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Natur und Ubernatur

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NOVELLEN UND ERZÄHLUNGEN. Von Stefan Andres. Piper-Verlag, München, 1962. 437 Seiten. Preis 9.80 DM. - STEFAN ANDRES. Eine Einführung in sein Werk. Piper-Verlag, München, 1962. 148 Seiten. Preis 4.80 DM.

Im Rahmen der wohlfeilen „Bücher der Neunzehn“ ist jetzt ein Auswahlband der Erzählungen und Novellen Stefan Andres' erschienen, der dessen zahlreiche Leserfreunde begeistern wird. Andres gelingt ja — ganz im Gegensatz zu den oft recht locker komponierten großen Romanen — gerade in der „kleinen Prosa“ häufig eine vollkommene Konzentration ohne daß diese strenge Formgebung das freie Spiel seiner reichen Phantasie und Imagination beeinträchtigt. Die ganze Fülle des Daseins, eine unmittelbare, naive Weltfreude, in der doch immer die Abgründigkeit und Boden-losigkeit der menschlichen Existenz transparent wird, spiegelt sich in diesen Novellen und Erzählungen. Erstaunlich die Spannweite und Räume, die in ihnen aufscheinen, die gleich starke Bindung Andres' an seine moselländische Heimat und den italienischen und griechischen Süden. Typisch für ihn ist die Polarität zwischen sehr gegensätzlichen Elementen, das Nebeneinander von Natur und Übernatur. Da ist von schuldhaften Verstrickungen, von den Untiefen des menschlichen Wesens die Rede, wie sie sich nur dem christlichen Lebensgefühl stellen. Alles drängt auf eine metaphysische Pointe, auf existentielle Entscheidungen hin, ohne daß der religiöse Untergrund seines Werkes Andres' Künstlertum und dessen literarischen Rang zu schmälern vermag; eine Gefahr, an der so viele „christliche Autoren“ scheitern. Die Spannung zwischen natürlicher Diesseitsverhaftung und christlich begriffener Metaphysik wird gewiß in seinen Gestalten sichtbar, aber Andres vereinfacht weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Er überläßt seine Figuren dem quellenden, geistdurchtränkten Leben, gewährt ihnen die innere Freiheit einer organischen Entwicklung, weil er nicht vom Fall, sondern von der Gestalt her konzipiert. So vermag er die Vielschichtigkeit des Lebens einzufangen und es in seiner Tiefe auszuloten. Das läßt diese Novellen und Erzählungen zu einem immer neuen, köstlichen Erlebnis für den Leser werden.

Sehr dankenswert ist auch die von Andres' Verleger, Piper, publizierte Einführung in sein dichterisches Werk, mit Beiträgen verschiedener Autoren, unter denen die Essays von Hans Hennecke und Karl Josef Hahn besonders aufschlußreich sind. Der im allgemeinen so kritische, vorwiegend um die Interpretation avantgardistischer deutscher und ' ausländischer Autoren bemühte Hennecke erweist in seinem Beitrag das sichere Einfühlungsvermögen in die reiche Gedanken- und Formwelt Andres', deren Deutung, wie Hennecke mit Recht feststellt, gerade von den repräsentativen deutschen Literaturkritikern bisher vernachlässigt wurde.

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