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Nachahmer oder Neuerer?

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Der Verfasser des folgenden Artikels gehört zu jenen Künstlern, die das kirchliche oder doch religiöse Thema in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen; und man kann ohne viel Umschweife sagen, daß Professor Hauser zugleich einer der wenigen österreichischen Maler ist, die meinen, daß die modernen Kunstsprachen auch im Raume der christlichen Kunst Gültigkeit haben und, mehr noch, ohne weiteres der Verständigung auch mit dem Laien dienen könnten. Professor Hauser mag die Situation immerhin von seinem subjektiven Standpunkt aus betrachten. Doch ist zu bedenken, daß er reiche und genaue Erfahrungen zu diesem Thema gesammelt hat. „Die österreichische Furche"

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Der Verfasser des folgenden Artikels gehört zu jenen Künstlern, die das kirchliche oder doch religiöse Thema in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen; und man kann ohne viel Umschweife sagen, daß Professor Hauser zugleich einer der wenigen österreichischen Maler ist, die meinen, daß die modernen Kunstsprachen auch im Raume der christlichen Kunst Gültigkeit haben und, mehr noch, ohne weiteres der Verständigung auch mit dem Laien dienen könnten. Professor Hauser mag die Situation immerhin von seinem subjektiven Standpunkt aus betrachten. Doch ist zu bedenken, daß er reiche und genaue Erfahrungen zu diesem Thema gesammelt hat. „Die österreichische Furche"

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Stimme aus Kakanien: „Wir haben keine Möglichkeit, zeitgemäße christliche Sakralkunst zu schaffen, weil wir keine — oder fast keine — wirklich bedeutenden Künstler haben (im Gegensatz zu Frankreich). Daher lieber keine moderne kirchliche Kunst, keine Glasfenster, keine Fresken, keine Mosaiks ... non sumus digni..."

Stimme aus Kitschi6tan; „Wenn wir uns nur brav an das Vergangene halten, im Notfall ein Kompromiß mit einer gemäßigten Moderne zu schließen bereit 6ind — dann haben wir eine christliche Kunst, die gewiß in den breiten Massen des christlichen Volkes Ankiang und Verständnis finden wird .. .

Mit diesen beiden Stimmen dürfte das Problem der sakralen Gegenwartskunst begrenzt sein. Zwischen der Meinung des Kakanen und der des Kitschistanen (wie wir die beiden symbolhaft nennen wollen) verkümmert in Österreich das, was man gemeinhin eine zeitnahe, selbständige und ehrlich suchende religiöse Kunst christlicher Prägung nennen kann. Oder sagen wir es weniger pessimistisch: ringt diese Kunst um ihre Existenz, ihre Sicht- barwerdung. Wenn die Stimme aus Kakanien, bitter ernst und verantwortungsbewußt — soweit es um ihre eigenen Gedanken geht und ihre eigenen Zweifel —, keinem oder fast keinem unserer Künstler die Fähigkeit zuerkennt, echte, zeitnahe Werke für die Gemeinschaft der Gläubigen zu schaffen, so wäre es sicherlich unrecht, solchen verzweiflungsvollen und schmerzlichen Pessimismus, solchen mangelnden Glauben an die Potenz unserer Kunstschaffenden, als unberechtigt und maßlos übertrieben abzutun. Gewiß: es wäre leichter, eine Entgegnung zu finden und entsprechend zu formulieren, käme nicht der Vertreter Kitschistans, nicht minder überheblich und selbstsicher (und auch sicher eines großen und in kirchlichen Fragen maßgebenden Anhangs), mit einem großen Kochlöffel angerückt, mit der Absicht, aus ebenso notwendigen wie grundsätzlichen Gegensätzen und sachlichen Gegnerschaften rein künstlerischer Natur eine Einheitsbrühe zu rühren, die — ein wenig gewürzt mit dem dekorativen Abfall moderner Kunst — eine feinere Art des gängigen Devotionalienkitsches darstellt.

In ihren praktischen Auswirkungen (und um diese soll es sich hier handeln, nicht etwa um den Versuch einer Deutung der zwei Stimmen, die nicht personal, sondern als Kollektivaussagen gemeint sind) — verhindern beide eine organische und kunstbiologisch notwendige Entwicklung der sakralen Kunst.

Wird, seiner Überzeugung gerecht und seiner fast hoffnungslosen Trauer ent-

sprechend, der Kakane durch seinen — man wäre versucht zu sagen: lieblosen Radikalismus und eine eher verachtete als geübte Diplomatie auch das wenige nicht zur Tat kommen lassen, was seine harte Kritik anerkennt, so wird anderer- sets der Kitschistane mit seiner routinierten Diplomatie und eingedenk der unleugbaren Übermacht seiner Anhänger leicht erreichen (mit oder ohne bewußte Absicht), daß aus künstlerischem so gut wie auch religiösem Verantwortungsgefühl entstehende, notwendige Experimente als nicht zweckgemäß und unverständlich abgelehnt werden; die Neuerer also den Epigonen weichen müssen.

Gibt es aber wirklich außer den beiden Stimmen, der radikalen aus Kakanien und der allzu billigen aus Kitschistan, nur jenes Kompromiß, das als äußerstes Entgegenkommen letztere anerkennt: jene laue Modernität? Gibt es nur ein Verzichten, soweit es sich um die praktische Auswirkung moderner Kunst auf den sakralen Bereich handelt?

Oder gäbe es vielleicht andere Wege, etwa den einer „organisierten Kunst"? So unwesentlich für das eigentlich künstlerische Schaffen jegliche Organisation ist, so ist doch zuzugeben, daß zur Verwertung und Verbreitung der Resultate dieses Schaffens sowie einer gewissen Freimachung der Künstler von übermäßig drückenden Sorgen wirtschaftlicher'Natur Organisationen recht gute Wirkungen haben mögen. Eine solche gewiß segensreiche Tätigkeit muß sich aber in das Gegenteil wenden, sobald Organisationen in den künstlerischen Bereich eingreifen. Wenn dann unter der Nützlichkeit organisatorischer Bestrebungen die wesentlich künstlerischen leiden müssen, wenn künstlerische und unabänderliche Gegensätze vertuscht und überdeckt werden sollen — etwa durch den Versuch, alle auf einen Nenner zu bringen, so muß die Kunst selbst leiden — mag auch der gemeinsame Nenner „Christliche Kunst" heißen. Denn eine solche bedürfte eher der Organisation, damit sie durch möglichst viel Experimente zu Ergebnissen gelange, nicht, aber, daß Ergebnisse ohne vorhergehende Experimente vorgetäuscht werden, die doch nicht mehr sind als zweckdienliche, durch nichtkünstlerische Erwägungen bedingte Kompromisse. Daher: organisierte Kunst, besonders christliche Kunst, nur soweit, als es der Organisation gelingt, Hindernisse wegzuräumen, welche eine echte Entwicklung verzögern oder hemmen.

Und wie wäre es, beschritte man den Weg einer systematischen Aufklärung, einer Näherbringung der zeitgemäßenAusdmcksjcunst an alle jene, welche durch ihr Amt berufen wären, den lebendigen Glauben dort, wo er sich in der Gegenwartskunst spiegelt (heute öfter als früher!), zu fördern und so jenen „Historismus“ abzulegen, den die Feinde der Kirche so gerne als Beweis dafür anführen, daß die Kirche etwas „nur mehr Historisches" ist, veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Eine solche Näherbringung von Laienkünstlern und priesterlichen Kunstlaien wäre gewiß segensreich. Aber: gerade jene aufgeschlossenen, das Lebendige bejahenden Seelsorger haben ja keine Zeit... Dennoch wird dieser Weg immer wieder — trotz Mißerfolge und Enttäuschungen für die modernen christlichen Künstler, beschritten werden müssen. Ohne Vorurteil auf beiden Seiten —r und ohne Lieblosigkeit auf beiden Seiten ...

Gewiß, die Stimme aus Kakanien wird einwenden, daß tiefere Gründe die Ablehnung bedingen und daß der Mangel an wahrer Modernität bei uns, in unserem Lande, auch ein richtiges Näherbringen unmöglich mache — außer man ziehe fremde Künstler und ihre Werke heran.

Und die Stimme aus Kitschistan wird warnen und abraten. Wird mit alten, zur gangbaren Phrase abgesunkenen Argumenten aufwarten und nicht vor Scherzen zurückschrecken, sobald damit den Neuerern geschadet werden kann. Ja, auch über die billigen Scherze hinausgehend, wird Kitschistan an Lichtbildern demonstrieren, daß modeme Kunst gleich unchristliche, unsittliche Kunst sei. Die Kunst aber, die von Kitschistan bejaht wird, ist jener ähnlich, wie sie in totalitären Ordnungen üblich ist: allgemein zugänglich, Herz und Gtmüt bewegend, gefällig und — werbekräftig.

Sicherlich wird Kakanien Wertvolles über die sakrale Kunst sagen können, Aber gerade weil die Hinneigung zur Kunst als schöpferisches Phönomen für eine Stimme aus den tragischen Düsternissen Kakaniens keine geringe ist, wird ihre Aussage schwer und nur wenigen verständlich sein. Denn Kunst ist nun einmal nichts „Leichtes" und daher auch nichts, das mit einigen wohlbekömmlichen Phrasen erklärt, entzaubert und verall- tagt werden kann. Da hat es die Stimme aus Kitschistan natürlich leichter, sie vermag nur zu verständlich zu sein.

Dennoch wird, zwischen jenen beiden Extremen, sich verwahrend gegen den Unglauben an eigene Leistungen, gegen eine etwas überhebliche Kritik (bei beiden Stimmen bemerkbar...) und gegen die Ablehnung alles dessen, was mit den Bestrebungen und Experimenten der Gegenwartskunst zu tun hat, eine wirkliche, lebendige, nicht in einem trägen Konservativismus erstickende, nicht in merkantiler Gefallsucht geschäftige, sondern eine im künstlerischen Bereich bleibende christliche Sakralkunst sich entwickeln. Sie wird das Experiment nicht scheuen dürfen. Sie wird keine unechten Ergebnisse Vortäuschen dürfen. Sie wird auf schnelle und allgemeine Erfolge verzichten müssen und ebenso auf den Beifall einer durch Devotionalienkitsch verbildeten Menge. Nicht verzichten kann sie aber auf kongeniale Auftraggeber. Auf jene wenigen geistlichen Mitkämpfer, jene mutigen Pfarrherren, irgendwo in den einfachen Kirchen an der Peripherie der Stadt, oder irgendwo auf dem Lande, wo die Bevölkerung noch nicht völlig dem „religiösen“ Kommerz anheimgefallen sein mag. Am Fuße des Mont Blanc steht die bereits weltbekannte Kirche von Assy. Einem tapferen Priester gelang es dort zu zeigen, daß zur größeren Ehre Gottes auch die Künstler von heute, nicht nur die Epigonen, zu wirken vermögen. Solche mutige, zeitaufgeschlossene und kunstwissende Pfarrherren braucht auch unser Land.

Aber nicht solche, die gleich wieder eine Halbheit wollen, ein Kompromiß, eine laue Kunst, ein bloß aufmodemisier- tes Epigonentum. Epigonen mögen ihre Bedeutung haben — aber sie verhindern eine lebendige Entwicklung. Tradition ist einem Medikament gleich, das, übermäßig dosiert, leicht letal wirken kann. Kakani- scher Klein- und Schwermut, sicherlich zugehörig dem Geheimnis Kunst, darf nicht lähmend wirken. Aber noch gefährlicher ist der feuchtfröhliche Optimismus aus Kitschistan, denn er wird eher das Unkraut düngen als die edlen und daheT seltenen Pflanzen im Garten der Kunst..,

Was aber notwendig ist: es darf die Frage der religiösen, der sakralen christlichen Kunst nicht mehr beiseite geschoben werden, wenn auch Ahnungslosigkeit und Bequemlichkeit dazu verführen mögen. Es darf das Problem einer modernen christlichen Kunst nicht als lästig aus Programmen gestrichen werden, in die sie schon deswegen gehört, weil sie Spiegelbild war und ist d e r religiösen Situation und ihre Sichtbarmachung der lebendigen und der absterbenden Kräfte, vielleicht wesentlicher, als manche Seelsorger meinen. Epigonenkunst in der Kirche ist eine eindringliche Warnung. Sie bedeutet Schwäche — und Agonie.

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