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Opferzeuge für Osterreich?
Am 25. Juli sind es sechzig Jahre her, daß nationalsozialistische Putschisten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß an seinem Amtssitz ermordet haben. Seither ist die Kontroverse um den Verewigten nicht zur Ruhe gekommen, die einen sehen in ihm zwar einen Märtyrer, Hitlers erstes Opfer, wie die verstorbene Tochter Eva Nicoladoni-Dollfuß das kürzlich im Amalthea Verlag erschienene, von ihrer Tochter, also der Enkelin Dollfuß', überarbeitete Buch „Mein Vater", im Untertitel genannt hat. In diesem Buch voll persönlicher Erinnerungen, aber auch neuer Forschungsergebnisse wird versucht, das persönliche Bild des Ermordeten sympathisch darzustellen und auch seine politische Bolle in einem freundlicheren Lichte erscheinen zu lassen als es die allgemeine, besonders aber die sozialistische Geschichtsschreibung tut, für die Dollfuß nach wie vor nur der Verfassungsbrecher und „Arbeitermörder" ist. Aber warum kann und soll er nicht beides gewesen sein, zumal das Martyrium nach katholischer Lehre alle Sünden tilgt? Doch in diesem Punkt ist die linke Geschichtsschreibung strenger und will Dollfuß nicht den Charakter eines Opferzeugen für Österreich zubilligen, weil er sich an der Demokratie versündigt hat.
Doch auch wenn man den Verfassungsbruch Dollfuß' verurteilt, kann man ihm gerade nach der Darstellung dieses Buches höhere politische Motive als bloße Machtgier zubilligen, er befand sich in einer Zwangslage, aus der er durch den Verfassungsbruch und durch den Zweifrontenkampf gegen Sozialdemokratie und Nationalsozialismus einen problematischen Ausweg suchte. Es wäre schöner und besser gewesen, wenn Österreich eine Demokratie mit einer breiten Abwehrfront gegen Hitler geblieben wäre. Ob dies am Schicksal Österreichs allerdings etwas geändert hätte, muß bezweifelt werden. Hätte der Westen für ein demokratisch gebliebenes Österreich auch nur ei-, nen Finger mehr gerührt und hätte Österreich damit nicht den damals einzigen sicher scheinenden Schutzherrn Mussolini verloren und wäre damit schon einige Jahre früher eine Beute Hitlers geworden? Auch das muß man bedenken, wenn man über Dollfuß historisch zu Gericht sitzt.
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