nur die geologischen Altersbestim mungen nach den modernsten radioaktiven Berechnungsmethoden und die allgemeinen Gesetzlichkeiten der Lebensgeschichte mit fachmännischer Kompetenz behandelt, sondern es ist auch klar zwischen den durch Fossilfunde belegten Tatsachen und der Deutung dieser Tatbestände unterschieden. Besonderer Beachtung ist hier wohl die Feststellung wert, daß nach Lotze — und hierin weiß sich dieser mit vielen Biologen und Paläonthologen einer Meinung — das Ausleseprinzip bei aller Bedeutung, die ihm sicherlich zukommt, nicht in der Lage sei, die gesamte Gestaltenfülle der Natur zu erklären.

Die folgenden zwei Beiträge von Joh. Haas (Berlin) befassen sich mit dem Problem der Biogenese und den bisher bekanntgewordenen cytologischen Mechanismen der Evolution, der Chromosomen- und Genommutation: Sein Bericht erweist sie als Faktor der Mikroevolution, die sich bei Tieren innerhalb der Grenzen der Gattung, bei Pflanzen in denen der Familie hält; „sie bringen also keine neuartigen Organisationsformen hervor, sondern immer nur Abwandlungen der schon bestehenden“.

Nach jahrzehntelangen, heftigen Auseinandersetzungen über Inhalt und Geltung des von Haeckel aufgestellten und von den frühen Evolutionstheoretikern so hoch geschätzten „biogenetischen Grundgesetzes" scheinen nunmehr die Akten endgültig geschlossen zu sein. Wie P. Overhage (Koblenz) in einem schönen, zusammenfassenden Bericht dartut, werden in der Keimesgeschichte gar keine erwachsenen Ahnenstadien wiederholt; „wenn überhaupt Spuren der Vergangenheit da sind, so besagen sie embryonale Ähnlichkeiten“. Im übrigen könne von einem Naturgesetz überhaupt keine Rede sein.

Der weitaus größte Teil des Werkes ist dem Problem der Abstammung des Menschen gewidmet. Während Overhage in zwei Beiträgen über den fossilen Befund und die verschiedenen Theorien der Anthropogenese referiert — die Literaturhinweise umfassen nicht weniger als zwölf Seiten! — beleuchtet Karl J. N arr (Göttingen) die Abstammungsfrage von der Urgeschichte her. Von hier aus gesehen tritt uns der Mensch, über dessen gestaltliche Herleitung von vorzeitlichen Primatenformen es bis heute noch immer keine einigermaßen einheitliche Auffassung gibt, von Anfang der Eiszeit an als „homo faber“ und damit als „homo sapiens" entgegen.

Den krönenden Abschluß des Werkes bildet die Arbeit des Herausgebers Adolf Haas (Pullach): „Naturphilosophische Betrachtungen zur Finalität und Abstammungslehre.“ Die besondere Bedeutung dieses Beitrages liegt doch wohl in der klaren Analyse des finalen Prozesses und in dem überzeugenden Nachweis, daß die Finalbetrachtung der Natur und ihrer Evolution die Tatsachenforschung und Kausalanalyse keineswegs ausschließt, ja vielmehr die volle Erkenntnis aller Wirkursachen zur Voraussetzung hat und anstreben muß. „Finalität der Natur ist ohne Wirkursachen nicht zu denken, da sie sich nur in diesen darstellt.“ Nach diesem Tatbestand erweist sich aber die gerade heutzutage wieder so vehemente Polemik gegen eine teleologische Naturbetrachtung als durchaus gegenstandslos. Ja, der gewichtigste Einwand gegen die neodarwinistische Theorie von der additiven Typogenese erwächst dieser gerade von daher, daß sie die Zielstrebigkeit der belebten Natur, die sich doch jedem unvoreingenommenen Beobachter unwillkürlich aufdrängt, überhaupt wegdisputiert oder als nur scheinbar deklariert.

Dieser letzte Beitrag über die Frage nach der Finalität in der Stammesgeschichte leitet indessen schon über zu einem zweiten Band, der hauptsächlich philosophische und theologische Probleme der Abstammungslehre behandeln soll.

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