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Offensein auf Zeugung?

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Besonders heftig wendet sich die Kritik gegen jene Stelle der Enzyklika, die besagt, „daß jeder eheliphe Akt offen bleiben muß für die Weitergabe des Lebens“ (Nr. 11).

Das „Offensein“ auf Zeugung besagt, daß die eheliche Vereinigung als actus humanus in einer Form durchgeführt werden soll, die zur Folge hat, daß dann, falls ein befruchtungsfähiges Ei freigegeben werden sollte, falls von Seiten des Mannes ein befruchtungsfähiger Same beigestellt werden sollte und falls keine Hindernisse bestehen, daß Same und Ei sich treffen können, eine Empfängnis eintreten könnte. Was nach einer derartigen ganzheitlichen, unmittelbaren und vollkommenen Liebeseinigung von Mann und Frau im Körper der Frau geschieht, ist in dieser Sicht zweitrangig und für diesen geschichtlich gewachsenen Begriff des „Offenseins auf Zeugung“ bedeutungslos. Die Liebeseinigung des Mannes mit seiner aus irgendeinem Grunde unfruchtbaren Frau ist in diesem Sinne ebenfalls „offen auf Zeugung“, weil eben die besonderen Umstände, die im Körper der Frau gelegen sein können, hierfür irrelevant sind; dasselbe gilt für eine eheliche Vereinigung an den unfruchtbaren Tagen. Daher bleibt die Enzyklika ihrem Grundsatz treu, wenn die Inanspruchnahme der unfruchtbaren Perioden bei Vorliegen „ernsthafter Beweggründe“ (Nr. 16) als sittlich gut erklärt wird.

Weitere Überlegungen können die Bedeutung dessen, was mit der Umschreibung des „Offenseins auf Zeugung“ umfaßt worden ist, an Hand eines durchaus modernen Lebensgefühles vertiefen. Kein Ehepaar wird leugnen, daß jedes Empfängnisverhütungsmittel, der unterbrochene Verkehr und die mutuelle Masturbation einen Abstrich an der vollen körperlichen Erlebnisfähigkeit bedeuten. Von sich aus möchte jedes Paar unmittelbar die volle eheliche Vereinigung erleben, also gerade jenes Einswerden im Fleisch, wie es mit dem so verlästerten Fachausdruck „Offensein auf Zeugung“ seit jeher phänomenologisch umschrieben worden ist. Dieses volle körperliche Einswerden kann jedes Ehepaar selbst dann erleben, wenn kein weiteres Kind verantwortet werden kann: nämlich an den sicher unfruchtbaren Tagen. So haben die Alten — zwar von einer falschen biologischen Annahme her kommend — rein deskriptiv und phänomenologisch ; jene Form der ehelichen Begegnung umschrieben, der allein die volle Ausdruckskraft ehelicher Liebe zukommt. Wenn man von einer modernen Anthropologie her, welche die Sonderstellung des Menschen auch auf Grund seiner Zelebration als höchste Stufe einer evolutiven Reihe darstellt und die man als evolutlve Anthropologie bezeichnen könnte, die Verpflichtung ableitet, daß der Mensch in der Frage der Empfängnisregelung den vorgegebenen Fruchtbarkeitsrhythmus der Frau beobachten und beachten muß, gelangt man zwangsläufig ebenfalls zu einer unmittelbaren leiblichen Vereinigung, die — in sich und nur vom actus humanus her gesehen, ohne Berücksichtigung des opus naturae — „offen“ ist für die Weitergabe des Lebens.

Das Leitbild auf dem Weg zu verantworteter Elternschaft ist und bleibt die verantwortliche periodische Enthaltsamkeit. Im Bemühen, zu diesem Weg zu gelangen, gibt der Mensch zu erkennen, daß er das ihm anvertraute Talent wenigstens einsetzen möchte. Wenn auf dem Wege dazu sich unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen und es dann zu menschlichen UnvoHkom-menheiten kommt, wird dieses Unvermögen ganz anders zu beurteilen sein als eine grundsätzliche Ablehnung des Leitbildes der Enzyklika. Es ist der österreichischen Bischofskonferenz ganz besonders zu danken, daß sie das Leitbild eigens herausgehoben und den Ehepaaren Mut gemacht hat, darnach zu streben; und daß weiterhin dem echt strebenden und ringenden Ehepaar der Weg zur Kommunionbanik gewiesen wurde.

Bs ist aber betrüblich und widerspricht kirchlicher Gesinnung, wenn das unbestrittene Recht auf eine eigene verantwortliche Gewissens-enitscheidutig nach entsprechender Gewissensbildung in vielen Meinungsäußerungen dafür mißbraucht wird, von der Enzyklika abweichende „Gewissensentscheidungen“ öffentlich zu propagieren. Die österreichischen Bischöfe betonen ausdrücklich, daß jemand, der zu einer abweichenden Überzeugung kommt, seine Untersuchungen fortsetzen muß, der Kirche im übrigen Ehrfurcht und Treue entgegenzubringen hat und nicht berechtigt ist, mit dieser seiner Meinung unter seinen Glaubensbrüdern Verwirrung zu stiften. Es ist aber bereits eine arge Verwirrung gestiftet worden, weil diese abweichenden Meinungen in vielfältigster Weise lautstark und öffentlich verkündet sowie propagandistisch ausgewertet wurden und werden. Jemand, der im Namen der Kirche spricht, hat in der Verkündigung und in der Erwachsenenbildung auf jeden Fall die Lehre der Enzyklika klar darzulegen und zu erklären. Er muß durchaus nicht verschweigen, daß es abweichende Meinungen gibt, aber er ist nicht berechtigt, diese abweichende Meinung als allgemein sittlich erlaubte Lösung hinzustellen und womöglich für eine ganze Diözese als mögliche Linie nicht nur zu vertreten, sondern sogar mit Hilfe organisatorischer Maßnahmen in alle Ehepaare im katholischen Etaum gezielt heranzutragen. Es besteht um so mehr Anlaß, zu erhöhter Disziplin innerhalb der Kirche aufzurufen, da die Schlußfolgerungen der Enzyklika zum Beispiel auch von den oben kurz skizzierten anthropologischen Überlegungen gestützt werden. Eine eigene Monographie hierüber, Doppelband 21/22 der Reihe „Theologische Brennpunkte“ (Herausgeber Viktor Schurr und Bernhard Häring, Ver-ag Gerhard Kaffke, Bergen-Enk-heim bei Frankfurt am Main), ist im Druck (Josef Rötzer: Menschenbild, Sexualität und Ehe. Grundriß einer evolutiven Anthropologie); erste Hinweise wurden bereits in „Die leue Ordnung“ 21 (1967) 1 bis 15 und 305 bis 313 sowie in „Theol.-prakt. Quartalsehrift*' 115 (1967), 164 bis 176 gegeben. Man möge also durchaus auch mit der Möglichkeit rechnen, daß der Papst recht haben könnte und sich nicht geirrt hat; man möge nicht voreilige und durch Emotionen diktierte Akte setzen, die einerseits die Sexual- und Ehemorai zu untergraben und anderseits das kirchliche Gemeinschaftsgefühl zu zerstören geeignet sind. Überdies ist die Kirche zuständig, eine verbindliche Aussage zum natürlichen Sittengesetz zu machen, und zwar selbst dann, wenn die Offenbarung hierüber nichts aussagt. „Ihre Aufgabe ist es, die Wahrheit, die Christus ist, zu verkünden und authentisch zu lehren, zugleich auch die Prinzipien der sittlichen Ordnung, die aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgehen, autoritativ zu erklären und zu bestätigen“ (Digni-tatis Humanae Nr. 14). Die Enzyklika hat nun eine sittliche Ordnung für die Ehe, wie sie aus dem Wesen des Menschen selbst hervorgeht, verkündet. Es soll durchaus nicht verschwiegen werden, daß die Enzyklika an vielen Stellen eine deutlichere Interpretierung verlangt, aber hierzu haben der Papst selbst und die regionalen Bischofskonferenzen auch aufgerufen.

Wenn das Leitbild der Enzyklika für eine große Zahl von Menschen voi allem auf Grund voa Qfganäsations-iinängeln derzeit noch, micttt'durchführbar ist, spricht dies nicht geger die verkündete objektive Wahrheit Dieses echte Dilemma müßte Ansporn sein, vermehrte Anstrengungen zu machen damit der Will Gottes erfüllt werden kann, zuma wir medizinisch bereits so weit sind daß jede Frau guten Willens siehe) unfruchtbare Tage feststellen kann Eine absolute ständige Enthaltsamkeit wird von keinem Ehepaar mehi verlangt. Die Messung der Aufwachtemperatur und die Selbstbeobachtung verlangen eine Zeitaufwand von fünf Minuten täglich die Uhrzeit des Messens kann durchaus variieren; Aufstehen in de: Nacht stört nicht; die Schlafenszei muß schon einmal ganz beträchtlicl verkürzt sein, daß sich dies störenc auswirkt; eine besondere Intelligen: oder Schulbildung ist nicht erforder lieh. Das sollen nur einige Andeu tungen sein, um die meist gehörtei Einwände zu entkräften. Überdie; stehen uns bereits eine Reihe voi Medikamenten zur Verfügung, die ii diesem Zusammenhang als thera> pheutische Mittel eingesetzt werden können und die eine wesentlich Hilfe darstellen.

Sicherlich verkündet die Enzyklik; eine sehr hoch gesteckte Ethik, eini Spitzenethik, die in unseren Taget und in unseren Landen nur erfüll bar wird, wenn die Kirche zugleicl ausreichende Hilfen bietet. Voi medizinischen Stellen allein sind di< notwendigen Hilfen nicht zu erwar ten, da sie aus in der Natur de: Sache gelegenen Gründen nicht dii notwendigen Beratungsstellen zu: Verfügung stellen werden. Einer Beratungsdienst in dieser Richtuni aufzubauen, ist vorwiegend Auf gäbe der Kirche. An die Hierarchii ergeht daher die Bitte, durch ideell) und materielle Hilfe die Errichtuni derartiger Beratungsdienste zu ermöglichen. Wir sind derzeit voi einer breit ausstrahlenden Wirksamkeit derartiger Beratungsdiensti noch sehr weit entfernt, was dii Dringlichkeit dieses Anliegens besonders herausstreicht. Wir werder ebenfalls kaum einen Erfolg aufzuweisen haben, wenn die Seelsorg< und die Pastoral uns im Stiche läßt, was derzeit in einem großer Ausmaß der Fall ist

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