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Neue Stifter-Literatur

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Die entscheidende Bedeutung von Enzingers Buch liegt in der erstmaligen gründlichen Darstellung der Einflüsse, die Stifter der Schule (Kremsrnünster und Wien) verdankt. Stifter war Zögling und Schüler der Benediktiner in Kremsmünster. Die Frage, wieviel benediktini6che, josephinisch-aufklärer:6che, ja überhaupt katholische Elemente 6ich in Stifter vermischen, ist für die Stifter-Forechung von hoher Bedeutung. Damit ist eine Frage angeschnitten, die auch Richard Newald in seiner vorzüglichen „Geschichte der deutschen Literatur“ gelegentlich Simon Rettenpachers stellt. Newald findet den gleichen christlichen Humanismus benediktinischer Prägung bei Rettenpacher, dem Kremsmünster Lehrer, Dichter und Chronisten, wie auch bei Stifter.

Wichtig vor allem scheinen mir die Darlegungen Enzingers über die philosophischen Studien Stifters, die klar die „Verquickung von Religion und neuerer Philosophie aufdecken, deren Kenntnis vielleicht manches Rätsel bei Stifter zu lö6en imstande sein dürfte“. Ein überzeugendes Quellenmaterial legt die Pädagogik der katholischen Aufklärung, deren Schüler Stifter ist, dar. Sowohl Leibniz-Wolff wie auch Kant waren die führenden Geister dieser spezifisch österreichischen Form der Aufklärung. Bisher sei Stifter bald als Katholik, bald als Humanist bezeichnet worden. Hier betont Enzinger, daß „beides möglich sein kann“. Zu grundsätzlicher erfreulicher Übereinstimmung mit meinen Arbeiten zur österreichischen Ideengeschichte sieht auch Enzinger, daß Stifter an der „katholischen Lehre von der Vorgeordnetheit alles Seins“ festhält, wie ich dies für andere österreichische Dichter in meinem Aufsatz über „Ontologie und Monadologie in der österreichischen Literatur des 19. Jahrhunderts“ behauptet habe. Vollauf zu bejahen ist auch Enzingers Auffassung von Stifters problematischer Einstellung zum Liberalismus oder, genauer formuliert, seiner Bekämpfung des Radikalismus (vergleidie meine Einleitung zu „Um Zeitliches und Ewiges“, Wien 1948).

Enzingers Werk ist ein hochbedeutsamer Vorstoß in die Erkenntnis der Quellen, aus denen des Dichters Weltbild zusammenfloß. Für die noch so wenig gründlich klargelegte österreichische Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts ohne Zweifel eine Pioniertat von bedeutenden Folgen. So bleibt zusammenfassend zu sagen, daß ich Enzingers Buch für eine mit größter Sachkenntnis geschriebene grundlegende Arbeit der Stifter-Forschung halte.

Rehm durchfühlt den „Nachsommer“ als Motiv. Sein wahrhaft bedeutendes Anliegen ist das Bemühen um die „nachsommerliche“ Dichtung schlechthin. Stets bildet das Nachsommerliche, das Feierabendliche, die Feier-ahcndanslcht des Lebens den Tenor continuo. Riesach erscheint darin als ein o.xoXaonKo; sub specie ludi. Stifters Grundhaltung wird als epimetheisrh angesprochen. Rehms Ziele sind keine historischen. Aus geschichtlicher Sicht kann man die merkwürdige Talsache hier anführen, daß auch Rettenpachers Poesie der Stimmung des Herbstes auffallend huldigt. Eines der weniger historischen Apercmes Rehms ist der wichtige Vergleich Stifters mit dem „Donaustil' (Seite 3) Altdorfers und Wolf Hubers, eine Beobachtung, die auch Hofmiller angestellt hat. Höchst wertvoll sind des Autors Betrachtungen über Stifters Zeitgefühl, die bedeutsam den von R. Staiger beschritte-nen Weg der .Zelt als Einbildungskraft des

Dichters“ fortsetzen. Rehm berührt sich mit Enzinger in der zurückhaltenden Betonung des Benediktinischen bei Stifter. Besonders fruchtbar erscheinen mir die Darlegungen über den homo ludens. Mit Lob möchte ich Rehms ruhigen, mild bewegten Darstellungsstil hervorheben. Beide Bücher sind Werke hohen wissenschaftlichen und künstlerischen Ernstes, voll der bedeutsamsten neuen Ergebnisse und mächtiger Anstoß zu neuen Bemühungen um Stifter. Dr. Robert Mühl her

Ernst Wiechert: Lebensworte aus seinem Schrifttum. Ausgewählt und geordnet von Adolf Wendel. Rascher-Verlag, Zürich 1951. 163 Seiten.

Eine Fülle tiefer, anregender Gedanken stömt aus dieser aphoristischen Lese aus dem Werk des vor Jahresfrist gestorbenen Dichters. Einleitung, Anordnung, Biographie und Bibliographie des Buches sind musterhaft, zu gewissenhaft lediglich die störende wörtliche Übernahme der Texte aus bestimmten Zusammenhängen (mit den handelnden oder sprechenden Personen und in direkter Rede). Die teilweise umstrittenen Gedanken zum Thema Gott und Glauben 6ind im Vorwort des (theologischen) Verfassers hinreichend erklärt: „Wiechert ist... zwar nicht Christ1 im Sinne herkömmlicher Glaubansüberzeugung. Aber er ist ein tiefgläubiger Mensch, dessen Anschauungsreich aus der Welt des Christentums genährt, an ihr entzündet und in Auseinandersetzung mit ihr geformt ist. Seine ethischen Höchstforderungen — heißen 6ie nun reines Herz oder Demut oder Vergebung oder Liebe — sind mit denen des Christentums Identisch.“ Dr. Roman Herle

Die Pest. Roman. Von Albert Camus. Abendländische Verlagsgesellschaft, Innsbruck. 296 Seiten.

Mit ungeheurer Gegenständlichkeit und Eindringlichkeit wird hier das Schicksal einer modernen Stadt geschildert, die — von einer Epidemie befallen und von der Außenwelt völlig abgeschnitten — 6ich selbst überlassen bleibt, bis die Seuche erloschen ist. Altüberkommene Anschauungen fallen, die Seuche diktiert neue Lebensformen und Gesetze. Selbst die teilnehmenden Nachrichten aus dem Äther werden unwirklich, erhalten für die Betroffenen einen falschen Akzent. In diesem

Zentrum des Elends entwickeln sich die Schicksale der Starken und der Schwachen, der Guten und der Bösen unter besonderen Gesetzen. Ist diese Pest ein Abbild innerer, seelischer Krankheiten, von denen die moderne Menschheit befallen ist? Der Arzt Dr. Rieux (er wäre der „Held“ dieser Leidenszeit, wenn in diesem unpathetischen Buch für einen solchen Platz wäre) spricht es aus, daß er an der Pest litt, lange bevor er diese Stadt und diese Epidemie kennenlernte. Und fügt hinzu: „Das sagt deutlich genug, daß ich bin wie alle Leute.“ Das Heldentum des Alltags, Menschlichkeit ohne Pose, Pflichterfüllung überwinden diese Plage. Die Tore öffnen sich ... aber „vielleicht wird der Tag kommen, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen wieder ihre Ratten aussenden wird“ — jene Ratten, deren Auftauchen als überlieferte Pestträger die Erzählung einleitet. Ein starkes, realistisches, bedeutendes Werk,

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